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Sogar Berliner kaufen hier regelmäßig

Das Modehaus „Schwinds Erben“ gibt’s seit 65 Jahren am Dicken Turm. Eine Modernisierung brachte neuen Schwung.

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© Nikolai Schmidt

Von Frank Seibel

Görlitz. Wenn der Laden zu ist und die Kinder im Bett sind, dann geht die Arbeit richtig los. Projekt Frühling. Dann sitzt Georg Schwind bis in die Nacht am Computer und wird zum Redakteur. 24 A4-Seiten in Farbe wird das Magazin haben, für das er alle Texte schreibt, die Fotos auswählt und das Layout mit einer professionellen Grafikerin abstimmt. Ein paar Tage oder Nächte bleiben noch, dann muss das Ding in den Druck. Adressaten: die Stammkunden von Schwinds Erben, dem ältesten Görlitzer Modehaus, seit 1953 am Platz.

Ein Kundenmagazin auf Hochglanzpapier in einer Zeit, da Gedrucktes immer stärker von Wort und Bild auf dem Computer oder dem Smartphone bedrängt wird; Modetrends im teuren Vierfarbdruck, geheftet und mit Adressen versehen. Zweimal im Jahr bringt Georg Schwind das Magazin „Görlitz in Mode“ heraus - eine Art der Kundenbindung, die es in ganz Sachsen nur noch ein weiteres Mal gibt, in Taucha bei Leipzig. „Das verschwindet nicht mit einem Klick“, sagt Schwind. Das legen sich die Leute beiseite und schauen es sich immer wieder mal an.“ Klassisch eben. Immerhin führt Georg Schwind das Unternehmen in dritter Generation.

Aber noch mehr Zeit als in das gedruckte Magazin hat Georg Schwind in das Internetportal gesteckt, das nun fast fertig ist. Feurige Salsaklänge begrüßen die Nutzer auf der Startseite, und mit vielen Bildern stellt das Modehaus nicht nur sich, seine Geschichte und seine Mitarbeiter vor, sondern auch die aktuelle Kollektion – das Kundenmagazin gibt’s hier noch einmal.

18 Jahre, nachdem Georg Schwind die Geschäftsführung von seinem Vater Wolfgang und dessen Schwester Barbara übernommen hat, steht das alte Haus jünger da denn je. Obwohl der Altersdurchschnitt der Görlitzer seither stetig gestiegen ist. Genau ein Jahr ist es her, dass die Herrenabteilung im Erdgeschoss und damit die gesamte Anmutung des Hauses am Dicken Turm, komplett modernisiert wurde. Vom gemütlich warmen Kirschholz und einem insgesamt sehr gediegenen Ambiente stieg Schwind auf einen eher kühlen, modernen Stil um. Wände in Schwarz und Metall-Optik, wandhohe Fotos mit coolen Typen. Und im Schaufenster zum Marienplatz hin zeigt ein Bildschirm moderne Schwarz-Weiß-Filme über die handwerkliche Produktion von Hosen, Hemden, Gürteln. Nur keine beliebige Massenware ...

Der Kraftakt der letzten Jahre hat sich gelohnt, sagt Georg Schwind. Seit der Neueröffnung im März 2017 kommen mehr Leute als zuvor in den Laden. Stammkunden haben sich nicht abschrecken lassen, und neue sind hinzugekommen. „Viele aus dem weiteren Umland“, schiebt Schwind hinterher. Seine Kundenmagazine schickt er mittlerweile nach Dresden, Berlin, Potsdam. Von dort kommen Menschen, um einen Tag oder ein ganzes Wochenende in Görlitz zu verbringen. „Und die Zeit bei uns ist dabei fest eingeplant.“

Was finden sie hier, was es nicht auch und noch mehr in den großen Städten gibt? Die schöne Stadt, na klar. Georg Schwind weiß, was er auch als Geschäftsmann an Görlitz hat. Dann die entspannte Atmosphäre im Laden. Kein Gedränge, kein Gehetze, kein unangenehmes Schaulaufen. Aber nicht zuletzt die Kollektion, betont Schwind. Marken, die nicht exquisit und superteuer sind – im bundesweiten Maßstab; frisch, aber nicht wirklich jugendlich. Zwar kommen auch 18-Jährige in das Traditionsgeschäft, aber vor allem zu besonderen Anlässen: Abschlussball, Bewerbungsgespräch, Berufseinstieg.

Der größte Teil der Kundschaft sind Damen und Herren ab der Lebensmitte, bis ins höhere Alter hinein. Mut zu neuen Trends und gewagten Farben, sagt Georg Schwind, hänge dabei kaum vom Alter ab. Und er staunt manchmal selbst über die Offenheit der Görlitzer, die ja allgemein als sehr konservativ gelten. Schauen Sie mal, sagt Schwind und zeigt auf eine Stange voller farbiger Steppjacken fürs Frühjahr. In Hamburg geht Marineblau am besten, klar. Aber in Görlitz sind die neongelben schon ausverkauft, nur ein paar neongrüne und leuchtend rote noch da. Da hatte er den richtigen Riecher, als er im vorigen September, Oktober die Branchenmessen in Berlin und Düsseldorf besucht hat, um die neuen Kollektionen zu erkunden und anschließend direkt bei den Herstellern zu bestellen. Markennamen garantieren aber nicht den Erfolg. Manchmal wirkt ein Stück auf der Messe schick und verlockend – und floppt dann in Görlitz. „Das Risiko gehört dazu“, sagt Schwind.

Schwierige Zeiten gab es in der Firmengeschichte immer wieder. Die ersten Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR waren natürlich schwer. „Aber mein Vater und meine Tante haben das Schiff gut durch alle Stürme gesteuert“, sagt Georg Schwind. Der nächste Sturm zieht bereits auf: Im Frühjahr will Winfried Stöcker sein Modehaus am Postplatz eröffnen. Mit einem Angebot, das doch nicht so exklusiv und hochklassig ist wie ursprünglich angekündigt. Sondern genau die Schwind-Liga. Möglich, dass Kunden dann dorthin gehen. Möglich aber auch, dass ein größeres Angebot zusätzliche Kunden in die Innenstadt lockt. „Vielleicht kaufen ja die Görlitzer wieder verstärkt in ihrer Stadt ein.“ Denn viele, die etwas mehr für Kleidung ausgeben können und wollen, fahren bislang nach Dresden oder Leipzig oder kaufen im Internet. „Ich bin da sehr optimistisch, wirklich“, sagt Georg Schwind.