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Skandal um Schwarze Pumpe

Die Fußballer der BSG Aktivist wurden 1970 zum Abstieg verurteilt – weil der DDR der Ausschluss von Olympia drohte?

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© Robert Michael

Von Sven Geisler

Wie der Ort zu seinem Namen kam, tut für diese Geschichte eigentlich nichts zur Sache. Und doch gehört es irgendwie dazu, schließlich trägt ihn auch der Verein: Schwarze Pumpe. Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges führte die Strecke zwischen Spremberg und Hoyerswerda durch einen Gasthof mit Pferdetränke. Der Legende nach wurde die Pumpe schwarz angestrichen als Symbol für die Pest, strittig ist, ob die tödliche Krankheit tatsächlich ausgebrochen war oder potenzielle Angreifer abgeschreckt werden sollten.

Diese Mannschaft startete 1970 mit zwei Siegen in die DDR-Liga – und musste danach absteigen. Trainer Heinz Kellner (hinten links) wurde gefeuert. Foto: Archiv/Ronny Klein
Diese Mannschaft startete 1970 mit zwei Siegen in die DDR-Liga – und musste danach absteigen. Trainer Heinz Kellner (hinten links) wurde gefeuert. Foto: Archiv/Ronny Klein
Ronny Klein: „Das große Pumpe-Buch“ – erzählt die Vereinsgeschichte in spannenden Episoden, Selbstverlag, 496Seiten, viele Fotos; 37,95 Euro. Bestellung online: www.aktivist-chronik.de
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Näher zum Kern der Sache führt der Vorname. Das Kürzel BSG stand in der DDR für Betriebssportgemeinschaft, Aktivist für den Bergbau. So hatte jeder Verein seinen Trägerbetrieb, heute würde man Sponsor sagen. Für Schwarze Pumpe war es das Kombinat für Braunkohleveredlung, das 1959 seinen Betrieb aufgenommen hatte. Die meisten Arbeiter wohnten im nahen Hoyerswerda. Die Stadt wurde durch die effektive und damals moderne Plattenbauweise ruckzuck um einen Wohnkomplex nach dem anderen erweitert.

Hier spielte auch die Fußballmannschaft im Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion. Eberhard Beyer kam 1965 dazu, auch das ist eine verwegene Geschichte am Rande: Er arbeitete in Lübbenau, bis ihn nach der Schicht jemand unter vier Augen sprechen wollte. „Ich dachte: Was hast du nun wieder ausgefressen?“, erzählt der 76-Jährige. Wenig später saß er bei dem Mann im Auto und kurz darauf in Schwarze Pumpe vor dem Kaderleiter. Sie boten Beyer eine Stelle als Hauer im Tagebau, später hat er als Schlosser in der Reparaturbrigade und im Stadion gearbeitet. Geholt wurde er aber nicht wegen seiner beruflichen Fähigkeiten, vielmehr waren die Fangkünste des Torwarts gefragt.

Beyer gab Pumpe, wie die Mannschaft kurz genannt wurde, den Rückhalt. 1970 gelang der Aufstieg in die DDR-Liga, die zweithöchste Spielklasse. Sie starteten mit Siegen gegen Vorwärts Stralsund und bei Energie in Cottbus. So überraschend wie der Ausgang des Lausitzer Bezirksderbys sei es gewesen, „dass der Aufsteiger neben kämpferischen auch spielerische Akzente setzte“, schrieb die Fuwo, das Fachblatt für den Fußball im Osten. Doch bereits die nächste Partie gegen KKW (Kernkraftwerk) Greifswald fand nicht mehr statt.

Aktivist Schwarze Pumpe wurde – genau wie Stahl Eisenhüttenstadt – in die Bezirksliga zurückgestuft. Die Begründung: Beide Vereine hätten Mittel ihrer Trägerbetriebe zweckentfremdet genutzt, ungerechtfertigt Zuwendungen gezahlt und die gesetzlichen Arbeitszeitregelungen gröblichst missachtet. „Dieses Urteil traf uns wie der Blitz aus heiterem Himmel“, sagt Harry Patzig, damals ehrenamtlich Leiter der Sektion Fußball bei der BSG Aktivist.

Die in dem Beschluss des Fußballverbandes der DDR erhobenen Vorwürfe klingen schwerwiegend, vor allem der, „Mittel der Werktätigen … zum Teil für persönliche Zwecke missbraucht“ zu haben. Das bringt Patzig, inzwischen 79, immer noch auf die Palme. „Unsere angeblichen Machenschaften sahen so aus, dass wir den Kasten Bier für die Mannschaft nach dem Spiel aus eigener Tasche bezahlt haben.“ Der Skandal an dem Urteil ist eigentlich der, dass zwei Vereine für die in den obersten Ligen des DDR-Fußballs gängige Praxis bestraft wurden. Die Spieler waren zwar in den Betrieben angestellt, durften aber während der Arbeitszeit trainieren, sofern sie überhaupt arbeiten mussten. Das war Usus, und das habe er den Verbandsoberen in Berlin in einer „recht hitzigen Diskussion“ versucht klarzumachen, sagt Patzig.

Doch das Aufbegehren war zwecklos, nicht einmal Horst Dohlus konnte noch etwas für Pumpe tun. Der ehemalige Cottbuser Kreissekretär saß mittlerweile im SED-Zentralkomitee, dem Zentrum der Macht in der DDR. Er soll einen guten Draht zu Erich Honecker gehabt haben. Der 2016 verstorbene Heinz Kellner, seinerzeit hauptamtlich Trainer bei Aktivist, erinnerte sich: „Dohlus stand absolut hinter uns. Er telefonierte minutenlang mit mehreren hochrangigen Leuten. Dann ließ er plötzlich den Hörer sinken, schüttelte betroffen den Kopf.“ Honecker, damals Stellvertreter von Staatschef Walter Ulbricht, hatte den Beschluss als eine seiner ersten Amtshandlungen nach dem Urlaub unterschrieben.

Die Ligastaffel wurde von 16 auf 14 Mannschaften geschrumpft, das Urteil in mehreren Zeitungen als „notwendige Konsequenz“ gutgeheißen. Anders berichtete der in Westberlin ansässige Radiosender Rias: „Der wegen seiner mangelhaften Leistungen sowieso ständig kritisierte DDR-Fußball“ werde „von einem Skandal heimgesucht“. Weiter hieß es in dem Kommentar, den ein Pumpe-Fan zufällig zwischen zwei Schlagern mitgeschnitten hat: „Was Beobachter außerhalb des sozialistischen Sportsystems frappiert, sind die Schnelligkeit und die Endgültigkeit, mit denen die Fußball-Justiz zuschlug.“

Die Arbeiter begehrten auf, protestierten im Kombinat mit Spruchbändern wie „Ihr macht unseren Fußball kaputt“. Es drohte sogar ein Streik. Kellner berichtete: „Die Spieler wurden in andere Brigaden aufgeteilt, sollten für Ruhe sorgen.“ Der Trainer war mit dem Urteil seinen Job los, für den er 1 150 Mark brutto vom Kombinat bekommen hatte. Und Patzig musste – „gegen mein Innerstes“, wie er betont – eine Stellungnahme verfassen, in der das Urteil als hart, aber richtig bezeichnet wurde.

Noch schlimmer war es für ihn, den Zuschauern in Hoyerswerda die Rückstufung ihrer Mannschaft erklären zu müssen. „Das war die härteste Aufgabe, ich war quasi der Buhmann, obwohl jeder wusste, dass nicht ich derjenige war, der an den Pranger gehörte.“ Im Tagebau Welzow-Süd, den der Diplom-Ingenieur leitete, wurde er gefragt, ob er sich den neuen Wartburg kaufen konnte, weil er sich am Verein bereichert habe, seine Frau erlebte Anfeindungen. „Für mich war das eine Zäsur“, sagt Patzig.

Er wurde als Sektionsleiter für zwei Jahre gesperrt, engagierte sich aber schon nach kurzer Zeit weiter und bis 1981 in der übergeordneten BSG-Leitung. Im Parteiverfahren wurde dem SED-Mitglied ein Verweis ausgesprochen, trotzdem stieg er später bis zum Kandidaten des Zentralkomitees auf. „Ich gehöre nicht zu denen, die die DDR verteufeln“, sagt Patzig, „aber ich war den Beschlüssen gegenüber sehr kritisch, viele waren nicht in Ordnung – und das habe ich angesprochen.“

Im Fall von Pumpe hat es nichts genutzt. Warum an der BSG Aktivist und Stahl Eisenhüttenstadt ein Exempel statuiert wurde, lässt sich aus heutiger Sicht nur mutmaßen. Die sportpolitischen Gründe liegen nahe: Im Bezirk Cottbus sollte Energie als die Nummer eins im Fußball aufgebaut und Eisenhüttenstadt klein gehalten werden, weil die Umsetzung des FC Vorwärts von Berlin nach Frankfurt an der Oder zur Saison 1971/72 beschlossene Sache war. Darüber hinaus soll es zuvor Hinweise gegeben haben, dass die Teilnahme der DDR-Sportler an den Olympischen Spielen 1972 in München wackeln würde, weil der Spitzensport immer mehr zum Profitum verkomme. Das Urteil suggerierte zumindest eine harte Linie gegen die Bezahlung im Leistungssport.

Die Pumpe-Fußballer sind ab sofort wie alle Werktätigen früh zur Arbeit gefahren und nachmittags zum Training. Später durften sie auch mal wieder ein, zwei Stunden früher weg. Die große Freiheit war nach dem Urteil jedoch vorbei, was Torwart Beyer bis heute als ungerecht empfindet. In der Bezirksliga nicht anzutreten, zu streiken, kam dennoch nicht infrage. „Es hätte die in Berlin doch ein kaltes Lächeln gekostet, die Mannschaft ganz aufzulösen.“

Also haben sie sich für die Trotzreaktion entschieden. „Wir sind zusammengeblieben, wollten uns auf keinen Fall unterkriegen lassen“, sagt Beyer. Als souveräner Bezirksmeister gelang die direkte Rückkehr in die Liga. Wie stark die Truppe war, zeigte sie zudem im Pokal. Aktivist Schwarze Pumpe warf mit Stahl Riesa (2:0 n. V.) und Wismut Aue (2:1) zwei Oberligisten raus. „Das hat denen da oben natürlich nicht gepasst“, sagt Beyer – und grinst.

Das Viertelfinale sei geheim ausgelost worden, was ungewöhnlich war. Der Favoritenschreck musste zu Dynamo nach Dresden, Gert Heidler erzielte auf Schneeboden zwei Tore für den späteren Pokalsieger. „Wir haben zwar 0:2 verloren, brauchten uns aber nicht zu verstecken“, meint Beyer. Er geht nach wie vor ins Vereinshaus sein Bierchen trinken, und es macht ihn stolz, wenn er auf der Straße angesprochen wird: Zu eurer Zeit! Und, ja, wer weiß, wie weit die Pumpe-Fußballer gekommen wären, wenn sie 1970 nicht zurückversetzt worden wären. Der Nachfolger Hoyerswerdaer FC spielt jetzt in der achtklassigen Kreisoberliga.