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Siegen mit allen Mitteln?

Ex-Schiedsrichter Klaus Hagen bedauert den Niedergang des Fair Play im Fußball. Für ihn ist zu viel Geld im Spiel.

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© Bernd Franke

Von Jochen Mayer und Jürgen Schwarz

Schiedsrichter haben es nicht leicht. Sie stehen unter kritischer Beobachtung. Klaus Hagen kann ein Lied davon singen, wie DDR-Unparteiische in der obersten Fußball-Spielklasse pauschal als parteiisch für Serienmeister BFC Dynamo abqualifiziert wurden. „Dabei habe ich mal acht Jahre hintereinander nicht ein einziges BFC-Spiel gepfiffen“, erzählt der 71-Jährige, der 1977 in die Oberliga aufgestiegen war.

Klaus Hagen, ehemaliger Fußball-Schiedsrichter.
Klaus Hagen, ehemaliger Fußball-Schiedsrichter.

Das lag wohl auch daran, dass Dynamo Dresden oft der härteste Konkurrent der Berliner war. Deshalb herrschte offenbar Skepsis gegenüber der Schiedsrichter-Fraktion aus dem Dresdner Umland mit Klaus Peschel (Radebeul), Wieland Ziller (Laußnitz/Königsbrück), Peter Müller und Hagen (beide Dresden). Aber unabhängig davon, ob sie bei BFC-Spielen eingesetzt waren, ihren schlechten Ruf hatten alle Schiedsrichter weg. „Beim ersten streitbaren Pfiff wurden wir als ,BFC-Schweine‘ beschimpft“, sagt Klaus Hagen. „Unser Ansehen war generell geprägt durch die Zugeständnisse mancher Schiedsrichter an den BFC. Es war sehr ärgerlich, pauschal mit denen in eine Ecke gestellt zu werden.“

Schiedsrichter-Diskussionen erlebt der gelernte Tischler, der lange im Büromöbelvertrieb arbeitete und nach der Wende als Kraftfahrer für eine Bäckerei unterwegs war, auch heute noch. Phantom-Tor, Fehlentscheidungen, verpfiffene Spiele – die Bundesliga hat ebenfalls ihre Buh-Männer. Aber Hagen bricht eine Lanze für seine Kollegen: „Das Spiel ist in den vergangenen Jahren schneller geworden. Damit mussten auch die Schiedsrichter zulegen.“ Die modernste Technik ist ihr Gegenspieler, wenn in der dritten Zeitlupe endlich zu ahnen ist, dass es tatsächlich ein Foul oder Abseits war – oder eben nicht. Der Mann auf dem Platz muss sich sofort entscheiden.

Der Videobeweis ist für Hagen dennoch keine Alternative, weil „die Sportart das nicht hergibt“, wie er meint. Fußball ließe sich nicht mit Eishockey vergleichen, wo es den Videobeweis gibt. Und kompliziert wäre es beim dritten Fall, sollten nur zwei Video-Unterbrechungen zugelassen sein. „Was, wenn das dann der kritischste Fall ist“, fragt sich der Rentner. Und die Technik dürfte an der Basis unbezahlbar sein.

Überhaupt das Geld. „Die Einflüsse von außen sind damit viel größer geworden“, klagt der Ex-Referee. Mit Millionen-Investitionen stiegen auch die Erwartungen, der Druck auf die Spieler, erfolgreich zu sein – koste es, was es wolle. „Ich höre da immer wieder raus, dass mit allen Mitteln gewonnen werden soll“, sagt Klaus Hagen.

Und er listet auf: „Da wird ein Gegenspieler nicht nur beschattet oder gedeckt, der wird niedergemacht, bekämpft und geklammert. Schlimm. Nervig sind für mich die Schauspieleinlagen, die in keiner anderen Sportart so ausgeprägt sind. Und es wird reklamiert und protestiert, selbst wenn es nur um simple Einwürfe geht. Das beeinflusst auch Fans und Stimmungen in den Stadien. Das gab es in solchen Dimensionen früher nicht. Da ging es aber auch nicht um so viel Geld.“

Nicht zu übersehen ist die zunehmende Aggressivität in der Gesellschaft. „Dann muss sich niemand wundern, wenn es auch im Fußball unfairer wird“, schlussfolgert Hagen. Ihn überrascht eher, dass die internationale Saison bisher relativ sauber gelaufen ist: „Da sind dann alle wieder Profis genug, weil sie wissen, dass jeder für seinen Job heile Knochen braucht.“

Er bedauert, dass Respektspersonen auf dem Platz wie Florian Meyer oder Knut Kircher die Altersgrenze erreicht haben und nicht mehr pfeifen. „Sie spürten genau, wen sie auf dem Rasen wann ansprechen müssen“, sagt der Ex-Schiedsrichter, der aus eigener Erfahrung weiß, dass jeder auf dem Platz einen schlechten Tag haben kann. „Aber wenn der richtige Moment verpasst ist, alte Rechnungen beglichen werden, Gift im Spiel ist, dann sind die Emotionen schwer zu bändigen.“

Der englische Fußball ist für den Dresdner noch vorbildlich: „Da treten die Spieler korrekter auf. Mir scheint, da werden die Schiedsrichter auch anders respektiert. Alle wissen: Nach einem Pfiff ändert sich nichts. In der Bundesliga stürzen bei jeder diffizilen Entscheidung alle auf den Schiedsrichter, fast jeder Freistoß ist ein Akt. Und wie oft wird der vierte Offizielle von Trainern angegangen?“ Und er beklagt bei Standards die Ringkämpfe im Strafraum, „doch dann stellen sich Nationalspieler hin und sprechen davon, dass das jetzt zum Fußball gehört. Nur, um mit allen Mitteln zum Erfolg zu kommen. Dieser Trend gefällt mir nicht.“

Klaus Hagen hätte gern wieder Sportsgeist auf dem Platz mit Fair Play. Aber selbst bei seiner Heimat-SG in Bühlau erlebte er Eltern, die ihre Kinder bei Kleinfeldspielen anstacheln: „Hau den weg!“ Und der einstige Fifa-Referee fragt sich, „warum steht in diesem Alter nicht der Spaß im Vordergrund? Muss schon dort Erfolg her, egal wie?“

Im Westen einen guten Ruf

Schiedsrichtern vergeht mitunter schon in unteren Ligen die Lust auf mehr. „Wenn 40 einen Lehrgang beginnen, sind nach einem Jahr noch vier oder fünf übrig“, erfuhr Hagen. „Es ist aber auch kein Wunder, wenn du als Neuling sofort von der Seite übel belegt wirst.“ Klaus Hagen kann den Frust nachvollziehen. Er kickte von 1958 bis 1965 in Dresden-Bühlau, dann spielten die Knie nicht mehr mit. Er wechselte die Seiten, pfiff erst die Schüler und war am Ende mit Peschel und Ziller beim WM-Qualifikationsspiel Polen gegen Schweden auf dem Platz. Bis zum Alters-Aus 1992 gehörte er zu den Bundesliga-Schiedsrichtern und spürte, dass die DDR-Fraktion einen guten Ruf hatte: „Ich habe es genossen, dass wir respektiert wurden.“ Da war aller BFC-Frust längst Geschichte. Heute ärgert ihn der Niedergang des Fair Plays. Und er hofft: „Schiedsrichter sollten wieder mehr akzeptiert werden. Sie sind unverzichtbar.“