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Sieben Wochen keine Dusche

Ein Grönland-Forscher war zu Gast in Riesa. Er sah sieben Wochen keinen Baum und keinen Strauch. Sieben Wochen gab es nur Trockennahrung. Er will trotzdem wieder ins Eis.

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© Lutz Weidler

Von Christoph Scharf

Riesa. Grüne Büsche, grüne Sträucher, grüne Bäume: Mitten in Riesa, gleich neben der Volkshochschule, findet sich ein Fleck, den man guten Gewissens „Grünland“ nennen könnte. Wilfried Korth sitzt auf einem Baumstumpf, genießt die Sonne – und träumt trotzdem davon, bald wieder ins Eis zurückzukehren. „Grönland heißt nur ‚Grünland‘, weil Erik der Rote vor 1 000 Jahren mit dem Namen Siedler dorthin locken wollte“, sagt der Professor.

Der Berliner Geodät hat gerade zwei Vorträge für Schüler des Städtischen Gymnasiums gehalten – über das Vermessungswesen und über seine Expeditionen per Ski quer durch Grönland. „Früher sind die Forscher mit Hundeschlitten aufgebrochen. Heute ziehen wir unsere bis 150 Kilogramm schweren Gepäckschlitten selbst.“ Nicht etwa, weil es keine geeigneten Hunde mehr gäbe – sondern weil man im ewigen Eis nirgendwo Hundefutter bekommt. „Damals wurde immer der schwächste Hund erschossen und verfüttert. Amundsen brach mit 40 Hunden in die Antarktis auf und kehrte mit nur sechs Hunden zurück“, sagt der 57-Jährige. So was mache man heute nicht mehr.

Andere Dinge sind dagegen im Eis dieselben wie vor 100 Jahren: die wochenlange Einsamkeit, das Fehlen jeder Vegetation, die Konzentration auf das Überlebensnotwendige. „Aufs Duschen kann man problemlos wochenlang verzichten. Nach einer Woche hört auch das Jucken auf“, erklärt Wilfried Korth den Zehntklässlern, die konzentriert seinem Diavortrag lauschen. „Zu Hause dusche ich mich natürlich jeden Tag – schon, um nicht allein in der S-Bahn zu sitzen“, sagt der Geodät, der in Dresden studiert hat und an der Berliner Beuth-Hochschule lehrt. Doch was treibt ihn in die Kälte? „Ich wollte schon immer die Welt entdecken“, sagt der gebürtige Magdeburger. Schon 1988 nimmt er an der zweiten Antarktisexpedition der DDR teil, später leitet er eine Forschungsgruppe der TU Dresden bei einer russischen Antarktisexpedition, dann bei einer indischen. Zuletzt ist er immer wieder quer durch Grönland unterwegs. Das Ziel dabei:

Strecke exakt vermessen

Die gesamte jeweils 700 Kilometer lange Strecke wird exakt per GPS vermessen. So lässt sich später ein zentimetergenaues Höhenprofil des Eises errechnen. Das Ergebnis: „Binnen 13 Jahren ist das Eis an einigen Stellen um 30 Meter abgeschmolzen. Das ist so hoch wie ein achtstöckiges Haus“, sagt der Vermesser. Mit langfristigen Forschungsreihen lasse sich so die Auswirkung des Klimawandels dokumentieren.

Um den ging es bei der Veranstaltung des Städtischen Gymnasiums allerdings nicht: Beim ersten „Projekttag Naturwissenschaften“ waren neben Wilfried Korth eine ganze Reihe weiterer Wissenschaftler vor Ort, die den Zehntklässlern Vorträge über Silikone, Hybridfahrzeuge oder die Biologie von Herz und Lunge hielten. Anderswo wurde mikroskopiert und experimentiert. „Wir wollen den Schülern zeigen, was für spannende Berufe die Naturwissenschaften bieten“, sagt Lehrer Steffen Dreßler.

Grönlandforscher Wilfried Korth ist dafür ein gutes Beispiel. „Als Ingenieur muss man nicht nur im Büro sitzen“, sagt der Geodät. Auch wenn er zugeben muss, dass die meisten Kollegen eher auf Baustellen im Einsatz sind als im ewigen Eis. Er selbst plant schon die nächste Grönlandexpedition: 2019. „Dann werde ich 60. Danach lasse ich es ruhiger angehen.“