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Sieben Millionen verlorene Stimmen

Mit 14,7 Prozent war der Anteil der „sonstigen“ Parteien höher als bei jeder Bundestagswahl zuvor. Was muss sich ändern?

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© dpa

Von Britta Veltzke, Berlin

Wer am Wahlsonntag die FDP, die Alternative für Deutschland oder eine der ganz kleinen Parteien wie Die Frauen oder die Tierschutzpartei gewählt hat, dürfte enttäuscht sein. Die bevorzugte Partei von rund sieben Millionen Wählern ist nicht im Bundestag vertreten.

Von 34 zugelassenen Parteien haben es diesmal nur fünf ins Parlament geschafft. Alle anderen landen bei den „Sonstigen“. Noch nie gab es mehr verlorene Stimmen. Ihr Anteil entspricht fast 15 Prozent – ein problematischer Rekord, sagt Parteienforscher Lothar Probst von der Universität Bremen: „Das Grundprinzip des Verhältniswahlrechts ist es, die Wähler angemessen im Parlament zu repräsentieren.“ Wenn die Fünfprozenthürde genau das verhindere, müsse darüber diskutiert werden, die Schwelle zu senken.

Seit der Wende sprießen die Kleinstparteien. Aus dieser Zeit stammen etwa die Grauen Panther und die Tierschutzpartei. Lothar Probst erklärt das mit einer gesellschaftlichen Veränderung: „Mehr Gruppen mit einem speziellen Thema nehmen für sich in Anspruch, ihr Interesse ins Parlament zu tragen. Das ist nicht immer erfolgreich, aber es gibt Wähler, die trotzdem ihre Stimme für eine solche Kleinstpartei abgeben und daher wächst ihr Anteil.“ Je weniger Stimmen die Parteien brauchen, um ins Parlament einzuziehen, desto mehr sind dabei. „Bei einer stärkeren Splitterung des Parteiensystems wird die Regierungsbildung meist schwieriger, weil es mehr mögliche Koalitionen gibt“, so Probst.

In einigen Nachbarländern wie Österreich oder Dänemark sind die Hürden niedriger. In den Niederlanden müssen die Parteien nur 0,6 Prozent der Stimmen erhalten, um in die „Tweede Kamer“ zu kommen, die dem Bundestag entspricht. „Dort sitzen regelmäßig bis zu zehn Parteien“, sagt Probst. Und trotzdem werde in Den Haag regiert. Wie reibungslos die Regierungsbildung funktioniert, hänge eben auch, aber nicht nur von der Zahl der Parlamentsparteien ab. „Jetzt nach der Bundestagswahl haben wir nur vier Fraktionen und die Regierungsbildung ist trotzdem schwierig.“ Eine Koalition ist in Berlin derzeit jedenfalls nicht in Sicht.

Politikwissenschaftler Lothar Probst plädiert für eine Vier-Prozenthürde. „Dafür, dass am Ende weniger Stimmen unter den Tisch fallen, kann man in Kauf nehmen, dass am Ende mehr Parteien ins Parlament kommen.“