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„Sie kommen mit Wahnvorstellungen zu uns“

Am Elblandklinikum Radebeul werden Crystal-Notfälle behandelt. Doch es gibt schon ganz neue Gefahren.

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© Sven Ellger

Landkreis. Noch immer meldet die Suchtberatungsstelle Meißen eine steigende Zahl von Drogenkonsumenten. Als Hauptproblem gilt weiterhin Crystal. Das äußert sich auch in der damit einhergehenden Beschaffungskriminalität. Vor Kurzem trafen sich in Radebeul Experten zum Thema. Das Landratsamt hatte zum dritten Crystal-Fachtag eingeladen. Ziel war es, die bisherige Suchthilfe und Präventionsarbeit im Kreis auszuwerten. Zu den Experten gehörte Dr. Wilfried Schöne, Chefarzt der Suchtklinik am Elblandklinikum Radebeul.

Verheerend billig und zerstörerisch: Crystal erscheint vielen Konsumenten als Lösung für die Anforderungen dieser Zeit. Sie nehmen es, um im Steigerungsspiel der Gesellschaft mitzuhalten, sagt Dr. Wilfried Schöne, Chefarzt der Suchtklinik am Elblandklinik
Verheerend billig und zerstörerisch: Crystal erscheint vielen Konsumenten als Lösung für die Anforderungen dieser Zeit. Sie nehmen es, um im Steigerungsspiel der Gesellschaft mitzuhalten, sagt Dr. Wilfried Schöne, Chefarzt der Suchtklinik am Elblandklinik © Andreas Weihs

Herr Dr. Schöne, Ihre Klinik kümmert sich um Crystal-Konsumenten, wenn sie als Notfallpatienten kommen. In welchem Zustand erleben Sie die Betroffenen?

Sie kommen mit schweren Vergiftungserscheinungen. Oder sie sind sozial auffällig. Das kann aggressives Verhalten sein. Es kann sich aber auch darin äußern, dass sie ihre Impulse nicht mehr steuern können, zum Beispiel in einer ruhigen Situation auf eine simple Frage mit einem Schreianfall reagieren. Andere kommen mit Wahnvorstellungen, Psychosen.

Wie sieht die Notfallversorgung von Crystal-Konsumenten in Radebeul aus?

Wir von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie arbeiten eng mit der Intensivstation zusammen. Dort müssen viele Akutpatienten erst einmal hin, damit ihre Gesamtsituation eingeschätzt werden kann und auch ihre Motivation, weitere Hilfemaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Sobald es möglich ist, werden sie zur spezifischen Suchtbehandlung in die Krankenhäuser Arnsdorf oder Hochweitzschen weitergeleitet. Sie müssen hier bleiben, bis die Symptome abgeklungen sind. Das kann lange dauern.

Wie lange?

Wochen bis Monate. Wir haben seit vier Monaten eine junge Crystal-Konsumentin auf Station, die anfangs keine Zusammenhänge mehr herstellen konnte, deren Kritik- und Urteilsfähigkeit erheblich gestört war und die noch nicht wieder fähig ist, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Inwiefern nimmt die Zahl Ihrer Crystal-Notfallpatienten zu?

Das kann ich so nicht beantworten. Unser Schwerpunkt liegt auf der Behandlung von Alkohol- und Medikamentenabhängigen. Weil unsere Bettenkapazität auf 20 begrenzt ist, können wir nur wenige Crystalpatienten, dann im Rahmen der regionalen Zuständigkeit, aufnehmen.

Es heißt immer, Crystal würde in allen Schichten der Gesellschaft genommen. Sind bei den Crystal-Notfällen an Ihrem Haus auch alle Schichten vertreten?

Nein, bei uns werden meist junge Erwachsene eingeliefert. Es sind nicht die, die es zur Leistungssteigerung nehmen und damit eine Zeit lang zurechtkommen.

Beim Fachtag haben Sie über Sucht im gesellschaftlichen Kontext referiert. Inwiefern sehen Sie den Leistungsdruck der heutigen Zeit als zentrale Ursache?

Der Zusammenhang ist ein größerer. In den vergangenen fünf Jahren hat die Digitalisierung extrem zugenommen. Dadurch sind unter anderem die Kontrollmechanismen in der Arbeitswelt verstärkt worden, womit viele nicht klar kommen. Das Leben ist in erster Linie auf Ökonomie und Effizienz ausgerichtet. Um in diesem Steigerungsspiel mithalten zu können, nimmt eine wachsende Gruppe Drogen ein.

Das heißt, die Bereitschaft zum Drogenkonsum wächst in der Bevölkerung?

Sie ist größer geworden durch die größere Verfügbarkeit des vergleichsweise billigen Crystal, durch veränderte Werte und eine geringere Hemmschwelle. Das Bild, das im Sport vermittelt wird, ist: Wer nicht dopt, hat keine Chance. In der Finanzwelt wird nach illegalen Schlupflöchern gesucht. Und die Gier ist heute einer der Wachstumsfaktoren der Gesellschaft, der Ökonomie. Im Mittelalter war sie noch Todsünde.

Jugendschützer warnen schon vor einem neuen Trend in der Drogenszene: im Internet erhältlichen Ersatzdrogen wie sogenannten Badesalzen oder Räuchermischungen. Inwiefern ist diese Entwicklung bereits in Ihrem Berufsalltag angekommen?

Bisher haben wir keine Fälle an der Klinik. Allerdings weiß ich, dass diese Neuen Psychoaktiven Substanzen, kurz NPS, in Regionen um München und Köln eine größere Rolle spielen. Aber da gibt es starke regionale Unterschiede.

Das Problem am NPS-Konsum ist, dass die Wirkung überhaupt nicht absehbar ist und dass Patienten mit gravierenden Symptomen eingeliefert werden, es aber noch keine Nachweismöglichkeit dieser Drogen gibt. Wie kann sich das Elblandklinikum darauf vorbereiten?

Wir wissen, dass es diese Substanzen gibt und wie sie sich ungefähr auswirken können. Und wenn ein solcher Fall eintritt, müssen Patienten entsprechend behandelt werden, zunächst auf der Intensivstation.

Zum Crystal-Fachtag werteten Fachleute aus Suchthilfe und -prävention das Erreichte aus. Wie lautet Ihr Fazit?

Dass wir in der Region die Kooperation zwischen den einzelnen Suchthilfeeinrichtungen weiter optimieren sollten. Sie ist schon gut. Aber es geht darum, noch vorhandene Lücken zu schließen. Fortschritte gibt es zum Beispiel in der Zusammenarbeit mit dem Jobcenter und durch den Einsatz Mobiler Drogenfachkräfte. Lücken gibt es nach wie vor in der Erreichbarkeit der Klienten, die rückfällig geworden sind. Da war er dort nicht und hat jenes Angebot nicht genutzt, obwohl eigentlich alles klar und vorbereitet war. Manche Suchtpatienten vereinzeln nach der Therapie wieder. Das müssen wir in den vorhandenen Strukturen verhindern.

Gespräch: Ulrike Keller