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Sie hat den Blues

Dank Eva Koutzevas Neustädter Kneipe Evergreen treibt ein totgesagter Musikstil in Dresden neue Blüten.

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© André Wirsig

Von Tom Vörös

Die Tür geht auf, und die Welt ist eine andere. Man will sich Augen und Ohren reiben: Junge Menschen, die meisten so um die 20, tanzen zu Bluessongs von B. B. King und Howlin’ Wolf, als gäbe es kein Morgen. Man wähnt sich in einer Diskothek, doch wenn man sich allmählich umschaut, dann sieht man nur eine Bar, eine kleine Bühne, ein paar Tische und Stühle. Im Evergreen steht die heutige Musikwelt kopf. Der Blues hat hier nichts Altbackenes, die Lieder wirken wie frisch komponiert. Jedes Wochenende drängen sich die Bluesfreunde auf engstem Raum, man tanzt zur Livemusik an der Eingangstür und begegnet schon mal einem Kellner aus Kalifornien, der Bestellungen nur auf Englisch entgegennimmt.

Irgendwann fällt sie auf im Blues-Gewusel: Eva Koutzeva, die quirlige Kneiperin. Mit leuchtenden Augen serviert sie flink tschechisches Bier, dominiert den rot gestrichenen Raum und verbreitet gute Laune. Und wenn sie mal redet, dann wie ein Wasserfall. Die 44-Jährige befindet sich genau dort, wo sie sein will. „Letztendlich dreht sich hier alles um Musik“, sagt sie. „Jeder Mensch kann den Blues sofort verstehen und fühlen, er geht direkt ins Herz.“

Bloß keine „Negermusik“

Den Blues hat Eva Koutzeva bereits seit den Achtzigerjahren. Damals, in Bulgarien, ihrem Heimatland, war der Kalte Krieg gerade auf seinem Höhepunkt angelangt. Da bekam die zwölfjährige Eva von einer Freundin eine Blues-Kassette geschenkt. „Ich war so überwältigt vom Gitarrenspiel, dieser Stimme und ich wusste ja gar nicht, was ich da höre.“ In ihrer Unwissenheit – Bluesmusik gab es nicht zu kaufen, man konnte nichts darüber lesen – eilte sie zu ihrem Musiklehrer und wollte mehr darüber wissen. „Aber das hätte ich lieber mal gelassen“, sagt sie heute. „Denn seine Antwort lautete: ,So eine Negermusik brauchst du nicht zu hören.‘ Der war richtig sauer.“

Erst viel später, ab Mitte der Neunzigerjahre, sollte Eva in Deutschland ihr musikalisches Paradies finden, etwa auf Bluesfestivals und -konzerten. Ihre ganze Familie lebt inzwischen hier. In Bulgarien war sie seither nur noch selten. „Nationalität spielt für mich schon lange keine Rolle mehr“, sagt sie. „Woher man kommt, wohin man geht, das verliert an Bedeutung. Ich hatte nie Probleme mich anzupassen, man muss immer offen sein für seine Umgebung.“

Zunächst landete Eva Koutzeva in Riesa, wo sie auch ihr erstes Evergreen gründete. Doch nach rund zehn Jahren wagte sie noch einmal einen Schritt nach Dresden, das Konzept blieb dasselbe. „Zuerst war ich skeptisch, aber mein Sohn hat immer von der Neustadt geschwärmt“, sagt sie. Inzwischen studiert der Sprössling an der Dresdner Musikhochschule und vermittelt Kontakte zwischen Kneipe und Musikern. Vielleicht einer der Gründe für das junge Publikum. „Ob das nur eine Modeerscheinung ist, kann ich nicht beurteilen, so etwas kann man ja nicht steuern.“

Eva Koutzeva weiß, dass ein berufliches Musikerdasein viele Entbehrungen mit sich bringt. Deshalb sieht sie sich auch als Förderin handgemachter Livemusik, sammelt während der Konzerte Geld in einem Hut und wirbt lautstark für den Kauf einer CD der Band. „Wir werden hier alle davon nicht reich, aber Geld ist auch nicht der Grund, warum ich das mache. Gerade in dieser Zeit muss man echte Kunst unterstützen“, sagt sie. Teilweise lässt Eva die Bands in ihrer eigenen Wohnung übernachten. Bedenken hatte sie dabei nie. „Die Bluesmusik ist ja wie ein natürliches Sieb, wer diese Musik macht oder hört, ist nicht blöd oder gewalttätig. Egal, wie viel getrunken wird, wir haben noch nie Probleme gehabt.“ Zum Schlafen kommt Eva in arbeitsreichen Zeiten ohnehin nur kurz. Denn
nebenan betreibt sie parallel noch einen Pizzaservice.

Dass die Kneiperin selbst kein Instrument spielen kann, bedauert sie zwar, bleibt aber realistisch: „Viele Leute sagen, dass es nie zu spät sei, damit anzufangen. Ich persönlich glaube das aber nicht, man muss ja ein Ziel haben.“ Eva Koutzeva hat den Blues eben auf ihre Art verwirklicht, lebt ihn fast jeden Tag aufs Neue. Trotzdem bleibt ihr noch ein Traum: „Ich möchte hier in der Nähe gerne mal ein Bluesfestival organisieren.“ Die jungen Menschen könnten ihr dabei helfen.

Plötzlich verstummt Evas unerschöpflicher Wortschwall, als sie kurz über den letzten Abend nachdenkt. „Ich glaube, ich müsste den jungen Leuten hier mehr bieten“, sagt sie und hält inne.

Befragt man aber die jungen Evergreen-Gänger, warum es sie zum Blues treibt, dann muss sie sich keine Sorgen machen: „Wir fühlen uns hier einfach wohl“, sagen sie. „Es ist die Musik, es sind die Leute, aber am Ende ist es einfach Eva.“

Die nächsten Konzerte in der Blueskneipe Evergreen, Görlitzer Straße 35: 10./11. April, René Lacko and Band; 17./18. April, Stan „The Man“ Bohemian Blues Band