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Sie haben Begreifen begriffen

Vier Leipziger bauen besondere Möbel – und werden Start-up-Sieger beim Wettbewerb „Unternehmer des Jahres“.

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© Anja Jungnickel

Von Lars Radau

Am Ende wurde die Zeit knapp. „Zwei Folien hätte ich noch gehabt“, sagt Jonathan Geffen. Doch auch vom lauten Uhrenticken, das die letzten Sekunden bis zum Schlussgong markierte, ließ sich der 28-Jährige nicht aus der Ruhe bringen. Viel besser als mit Präsentationsfolien an der Wand lasse sich das, was sein Unternehmen mache, ohnehin begreifen, erklärte er dem Publikum in der Lounge der Gläsernen Manufaktur. Und zwar im Wortsinne: Ein Exemplar ihres Tisches „Halt“ hatten Geffen und seine Mitstreiter Benjamin Hein und Kirstin Overbeck aus Leipzig mit nach Dresden gebracht.

Das gute Stück sieht auf den ersten Blick mit seiner großen Platte und dem Stahlrohr-Gestell aus wie ein skandinavisch-schlichter Esstisch. Seine Besonderheit, die auch das hohe Gewicht von fast 50 Kilogramm erklärt, ist ein eleganter Handlauf aus Vollholz, der sich um den ganzen Tisch zieht. Denn der Name ist Programm: Am „Halt“ sollen ältere Menschen und Menschen mit Mobilitätseinschränkungen oder Behinderungen Halt finden.

Für „Etage8“, das Designbüro, das Jonathan Geffen, Benjamin Hein, Kristin Overbeck und Willi Möller betreiben, brachte der be-greifbare „Halt“ am vergangenen Freitag den Sieg beim Start-up-Pitch. Erstmals wurden im Rahmen der Preisverleihung zu „Sachsens Unternehmer des Jahres“ auch Start-ups ausgezeichnet. Statt dem Urteil einer Jury mussten sich die aus 78 Bewerbungen ausgewählten fünf Finalisten allerdings dem Publikum der Gala stellen – in einer maximal dreiminütigen Präsentation. Die rund 250 Gäste konnten auf einer Stimmkarte ihre Favoriten ankreuzen. Bei „Etage8“ sammelten sich die mit Abstand meisten Kreuze – wohl auch, weil die Konkurrenz unter anderem mit Software für autonomes Fahren oder Mobilfunk, innovative Rollstuhlkomponenten aus Carbon oder Teppichmodulen für den Wintersport starke, aber buchstäblich weniger greifbare Produkte am Start hatte.

Für Jonathan Geffen hatte der Pitch aber noch eine Besonderheit: sein Publikum. Tatsächlich sind bei der Preisverleihungs-Gala weitaus überwiegend mittelständische Unternehmer und Unternehmerinnen zu Gast, die genau wissen, wie es dem „Etage8“-Team jetzt geht. Denn nachdem das Quartett in den vergangenen zwei Jahren seine Möbel entwickelt hat, steht jetzt die Markteinführung an.

Dafür haben die vier Designer, die sich beim Industriedesign-Studium an der renommierten Burg Giebichenstein in Halle kennengelernt haben, die Marke „Mormor“ gegründet. Der Begriff meint in skandinavischen Sprachen die Mutter mütterlicherseits – und ihre Oma, erzählt Kirstin Overbeck, war auch eine der Inspirationsquellen dafür, über Möbel mit Handläufen nachzudenken.

Denn sowohl in Pflegeheimen als auch in Krankenhäusern gibt es die Mobilitätshilfen an Flur- und Treppenhauswänden – aber hinter den Zimmertüren ist meistens Schluss. „Es gibt zwar Waschbecken mit Haltegriffen oder auch Duschkabinen mit Reling – aber an Möbel hat so recht noch niemand gedacht“, sagt Benjamin Hein. Für seine Entwicklungen bevorzugt das Etage8-Team den Begriff „Aktivmöbel“ – sie sind eben explizit nicht nur für Pflegeheime, Rehakliniken und integrative Wohnformen gedacht, sondern auch für den privaten Bereich. Deshalb soll auch der Vertrieb mehrgleisig laufen: Es gibt auf der Mormor-Webseite einen Online-Shop. Gleichzeitig sind die jungen Gestalter mit ihren Entwicklungen auch auf Messen wie der Altenpflege Nürnberg, der Leitmesse der Pflegebranche, vertreten. Deren letzte Ausgabe im April, erzählt Benjamin Hein, brachte „vielversprechende Kontakte“.

Aus denen können jetzt auch unmittelbar Aufträge werden – die Produktionskette steht. Bis dahin war es ein bisweilen steiniger Weg. „Zulieferern zu erklären, warum wir welche Anforderungen haben – und warum wir die Variabilität brauchen, von zehn bis tausend Stück bestellen zu können, das war für beide Seiten ein Lernprozess“, sagt Geffen. Gleichwohl hat es das Etage8-Team geschafft, bei der Materialbeschaffung weitgehend in Ostdeutschland zu bleiben. So kommen die Handläufe aus dem Erzgebirge, die Tischgestelle aus Eisleben, Stuhlteile aus Bad Kösen. Dass zu den Anforderungen von Anfang an neben der technischen auch eine ästhetische Ebene gehörte, hat sich ausgezahlt: Die „Mormor“-Möbel haben inzwischen etliche Design-Preise abgeräumt – unter anderem den Sächsischen Staatspreis für Design und den renommierten Red-Dot-Award. Denn bei allen Ressourcen, die die Marke „Mormor“ mittlerweile beansprucht – das Quartett von „Etage8“, betont Kirstin Overbeck, versteht sich als Designer-Büro, das auch weiterhin Auftragsarbeiten wie Messestände oder Designprojekte für Unternehmen bearbeiten will. Nicht zuletzt, um das laufende Geschäft in Schwung zu halten. Für die „Mormor“-Entwicklung und den Anlauf der Produktion haben die Gründer ein „klassisches Bankdarlehen“ aufgenommen – und auch Unterstützung von einer potenziellen Kundin bekommen, die einen Fernsehbeitrag über „Halt“ gesehen hatte und begeistert war.

Auch insofern zahlt es sich aus, dass sich Jonathan Geffen nicht aus der Ruhe bringen ließ. Zur Markteinführung gehört auch Werbung – und im Preis-Paket für das Sieger-Start-up sind auch Media-Leistungen enthalten. Außerdem gibt es Beratung von der Wirtschaftsförderung Sachsen (WFS) – und die Möglichkeit, an einer Auslandsreise der WFS teilzunehmen.