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Sie fährt das Taxi Nummer 16

Lydia Wolf ist täglich rund 300 Kilometer unterwegs. Dabei lernt sie Leute und ihre Geschichten kennen. Einmal war ihr mulmig.

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© Norbert Millauer

Von Heike Sabel

Heidenau. Sie sind Kummerkasten, Seelentröster und manchmal auch Abladestation für Frust. Taxifahrer haben ein weiches Herz und sind hart im Nehmen. Meist sind es harte Kerle, denen man das weiche Herz nicht gleich ansieht. Bei Lydia Wolf spürt man es und glaubt das mit dem harten Nehmen nicht gleich. Als Springer fährt sie am Tag die Runde des Kollegen, der Nachtschicht hatte. So kennt sie fast alle. Schüler morgens und nachmittags, Patienten, die zur Dialyse oder Bestrahlung müssen, Urlaubsreisende und Leute auf Einkaufstour. Die meisten bestellen ihr Taxi immer sehr viel eher. Weil sie aufgeregt, nervös, ängstlich oder eben vorsichtig sind. Lydia Wolf ist pünktlich, und wenn es doch mal wegen Stau eng wird, kennt sie ihre Schleichwege.

Zwischendurch an die Heimatstation: der Heidenauer Nordbahnhof.
Zwischendurch an die Heimatstation: der Heidenauer Nordbahnhof. © Norbert Millauer
Alle auf einen Blick: Wo ist welcher Taxifahrer mit welchem Auto gerade unterwegs? Auch den täglichen Fahrplan bekommt Lydia Wolf aufs Handy geschickt.
Alle auf einen Blick: Wo ist welcher Taxifahrer mit welchem Auto gerade unterwegs? Auch den täglichen Fahrplan bekommt Lydia Wolf aufs Handy geschickt. © Norbert Millauer

So richtig zu spät ist sie noch nicht gekommen. Naja, einmal. Da war die Adresse falsch, nur die Hausnummer stimmte. Und erst kürzlich kam sie mit den Fahrgästen auf die letzte Minute zum Abfahrtsort ihrer Busreise. Aber verpasst hat noch niemand etwas.

Lydia Wolf ist 31 und fährt erst seit drei Jahren Taxi bei Reno König in Heidenau. Vorher ist sie auch schon gefahren, beim Fahrdienst der Johanniter. Da musste sie anders anpacken als jetzt, da es mal ein Koffer oder eine Tasche sind. Nach einer Rückenoperation war es aus mit dem Fahrdienst der Helfer. Helfer ist sie trotzdem geblieben, wenn auch anders.

Eine über 80-jährige Frau fuhr Lydia Wolf mehrere Male zur Bestrahlung. Die beiden Frauen haben sich gut verstanden. Einmal, als Lydia sie abholen wollte, stand der Jugendfreund der älteren Dame mit Blumen vor ihrer Tür. Da war sie geschmeichelt und hat sich gefreut und hat das auch mit Lydia geteilt. Jetzt sind die Bestrahlungen zu Ende. Lydia war ein bisschen traurig, dass sie für die letzte Fahrt der alten Damen nicht eingeteilt war. Aber vielleicht treffen sie sich ja mal wieder. „Ich habe ein gutes Gesichter-Gedächtnis“, sagt Lydia.

Erschrocken ist sie über die vielen Krebspatienten, mehrere von einer Straße. „Diese Krankheit ist immer so weit weg, ich hätte nie gedacht, dass es so viele sind.“ Die Dialyse-Patienten müssen dreimal pro Woche zur Blutwäsche. Da kann es schon mal sein, dass Lydia den Ersten früh um 6 Uhr in Ulbersdorf bei Dippoldiswalde holen muss.

Jeder Fahrgast bringt eine andere Geschichte mit, auf die sich Lydia Wolf einlässt. Mit den Schülern singt sie schon mal und die sagen dann „kannst mal das Radio lauter machen.“

Falscher Beifahrer

Ihr Fahrplan ist relativ voll. Sie bekommt ihn abends per Whatsapp. Früh die Schüler und Patienten, nach dem Mittag wieder. Zwischendurch, wenn doch mal etwas Luft ist, steht sie am Bahnhof. Meist nicht länger als eine halbe Stunde. Entweder es will jemand mitfahren oder die nächste bestellte Fahrt steht an. Im Schnitt rund 300 Kilometer kommen am Tag zusammen. Auch privat fährt die zweifache Mutter noch gern Auto.

Sie kann sich das als Beruf bis zur Rente vorstellen. Angst wäre der falsche Beifahrer, sagt Lydia Wolf. Würde es doch mal kribblig, gibt es die Kollegen. Einmal da fragte sie ein Mann immer wieder nach ihrer Telefonnummer. Ihr Nein konnte er nur schwer akzeptieren. Beim nächsten Mal gibt sie die Nummer vom Chef. Betrunkene fahren selten Taxi, und wenn dann werden sie im Auto meist ganz still.

Nur einmal war ihr doch etwas mulmig geworden, im wahrsten Sinne des Wortes. Die König-Taxis fahren mit Gas und da roch es mal komisch. Ein Kollege nahm ihr die Fahrt in die Werkstatt ab. Die Männer sind in Ordnung, sagt Lydia. Mal eine Bemerkung zum Einparken, mal ein Blondinenwitz. „Wie Männer eben so sind.“ Sie standen ihr auch bei ihrem ersten und bisher einzigen Unfall bei. Da war Lydia aufgeregt, obwohl sie keine Schuld hatte. Es war Heiligabend vor zwei Jahren an der Ecke am Heidenauer Rathaus. Zwei Stunden dauerte die Unfallaufnahme. Das Schlimmste war, ihr Arbeitsmittel, das Taxi Nummer 16, musste in die Werkstatt.