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Sicherheit im Anflug

Mit einer Hubschrauber-Sprung-Fahndung hat die Bundespolizei gestern ein Signal gegen Schleuser gesetzt.

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Von Frank Seibel

Nur das mit der Gülle war nicht geplant. Zwei Tage zuvor hatte der Bauer noch den stinkenden Dünger aufs Feld gestreut. Zum Glück flog nicht allzu viel davon durch die Luft, als gestern Vormittag der schwere Hubschrauber hinterm Autohaus an der Hauptstraße in Kottmarsdorf niederging. Pünktlich um halb elf setzte der „Puma“, der ein wenig aussieht wie eine riesige blaue Hummel, auf dem Acker auf, und
Sekunden später huschten ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs Menschen in neongelben Warnwesten unterm Rotor hinweg durch den Matsch aufs Dorf zu. Ein paar Rucksäcke, eine größere schwarze Tragetasche, eine Kelle mit roter Signallampe brachten die sechs mit und eilten direkt zur S 148, um ihre Arbeit zu machen. An der Haltebucht direkt vorm Feuerwehrhaus stellen sich die vier Männer und zwei Frauen auf. Blaue Uniformen, gelbe Warnwesten, schwarze Mützen gegen den eisigen Wind. In den kommenden zwanzig Minuten ist alles wie immer: Die sechs Uniformierten stellen sich an einer wichtigen Durchgangsstraße auf und winken die meisten PKW-Fahrer von der Fahrbahn in die Haltebucht. „Bundespolizei. Personenkontrolle. Ihren Ausweis und die Fahrzeugpapiere bitte.“ Nur den Matsch mit Gülle haben sie normalerweise nicht an den Schuhen. Denn normalerweise kommen die Beamten der Bundespolizeiinspektion Ebersbach mit einem Kleinbus angefahren und brauchen nur einige Schritte auf der Straße zu laufen, um ihre Arbeit zu machen. Dass sie quer über einen Acker laufen müssen, kommt allenfalls einmal im Jahr vor; dann, wenn „Hubschrauber-Sprung-Fahndung“ im Dienstplan steht.

Gestern war mal wieder einer dieser seltenen Tage. Drei sechsköpfige Teams – „Rennen“ genannt – waren fünf Stunden lang in der gesamten Region zwischen Weißenberg und Zittau, zwischen Oppach und Oberseifersdorf unterwegs, um Autofahrer zu kontrollieren, die aus Richtung der tschechischen Grenze ins Landesinnere fuhren. Zehn verschiedene Kontrollpunkte, zehn verschiedene Äcker; alles minutiös geplant. Mit 250 Stundenkilometern sausten die beiden Puma-Hubschrauber binnen fünf bis sieben Minuten von einem Ort zum anderen – mit dem Auto würde das jeweils drei- bis viermal so lange dauern. Normalerweise richten die Beamten einen Kontrollpunkt für mehrere Stunden ein. Doch wer etwas zu verbergen hat, bekommt das unter Umständen ziemlich schnell mit. Schleuser und Schmuggler schicken oft ein unverdächtiges Fahrzeug voraus, um zu prüfen, ob die Luft rein ist, sagt Patrick Gibron. Der Hauptkommissar hat diesen großen Einsatz minutiös vorbereitet und springt selbst mit einem Team von Ort zu Ort. „Wenn wir ganz plötzlich auftauchen, hat das oft noch einen Überraschungseffekt.“ Für diesen Tag hat er sich überlegt, nie länger als 20 bis 25 Minuten an einem Ort zu bleiben. Denn via Smartphone macht die Warnung vor einer Kontrolle heutzutage sehr schnell die Runde. Was so ein Einsatztag bringen mag? Vorher weiß man so etwas nie, sagt Patrick Gibron. Aber er hat Routen herausgesucht, die beliebt sind bei Schleusern, Schmugglern und Autodieben. Die B 178 am Ortsausgang von Oberseifersdorf sei eine Trasse, die gerne von Menschen aus dem Balkan genutzt werde, sagt Einsatzleiter Gibron. Auch aus dem Kosovo, woher zurzeit viele Menschen nach Sachsen kommen, die in ihrem Heimatland keine Existenzgrundlage mehr für sich sehen.

Wobei die Bundespolizei sich ganz auf illegale Einreisen konzentriert. Wenn den Beamten bei einer Kontrolle der Verdacht kommt, dass zwar die Papiere alle in Ordnung sind, die Leute im Auto aber etwas anderes angestellt haben, schauen sie sich ein Auto auch mal intensiver an.

So zum Beispiel den schwarzen BMW mit Bautzener Kennzeichen. Ein schmächtiger junger Mann sitzt am Steuer, blass und müde sieht er aus. Das ist freilich keineswegs verboten, aber als ein Beamter den Ausweis des Mannes durch den Scanner seines mobilen Computers zieht, fällt auf, dass der BMW-Fahrer vor drei Jahren wegen Drogenbesitzes aufgefallen ist. Es dauert nur Sekunden, bis diese Information direkt von der zentralen Datenbank beim Bundeskriminalamt im Display des kleinen Computers auftaucht, den jedes Kontrollteam mit sich führt. Daraufhin schaut Patrick Gibron mit einem Kollegen unter den Fahrersitz und lässt den jungen Mann sämtliche Jacken- und Hosentaschen leeren: Schlüssel, Papiere, Geld, Zigaretten, Taschentücher – alles kommt auf die Motorhaube. Dabei sind die Polizisten ganz ruhig und freundlich. Als der Autoschlüssel zu Boden fällt, hebt ein Beamter ihn auf und gibt ihn dem Mann, freundlich nickend. Wer vor drei Jahren mal etwas falsch gemacht hat, muss ja nicht heute noch wie ein Krimineller behandelt werden. Trotzdem öffnet Patrick Gibron noch rasch den Tankdeckel, als der Mann in seinen Wagen steigt. Routine. Die Polizisten haben im Laufe der Jahre die unmöglichsten Verstecke kennengelernt.

Insgesamt ist es sehr ruhig und friedlich an diesem Tag. Zwar halten die Polizisten bis zu drei Autos gleichzeitig an, die jeweils von zwei Beamten überprüft werden. Doch scheinen diesmal nur Menschen unterwegs zu sein, die alles richtig gemacht haben, rechtlich gesehen.

Nach zwei Stunden kommt im Funk-Knopf, den Patrik Gibron im Ohr hat, eine neue Fahndungsmeldung der Landespolizei an. In Obercunnersdorf wurde soeben ein Mercedes gestohlen, mit dem Originalschlüssel. Während auf dem Acker mit lautem Geknatter schon wieder ein blauer „Puma“ landet, machen sich die Polizisten ihren Reim auf die Sache. Der größte Polizeiaufwand bringt nichts, wenn die Leute leichtsinnig sind, sagt Frank Barby, der Pressesprecher der Bundespolizeiinspektion Ebersbach. Und der Aufwand ist enorm. Die beiden Hubschrauber sind in Blumenberg bei Berlin stationiert, mussten erst 180 Kilometer Luftlinie nach Bautzen fliegen – jeweils mit einem Piloten und einem Flugtechniker besetzt. In der Außenstelle der Bundespolizei nahe der Autobahn wurden die „Pumas“ noch einmal betankt, dann sind die Mannschaften zugestiegen. Rein rechnerisch hätten alle drei „Rennen“ in einen Hubschrauber gepasst, aber um flexibler zu sein, wurden die Teams auf zwei Maschinen verteilt. Aber die Sorge vieler Menschen ist ein Grund dafür, dass die Polizei hin und wieder auch solche Aktionen startet. Präsenz zeigen, sagt Patrick Gibron, ist ein wichtiges Ziel dieses Einsatzes mit Hubschrauber-Hilfe. Abschreckung für Schleuser, Schmuggler und Diebe einerseits, Beruhigung der Bevölkerung andererseits.

Am Ende des Einsatzes ist die Ausbeute gering. Ein Autofahrer wurde angehalten, weil sein Auto noch als „gestohlen“ im BKA-Computer registriert war. Aber das war der Besitzer, der sein Auto gerade von der Polizei in Tschechien abgeholt hat, die es sichergestellt hatte. Und ein Mann wurde festgestellt, der bei den Behörden nicht seinen aktuellen Wohnort angegeben hatte, aber Post vom Gericht bekommen sollte. Auch so etwas weiß die große Datenbank. Der Auftrag an die Polizei heißt dann: Wohnort-Feststellung.

Ansonsten war es ein perfekt organisierter, aber ruhiger Einsatz. Für die Piloten aus Berlin war es immerhin eine willkommene Übung. Das häufige Starten und Landen in hügeliger Landschaft bei starkem Wind – das verbessert die Routine, sagt Mathias Bissel, der Pilot von Puma Nummer 1. Und Routine ist wichtig. Denn Bissel und seine Berliner Kollegen fliegen auch regelmäßig die Bundeskanzlerin zu Terminen. Und im Sommer sind sie beim G7-Treffen in Bayern im Einsatz. Mit vielen besonders wichtigen Gästen. Deswegen müssen die Piloten und Techniker heute erstmal ihre „Pumas“ innen putzen. Wegen Gülle und Matsch aus der Oberlausitz.Auf ein Wort