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Sensationsfund in Bautzen

Die früheren Besitzer der Hertie-Warenhauskette waren von den Nazis enteignet worden. Ihre wertvolle Büchersammlung galt als verschollen – bis jetzt.

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© Robert Michalk

Von Sebastian Kositz

Bautzen. Hertie – das ist ein Begriff. Über Jahrzehnte dominierte das blau-rote Logo des Warenhauskonzerns deutsche Innenstädte. Die Geschichte der jüdischen Familie, die hinter dem 1882 gegründeten Unternehmen stand, ist hingegen weniger bekannt. Von den Nazis bereits 1934 aus ihrem Unternehmen gedrängt, verließen die Nachfahren des Gründers Hermann Tietze das Land. Die privaten Besitztümer wurden beschlagnahmt und verkauft. Dazu zählte auch eine wertvolle Büchersammlung, über deren Verbleib lange gerätselt worden war. Überraschend sind jetzt Teile davon aufgetaucht – in Bautzens Stadtbibliothek.

Vor zweieinhalb Jahren war in der Bautzener Bibliothek damit begonnen worden, gezielt nach Büchern zu suchen, die einst von den Nazis ihren rechtmäßigen Besitzern weggenommen wurden. Im Rahmen eines NS-Raubgut-Projekts durchforstet Dr. Robert Langer seitdem die Bestände nach Auffälligkeiten. Seine Funde blieben zunächst überschaubar. Bis er auf eine Besonderheit stieß. Denn kurz nach dem Krieg waren auffällig viele Bücher, die von jüdischen Autoren stammen oder in einem Kontext zur jüdischen Kultur standen, in die Stadtbibliothek aufgenommen worden.

Eigentümerstempel entdeckt

„Viele Bücher konnten die NS-Zeit gar nicht überstehen, weil sie von den Nazis aussortiert wurden“, erklärt Robert Langer. An vielen Büchern konnte er zunächst äußerlich keine Besonderheiten feststellen. Erst als Robert Langner in einer hebräischen Lesefibel einen Eigentümerstempel mit den Namen Tietz und einer Berliner Wohnanschrift fand, ließen sich plötzlich nach und nach die Puzzleteile aneinanderfügen. Robert Langer war schon zuvor in etlichen Bänden auf das Exlibris mit den Initialen „ETG“ gestoßen, es aber nicht auflösen können. Nun war klar: Es handelt sich um die Eheleute Edith und Georg Tietz. Gemeinsam mit seinem Bruder Martin und seinem Schwager Hugo Zwillenberg hatte Georg Tietz bis zur faktischen Enteignung das Warenhaus-Imperium geleitet.

Nach Schätzungen umfasste allein die Sammlung von Edith und Georg Tietz etwa 4 000 Bücher. Noch nicht genau geklärt ist, wie die ausgerechnet nach Bautzen gelangen konnten. Vermutet wird aber, dass eine Behörde des NS-Apparates die Bände in seinen Depots in Baruth und Drehsa zwischengelagert hatte – von wo aus sie nach dem Krieg schließlich nach Bautzen in die Bibliothek gebracht wurden und größtenteils im Altbestand im Magazin landeten.

Zuordnung ist schwierig

Im Magazin lagern heute immerhin etwa 80 000 Bücher. Davon hat Robert Langer bislang noch nicht einmal alle durchsehen können. Ohnehin ist die Zuordnung oft schwierig, weil das Etikett mit den Initialen der Vorbesitzer oft rausgerissen oder überklebt worden ist. Grob geschätzt vermutet Robert Langer aber rund 500 Bücher aus dem früheren Eigentum der Familie Tietz, die noch in Bautzen liegen. Es waren wahrscheinlich einst sogar viel mehr. Doch durch Aussonderungen dürften etliche abhandengekommen sein – weggeschmissen oder Anfang der 1980er-Jahre gezielt zur Devisenbeschaffung ins Ausland verkauft.

Um die offenen Fragen zu klären und den Bestand weiter durchzuarbeiten, will die Stadt das Projekt jetzt aufstocken, hat dazu auch weitere Mittel beim Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste beantragt, das schon jetzt die Arbeit unterstützt hat. „Ich freue mich über jedes Buch, das seinem früheren Besitzer zugeordnet und den rechtmäßigen Eigentümern zurückgegeben werden kann“, sagt Oberbürgermeister Alexander Ahrens (parteilos). Mit einem Teil der Erben gebe es bereits Gespräche.

Neben einer Rückgabe könnten die Erben beispielsweise auch einer Überlassung der Bücher an die Bibliothek zustimmen. Das Zentrum für Kulturgutverluste hat übrigens erstmals eine derartige Recherche in einer Stadtbibliothek unterstützt und will das Engagement ausbauen. „Wir haben in Deutschland 6 000 Bibliotheken mit einem ähnlichen Status wie in Bautzen und die über eine historische Sammlung verfügen“, so Uwe Hartmann vom Zentrum.

Die Bautzener Stadtbibliothek, Schlossstr. 10, lädt am 22. Oktober, 14 bis 18 Uhr, zum Tag der offenen Tür ein. Robert Langer spricht ab 16 Uhr im Lesesaal über die Entdeckungen.