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Senioren-WG statt Altersheim

Immer mehr Menschen über 75 Jahren leben in Löbau. Da entstehen auch neue Formen des Zusammenlebens.

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© Matthias Weber

Von Constanze Junghanß

Philipps Terrain ist groß. Der rotweiße Hauskater hat auf 4 000 Quadratmetern Platz zum Stromern zwischen Gemüsebeeten und Obstgehölzen. Vor drei Jahren erwarb Philipps Besitzerin mit ihrem Partner die parkähnliche Anlage hinter der Baumschule Schwartz. Mammutbäume, Baumhortensien und andere exotische Pflanzen wachsen dort seit Jahrzehnten. Kein Wunder: Die Villa im „Dresdener Stil“ wurde 1930 errichtet und der Park als Schaugarten des damaligen Bauherren angelegt. Das rötlich verputzte Gebäude versteckt sich romantisch hinter einer Apfelbaumplantage.

Im imposanten Bauwerk mit Rundbögen über der Terrasse wohnt Silke Schulze samt Kater und ihrem Lebensgefährten. Viel Mühe und Geld haben beide in den vergangenen Jahren in die Sanierung des Objektes gesteckt. Die eigenen Kinder sind erwachsen, studieren und arbeiten in Großstädten verteilt über ganz Deutschland. Löbau kehrte der Nachwuchs den Rücken. Und so ist nun jede Menge Platz im Haus. In der unteren Wohnung lebt das Paar. Die obere Wohnung, 130 Quadratmeter groß, sollte ursprünglich langfristig vermietet werden und ist momentan noch eine Ferienwohnung. „Doch für eine Wohnung dieser Größenordnung fanden wir in Löbau bisher keine Mieter“, sagt die 48-Jährige. Vielleicht auch deshalb, weil in der Stadt keine Wohnungsnot herrsche. „Hier ziehen jüngere Menschen wegen der Arbeit eher weg“, ist die Erfahrung der Krankenschwester. Es blieben die Älteren. Und deshalb hat sie sich nun überlegt, die Wohnung als Senioren-WG anzubieten. In Ballungsräumen wie Dresden oder Berlin gibt es diese Wohnform bereits, auch in Zittau steht eine Senioren-WG vor dem Start. Der Vorteil: Die Beteiligten sparen Kosten, teilen sich in Küchen- und Baddienste, haben fast immer einen Ansprechpartner. Und Wohngemeinschaften für Auszubildende und Studenten liegen deutschlandweit so oder so schon lange im Trend. Warum also sollte das nicht auch für die „Generation Ruhestand“ vor Ort gelten?

Ob jedoch in Löbau überhaupt eine Nachfrage bestehen könnte, müsste sich nun erst einmal zeigen. Dass genug potenzielle Interessenten da sein sollten, zeigen die Zahlen: Derzeit liegt das Durchschnittsalter der Löbauer bei 48,2 Jahren, Stand 2014. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 waren das noch 42,6 Jahre. Während im gleichen Zeitraum die Zahl der 70 bis 75-Jährigen mit 1 358 damals zu 1 375 fast konstant blieb, kletterte sie bei den Menschen ab 75 Jahren und aufwärts ganz klar nach oben. Im Jahr 2000 gab es 1 897 Senioren dieses Alters. 14 Jahre später waren es bereits 2955. Diese Zahlen sind aus den Tabellen des Statistischen Landesamtes Sachsen ersichtlich. Eingerechnet sind dabei auch die eingemeindeten Ortschaften Großschweidnitz, Rosenbach und Lawalde.

Von Berufs wegen kommen der agilen Frau die einen oder anderen Probleme von älteren Patienten zu Ohren, die vor allem mit der Infrastruktur auf den umliegenden Dörfern zu tun haben. „Busse fahren immer weniger, sodass die Senioren ohne eigenes Fahrzeug immer schlechter zu notwendigen ärztlichen Behandlungen oder zum Einkaufen kommen“, sagt Krankenschwester Schulze. Mancher Rentner oder Rentnerin lebe zudem ganz allein in einem Haus und ohne Angehörige auf dem Dorf. Das führe teilweise zur Abkapselung gegenüber der Außenwelt, da eigene Mobilität nicht immer vorhanden ist.

Viele ältere Menschen würden sich aber bei solchen Problemen damit schwertun, in ein Betreutes Wohnen oder ein Altersheim umzuziehen. Eine WG, also eine Wohngemeinschaft, sei deshalb ihrer Meinung nach eine gut geeignete Alternative. Auch, um einer Vereinsamung im Alter entgegen zu wirken.

Laut einer Umfrage eines Internet-Immobilienportals im Vorjahr sind fast 50 Prozent der Deutschen für so eine Wohnform offen. Diese Erfahrung hat auch die künftige Vermieterin gemacht. „Ich frage jetzt bereits ein bisschen herum, ob sich Leute mit so einer Idee anfreunden könnten und höre da verschiedene Meinungen“, sagt sie. Jeweils zur Hälfte sei von Ablehnung bis Zustimmung alles dabei. Auf der Pflegemesse war Silke Schulze ebenfalls als Gast. Allerdings seien dort Wohngemeinschaften dieser Art noch kein Thema gewesen. Sie überlegt nun, ihr Projekt bei der nächsten Pflegemesse vorzustellen, um Kontakte zu knüpfen.

Wichtig sei, dass diejenigen, die sich für solch eine alternative Wohnform entscheiden, auch einen guten Draht miteinander haben. Denn nicht nur Küche und Bad werden miteinander geteilt, sondern auch die Gedanken und vielleicht gemeinsame Interessen. Die Chemie der Bewohner untereinander muss also stimmen. Ein eigenes Zimmer als Rückzugsort und Lebensraum gibt es in der Villa für jeden auch. Dazu die Möglichkeit, Beete im Garten anzulegen, gemeinsam zu grillen oder den Park mit zu nutzen. Und auf Wunsch würde die Vermieterin auch Fahrten in die Stadt zum einkaufen und zu Terminen anbieten. Silke Schulze hätte Platz für bis zu fünf Personen. Nun muss sich zeigen, ob ihr Projekt auf Resonanz stößt.