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Selbstbestimmt durch Roßwein

Der Behindertenbeirat lässt nicht locker. Schon bevor etwas gebaut wird, räumt er Barrieren weg.

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© André Braun

Von Heike Heisig

Roßwein. Wer sich auf das Blindenleitsystem am Döbelner Busbahnhof verlassen muss, kann in die Irre laufen. „Dort sind Platten falsch eingebaut“, hat Thorsten Gruner festgestellt. In Roßwein an der neuen Ampelkreuzung vor der Post ist das nicht passiert. Da sind Gruner und die übrigen Mitglieder des Behindertenbeirates schon in der Gestaltungsphase einbezogen worden. Für die Bauleute war das eine relativ neue Herausforderung –  obwohl es die Vorschriften dafür seit den 1990er-Jahren gibt.

Kerstin Bauer weiß das ganz genau. Sie ist seit diesem Jahr eine der Vorsitzenden des Behindertenbeirates, in dem sie sich seit vielen Jahren engagiert. Der Mutter einer behinderten Tochter liegt am Herzen, dass Menschen mit Handicaps gut durchs Leben kommen. Als Bauplanerin hat sie an der Überarbeitung der Vorschriften für Gebäude mit Publikumsverkehr wie Rathäuser und Arztpraxen mitgewirkt. Einen zweiten Katalog gibt es für öffentliche Verkehrsflächen. „Bei allen neuen Bauvorhaben müssen die Vorschriften beachtet und umgesetzt werden“, erklärt Kerstin Bauer. Dabei sieht sich der Behindertenbeirat in zweierlei Funktion: als Berater und derjenige, der darauf achtet, dass nichts vergessen wird – zuletzt beim Neubau der Sporthalle.

Zufriedenheit bei allen haben die Mitglieder letztlich nicht erreicht. Friedrich Brixi, der seit Kindesbeinen an mit einer Hörschädigung lebt, wies darauf hin, dass für Hörgeschädigte noch mehr hätte getan werden können. „Stimmt, vielleicht“, findet Thorsten Gruner. „Aber da müssen wir zuerst auf die Hauptnutzung gucken, den Schulsport. Dafür genügt die Ausstattung“, sagt er. „In erster Linie ist es unser Anliegen, dass Sicherheit erreicht wird. Das ist das Wichtigste bei allen Dingen, derer wir uns annehmen“, erklärt er.

„Grundsätzlich“, findet Kerstin Bauer, „geht es darum, dass sich alle Leute selbstbestimmt zurechtfinden, nicht auf fremde Hilfe angewiesen sind.“ Ausgerichtet sei das nicht nur auf die immer älter werdende Bevölkerung, sondern treffe genauso auf die Mutter mit Kleinkind und Kinderwagen oder den Mann mit Gipsbein zu. Dabei zeigen sich die Mitglieder des Beirates durchaus kompromissbereit. Die weißen Platten, die zum Blindenleitsystem gehören, sind am Fußweg an der Poststraße von einer Schachtabdeckung unterbrochen. Das ist unüblich, in diesem Fall aber nicht zu ändern. Verhinderer – das wollen die Behindertenbeiräte bei Weitem nicht sein.

Das nächste Projekt, bei dem die ungefähr 15 Männer und Frauen mitwirken möchten, ist die Gestaltung eines Bürgerhauses. Nach ersten Plänen wird es dort endlich eine öffentlich zugängliche Behindertentoilette geben. Dieser Punkt steht schon lange auf der Agenda des Beirates.

Der möchte im nächsten Jahr auch eine neue Qualitätsstufe in Sachen Aufklärung angehen. Vor etwa zehn Jahren haben die Beiräte am Gymnasium in Hartha damit angefangen, darauf hinzuweisen, wie Blinde durchs Leben kommen, wie es sich ohne Gehör lebt – „und, dass wir Menschen mit Beeinträchtigungen wie jeder andere behandelt werden wollen“, sagt Thorsten Gruner.

Er hat schon oft erlebt, dass Mitmenschen ihm Gutes tun wollten, ihn über die Straße führten, er das aber gar nicht vorhatte und wollte. Inzwischen gehen die Räte mit Schwarzbrillen und Rollstuhl für den Selbsttest der Schüler auch an die Oberschule, dieses Jahr erstmals an die Grundschule. „Die Reaktion der Kinder dort war eine ganz neue Erfahrung für mich“, gesteht Kerstin Bauer. Nach ihrer Empfindung gelang es schnell, Vorurteile abzubauen. Die Kinder fragten vieles, was sie sich an anderer Stelle vielleicht nicht getraut hätten.

Über den Winter will sich die Roßweinerin an ein Konzept zur Arbeit mit Vorschülern setzen. Wenn eine Kindereinrichtung mitgeht, soll es für die Abc-Schützen dort die Möglichkeit geben, sich dem Thema musisch-spielerisch zu nähern. Fürs Frühjahr ist ein Sinnesabend geplant, und wenn die neuen Ampeln in Betrieb sind, ein Rundgang, bei dem sich die Stadträte einmal im Rollstuhl oder mit einem Blindenstock über das Leitsystem tasten können.

„Wir sind wirklich froh, das wir mit dem Roßweiner Bürgermeister einen Gesprächspartner haben, der für unsere Hinweise und Forderungen offen ist“, sagt Thorsten Gruner. In Döbeln spüre er diesen Willen, das Entgegenkommen nicht. Wegen der festgestellten Mängel am Busbahnhof habe es vom Blinden- und Sehschwachenverband eine Einladung zur Kreisorganisation nach Freiberg gegeben. „Wir haben von der Stadt Döbeln nicht einmal eine Antwort auf unser Schreiben bekommen“, so Gruner, der sich auch in diesem Kreisverband engagiert.

www.rosswein.de, www.bsv-sachsen.de