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Seit 80 Jahren Teil der Stadt

Naundorf wurde zum 1. April 1937 eingemeindet. Willy Felgner hat festgehalten, wie sich das Leben im Dorf vorher abspielte.

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© Klaus-Dieter Brühl

Von Kathrin Krüger-Mlaouhia

Naundorf. Willy Felgner, genannt Mulli, war ein heimlicher Chronist seines Geburtsortes Naundorf. Geboren zu Beginn des Ersten Weltkrieges verlebte er seine Kindheit und Jugend auf dem Gänseberg – dem östlichsten Zipfel des einst selbstständigen Dorfes. In seinen Aufzeichnungen von etwa 1925 hat er die Anlieger der Dorfstraße, wie die Radeburger Straße damals hieß, in lockerer Manier folgendermaßen aufgezählt: „An der Ecke zum Walkdamm die Gastwirtschaft des Zur, August. Der Wirt, ehemaliger Husar, stattlich, mit Schnurrbart, gezwirbelt a la Kaiser Wilhelm II. Mancher Umtrunk auf dem nächtlichen Nachhauseweg wird dort noch eingenommen. In Nummer 16 das Fahrrad- und Nähmaschinengeschäft des Reißig, Robert. Schräg gegenüber das Gehöft des Landwirts Behla, Huldreich. Sohn Otto war ab Ostern 1921 mein Schulkamerad.

Historische Aufnahmen von Naundorf

Die ehemalige Volksschule war später die Firma Boa Hoffmann, Radeburger Straße 39. Heute ist hier ein Wohnhaus. 1924 wurde die Schule, die auch einen Pausenhof zum Fußballspielen hatte, der Stadtschule angegliedert, die älteren Naundorfer Kinder gingen dann zum Unterricht in die Schubertallee bzw. Schillerstraße.
Die ehemalige Volksschule war später die Firma Boa Hoffmann, Radeburger Straße 39. Heute ist hier ein Wohnhaus. 1924 wurde die Schule, die auch einen Pausenhof zum Fußballspielen hatte, der Stadtschule angegliedert, die älteren Naundorfer Kinder gingen dann zum Unterricht in die Schubertallee bzw. Schillerstraße.
Das Café Naundorf von Paul Eilenberger mit Bäckerei befand sich stadtauswärts rechts. Heute ist das die Radeburger Straße 84b – ein Wohnhaus. Paul Eilenberger war Bäckermeister, das Café ein beliebter Treffpunkt.
Das Café Naundorf von Paul Eilenberger mit Bäckerei befand sich stadtauswärts rechts. Heute ist das die Radeburger Straße 84b – ein Wohnhaus. Paul Eilenberger war Bäckermeister, das Café ein beliebter Treffpunkt.
Die Glaserei/Bautischlerei Arno Mann in der Radeburger Straße 30. Das Foto zeigt die typische Form der Grundstücke: schmaler Hof zwischen Wohnhäusern mit Scheune.
Die Glaserei/Bautischlerei Arno Mann in der Radeburger Straße 30. Das Foto zeigt die typische Form der Grundstücke: schmaler Hof zwischen Wohnhäusern mit Scheune.
Die Gastwirtschaft Ostende, die heutige Radeburger Straße 112. Wilhelm Liebenow war hier Wirt und Fleischer. Eine Wäschemangel gab es auch. Doch das östliche Ende von Naundorf ist dieses Gebäude heute nicht mehr. Da kommen noch die Gärten und die Agip-Tankstelle in der Nummer 150.
Die Gastwirtschaft Ostende, die heutige Radeburger Straße 112. Wilhelm Liebenow war hier Wirt und Fleischer. Eine Wäschemangel gab es auch. Doch das östliche Ende von Naundorf ist dieses Gebäude heute nicht mehr. Da kommen noch die Gärten und die Agip-Tankstelle in der Nummer 150.
Die Zitz- und Kattunmanufaktur, später Blaudruckfabrik Jentzsch, wurde 1763 gegründet. Schon 1834 erhielt sie zum Bleichen und Färben eine Dampfmaschine. Die Gebrüder Jentzsch produzierten hier ab 1910; 1950 wurde die Fabrik verstaatlicht. Dann war es VEB Stoffdruckerei, Lautex, VEB Textilveredlung. Bis 1998.
Die Zitz- und Kattunmanufaktur, später Blaudruckfabrik Jentzsch, wurde 1763 gegründet. Schon 1834 erhielt sie zum Bleichen und Färben eine Dampfmaschine. Die Gebrüder Jentzsch produzierten hier ab 1910; 1950 wurde die Fabrik verstaatlicht. Dann war es VEB Stoffdruckerei, Lautex, VEB Textilveredlung. Bis 1998.
Ortsansichten auf einer alten Postkarte um 1920. Markant unten: das „Kriegerdenkmal“ für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Im Ort gab es eine Vereinigung der Obst- und Gartenfreunde, eine Sparkasse und eine Ortskrankenkasse.
Ortsansichten auf einer alten Postkarte um 1920. Markant unten: das „Kriegerdenkmal“ für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Im Ort gab es eine Vereinigung der Obst- und Gartenfreunde, eine Sparkasse und eine Ortskrankenkasse.
Biergarten im Gasthof, dem späteren Lindengarten (Liga). Besitzer war Max Lotze. Im Tanzlokal gab es Bauernball und Kirmestanz. Bis 1958 wurde hier zu handgemachter Musik getanzt. Alle Dorffeste und Feiern fanden im großen Saal mit Bühne statt, angeschlossen die Mampe – eine Stube mit lauschigen Schmuseecken für die Pärchen. Sonntagabends gab´s „FF Ballmusik“ mit der Kapelle Schmorl oder der Stadtkapelle.
Biergarten im Gasthof, dem späteren Lindengarten (Liga). Besitzer war Max Lotze. Im Tanzlokal gab es Bauernball und Kirmestanz. Bis 1958 wurde hier zu handgemachter Musik getanzt. Alle Dorffeste und Feiern fanden im großen Saal mit Bühne statt, angeschlossen die Mampe – eine Stube mit lauschigen Schmuseecken für die Pärchen. Sonntagabends gab´s „FF Ballmusik“ mit der Kapelle Schmorl oder der Stadtkapelle.

Rechts die Zufahrt zum Landwirt Richter Nummer 8, Spitzname „Kohle“. Er hatte immer ein wunderschönes abgestimmtes Pferdegespann. „Kohle“ war ein talentierter Fußballer, dem ich beim Bäbbeln manchen Trick abgucken kann. In Nummer 6 die Familie Arno Mann, Glaserei und Bautischlerei. In Nummer zwei der Gasthof Naundorf, Besitzer Lotze, Max. Alle Feste und Feiern dort in dem großen Saal mit Bühne, angeschlossen die Mampe – eine Stube mit lauschigen Schmuseecken für die Pärchen. Sonntagsabends „FF Ballmusik“ mit der Kapelle Schmorl oder der Stadtkapelle. Dann die Zufahrt zum Rittergut. Fast jedes Jahr auf dem Schornstein der stillgelegten Brennerei ein Storchennest. Links in Nummer 24 die Kummer-Schmiede, seit mehreren Jahrzehnten in Familienbesitz.

Dann der Abzweig zum Froschwinkel, der späteren Carl-Naumann-Straße. Naumann ist schon viele Jahre Bürgermeister des Ortes. Drüben noch unsere Volksschule, nicht weit davon der Schulhof – Stätte des Austobens beim beliebten Fußballspiel. Rechte Seite folgt bald die Bäckerei/Café Eilenberger in Nummer 84b. Oben im zweiten Stock wohnt mein verehrter Lehrer Volke, Clemens. Ach, da kommt gerade der Lehrjunge des Meisters vorbei, auf seinen Schultern ein Kummet, an beiden Seiten baumeln leere Wassereimer. Er ist auf dem Weg zum Brunnen, Plumpe genannt, an der Volksschule, um das anerkannt sehr gute Wasser zu schöpfen.

Westwand: roter Briefkasten

Auf der linken Straßenseite eine Reihe von Gärten, sie gehören zu den Anwesen im Froschwinkel. Rechts am Hof von Ermann, Alfred, Nummer 80, vorbei zum Gutshof des Born, Max. An der Röderbrücke zwei mächtige hohe Kastanienbäume. In Nummer 72 Schumanns Hof. Auf dem schiefergedeckten Scheunendach oft Nistplatz eines Storchenpaares. Es gehört im Sommer dazu wie das Amen in der Kirche.

Wir wandern weiter, rechts die Gehöfte einiger Landwirte, Fischer (Nummer 76/46), Fiedler (Nummer 32), Niese, Hermann (Nummer 70), Haase, Otto (Nummer 69), die Gärtnerei Schurig, Max (Nummer 68) und noch drei Anwesen bis zum Landwirt Ilschner, August/Kurt (Nummer 64). Links gegenüber ein Lebensmittelgeschäft, Nummer 57. An der Westwand hängt der rot angestrichene Briefkasten, für uns Jungen das Mal beim Such- und Fangspielen. Rechts nach Ilschners beginnt der Park. Hier in seiner Ecke das Denkmal der Gefallenen des Ersten Weltkrieges. (Es sei heute erwähnt, dass es auch durch den Zweiten Weltkrieg keinen Schaden gelitten hat, die Rote Armee respektierte das!) Etwas weiter links drüben, Nummer 63, die Bäckerei Schilling. Wenn die Frauen hier in der Vorweihnachtszeit in der großen Backstube ihre Stollen backen, schaue ich gern zu.

Fast gegenüber im Park die Villa, immer den jeweiligen Direktoren der Kattunfabrik vorbehalten. Vor den zurückstehenden Fabrikgebäuden eine Wiese, abgegrenzt mit Eisengeländer – unsere Turnstangen, Bauchwelle und Umschwung in die Wiese hinein waren bevorzugte Übungen. Jetzt beginnt der sogenannte Gänseberg, leicht ansteigend. Nur wer mit dem Fahrrad strampeln muss, bemerkt es. Nach einigen Wohnhäusern die Gastwirtschaft „Ostende“ mit Metzgerei des Liebenow, Wilhelm, Nummer 58b. Eine Wäschemangel dient den Hausfrauen zur Bügelei. Ich kräftige beim Drehen des großen Schwungrades meine Muskulatur, wenn Mutter gemietet hat. Gegenüber Ackerland bis zum Schiefen Weg: Er führt Richtung Bahnwärterhaus. Krause, Kurts Vater geht hier seinem Dienst nach.

Nun zu beiden Seiten der Dorfstraße noch Wohnhäuser, aber bald schließen die Fußsteige mit Geländer ab. Denn es beginnen die Straßengräben, Obstbäume säumen sie. Rechts eine lange Sandgrube. Die Erdschwalben mit ihren schwarzen Köpfchen haben in der steilen Wand ihre Schlupflöcher. Gegenüber Felder, soweit das Auge reicht, bis über die Eisenbahnlinie hinweg zum Spittelteich. Noch die beiden Häuser von Ludwig, Heinrich in Nummer 97 und Haase, Rudolf, Nummer 96 – mein Geburtshaus. Da pfeift uns der kalte Ostwind ganz schön um die Ohren.

Bis zur Dorfgrenze Folbern sind es noch ungefähr 80 Meter. Die weißen Steinbänke weisen auf ein querfließendes Bächlein hin. Diese Stelle ist jedes Jahr das Ziel bei der Hubertusjagd der Großenhainer Reiter-Garnison. Bis hierher ist unsere Wanderung rund 2,5 Kilometer gewesen.“

Ab 1924 in die Stadtschulen

Soweit die Schilderungen von Willy Felgner, der 1945 in den Westen ging und 1994 in Grünberg/Hessen gestorben ist. In seinen Erinnerungen, die er nach eigener Angabe erst 1985 verfasste, zählt er die Leute von Gänseberg auf, die Fabriker, den Froschwinkel und das Unterdorf, das an die Stadt angrenzte. Er beschreibt ein Schulfest, die Schulwanderungen mit dem jungen Lehrer Max Bennewitz und das Ende der Volksschule im Herbst 1924: „Die vierstufige Schule in Naundorf wurde der achtstufigen Volksschule in Großenhain eingegliedert. Von nun an wanderten die fünften bis achten Schuljahre in die Stadt, für unser Dorf ein ideeller Verlust!“ Viel Raum nimmt der 1900 gegründete Turnverein ein, in dem Felgner selbst Mitglied war. Auch Faustball und ab 1929 Feldhandball wurden in Naundorf gespielt. Es gab den Gesangverein.

1 000 Einwohner hatte Naundorf damals. Auch der Flugplatz und das Husarenviertel gehörten dazu. Nach Mülbitz war es der zweite Vorort, der seine Amtsgeschäfte der Stadt übergab. Bürgermeister Naumann war 1933 in den Ruhestand gegangen. Mit Steuereinnahmen der Kattundruckerei wurde 1935 die Straße gepflastert.