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Schwieriges Verhältnis

Sascha Stegemann hat schon an seiner Schiedsrichter-Karriere gezweifelt – jetzt pfeift er in der Bundesliga.

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© Robert Michael

Von Andreas Pfitzner

Sonnabend, 18. Mai 2013, letzter Spieltag in der Fußball-Bundesliga: Hoffenheim führt in Dortmund 2:1. Es läuft die 94. Minute, als Schmelzer der Ausgleich für die Gastgeber gelingt. Doch das Tor zählt nicht, der Schütze steht im Abseits. War sich Schiedsrichter Jochen Drees in diesem Moment der Tragweite seiner Entscheidung bewusst? Hätte er das Tor anerkannt, wäre Hoffenheim abgestiegen…

„Dieser Situation muss ein Unparteiischer gewachsen sein“, sagt Sascha Stegemann auf der Jahresabschlussveranstaltung der Dresdner Schiedsrichter. Der 31-Jährige wird mit viel Applaus empfangen, was ja sonst nicht gerade üblich ist. Da sind schnell mal 50 000 Zuschauer, gelegentlich 22 Spieler und immer öfter auch die Trainer gegen ihn. Der Diplom-Verwaltungswirt aus Niederkassel zählt zu den jüngsten erstklassigen Schiedsrichtern in Deutschland. Bis ins Jugendalter hat er selbst gespielt, seit 2008 ist er auf DFB-Ebene aktiv, nun bereits drei Jahre in der höchsten Klasse mit bislang 30 geleiteten Spielen.

Für die überwiegend jungen, etwa 450 Zuhörer im Saal hat er interessante Fakten parat. Schiedsrichter sind Einzelkämpfer, stehen mittlerweile im „Schaufenster“, denn das öffentliche und finanzielle Interesse des Fußballs ist größer geworden. Vereine sind Wirtschaftsunternehmen. Für die Medien werde man zunächst nur interessant, wenn Fehler passieren. Die kann man vermeiden oder verringern – auch durch körperliche Fitness.

„Schnelles Umschaltspiel und Gegenpressing waren doch vor zehn Jahren noch gar nicht aktuell. Wenn ich jetzt in der 88. Minute nach vielen Sprints nur hechelnd der Situation hinterherlaufe, ist die Wahrscheinlichkeit relativ gering, eine richtige Entscheidung zu treffen“, erzählt Stegemann. Zehn bis zwölf Kilometer absolviert er in einer Begegnung. Dafür ist ein strukturiertes Training nötig. Zweimal wöchentlich joggen, wie noch vor Jahren, reicht schon lange nicht mehr aus.

Viel Wert legt er auch auf das Leben abseits des Fußballs, um sich körperlich und mental zu erholen. Reisen und ein gutes Essen mag er ebenso wie Kabarettbesuche oder einen sehenswerten Film.

Schiedsrichter ist sein Beruf, aber ein negatives Erlebnis ließ ihn an dieser Karriere zweifeln. Damals stellte er in einem Regionalligaspiel drei Spieler der Heimmannschaft vom Platz, pfiff zwei Elfmeter gegen sie. Der 1:2-Endstand bedeutete den Abstieg für die Gastgeber. Nach der Partie wurde sein Auto beschädigt, und er musste unter Polizeischutz aus dem Stadion gebracht werden. „Es war ein Schlüsselerlebnis. Ich glaube, heute würde mir das nicht mehr passieren. In diesem Fall hatte ich nur reagiert und nicht agiert“, sagt Stegemann. Mit jedem Spiel sammelt er Erfahrung, die er für Schiedsrichter als das Wichtigste erachtet.

Das Verhältnis zwischen „Pfeifenmännern“ und Spielern sei „von der ersten bis dritten Liga entspannter geworden“, erzählt der Rheinländer. „In den unteren Klassen fehlt dagegen oft der Respekt, werden die Unparteiischen teilweise zum Freiwild. Obwohl gerade sie die wahren Helden des Fußballsports sind, die Woche für Woche den Spielbetrieb aufrechterhalten“, sagt Stegemann.

Emotionen mit deftigen Worten

Schließlich pfeifen nur 23 der deutschlandweit 80 000 Männer in Schwarz in der obersten Klasse. Wobei es ja inzwischen erstens auch Frauen und zweitens mehrere Trikotfarben gibt, und er selbst die Farbe Gelb bevorzugt. Doch das ist schon sein einziges Ritual.

Er pflegt keine Spielerkartei und stellt hohe Ansprüche an sich selbst. Was ihn auf die Palme bringt? Ganz wenig. Emotionen erzeugen mitunter deftige Worte. Doch die sollten auf dem Platz bleiben. „Wenn man dann am Ende des Tages wegen seiner Entscheidungen und als Persönlichkeit akzeptiert wird, zählt man zu den guten Schiris“, meint Stegemann. Das bestätigt auch Stefan Kutschke. Der Stürmer von Dynamo Dresden ist Talkgast bei der Veranstaltung. „Man spürt das souveräne Auftreten bei Schiedsrichtern, die schon lange im Geschäft sind. Bemerkenswert sind solche Momente, wenn einer nach dem Spiel auf dich zukommt und einen Fehler eingesteht“, meint der 28-Jährige. „Wir beschäftigen uns erst kurz vor dem Spiel damit, wer es leitet. Es gibt nun mal Schiris mit unterschiedlichen Verhaltensmustern.“

Sein Eingeständnis: „Wenn du hinten liegst, sind sowieso alle anderen, also auch der Schiedsrichter schuld. Beeindruckend finde ich, wenn sie in Sekundenschnelle bei kniffligen Situationen die richtige Entscheidung treffen.“ Kutschke sieht die Diskussion um einen Videobeweis positiv, der „hilfreich wäre, aber das Verhältnis zwischen Spieler und Schiedsrichter nicht beeinflussen würde“. Doch zu viele Fragen sind noch offen. Wann und wie lange soll dann ein Spiel unterbrochen werden?

Generell freut sich der Profi auf angesetzte Schiedsrichter, mit denen der Verein eine gute Bilanz hat. Sascha Stegemann gehört wahrlich nicht dazu. Sechsmal leitete er Spiele der Dresdner, sechsmal ging Dynamo als Verlierer vom Platz…