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Schwierige Lage mit Flüchtlingen

Der Landkreis würde erneut Wohnungen in Reichenbach für Asylsuchende mieten. Der Stadtrat ist skeptisch.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Anja Gail

Bisher gibt es in Reichenbach mit den Flüchtlingsfamilien keine größeren Probleme. Das ist nach Einschätzung von Bürgermeisterin Carina Dittrich vor allem jenen Bürgern zu verdanken, die uneigennützig helfen, vermitteln und da sind, wenn es doch zu Reibungspunkten kommt. Dennoch wird dieses Bild auch von Vorkommnissen in diesen Tagen überschattet. Erst am Sonnabend musste die Polizei zweimal zur Gemeinschaftsunterkunft im ehemaligen Motel „Schlesierland“ ausrücken. Dort war es zu Handgreiflichkeiten zwischen einigen Männern gekommen.

Der Stadtrat hat sich angesichts der komplexen Situation auch nicht dafür ausgesprochen, dem Landkreis Görlitz weitere zehn Wohnungen für Flüchtlingsfamilien in Reichenbach bereitzustellen. Darüber soll erneut im März diskutiert werden. Die SZ stellt Fakten zur Situation zusammen und beantwortet erste Fragen.

Wie viele Flüchtlinge leben zurzeit in Reichenbach und im Motel?

Die 15 dezentralen Wohnungen im Stadtgebiet sind alle an Flüchtlingsfamilien vermietet. Sie sind für 60 Personen ausgelegt. Da die ersten von ihnen bereits den Status als Asylbewerber erlangt haben und die Wohnungen verlassen müssen, gibt es einen Wechsel in der Belegung. Die Wohnungen werden nach Information der Bürgermeisterin vom Landkreis umgehend an neue Familien vergeben. Im ehemaligen Motel „Schlesierland“ sind zurzeit nach Auskunft des Landratsamtes 60 Bewohner untergebracht, davon 14 als Einzelpersonen und 46 innerhalb von zwölf verschiedenen Familien. 51 Flüchtlinge stammen aus Syrien, vier aus dem Libanon, drei aus dem Irak und zwei aus Afghanistan.

Also täuscht der Eindruck, dass das Motel nur junge Männer bewohnen?

Ja, wenn man sich die genannten Zahlen ansieht. Nein, wenn man bedenkt, dass auch zu den zwölf Familien Jungen und Männer gehören. Und da die männlichen Bewohner oft auch gemeinsam unterwegs sind und die Frauen mit den kleineren Kindern mehr in der Gemeinschaftsunterkunft bleiben, entsteht dieser Eindruck.

War das am vorigen Sonnabend der erste Polizeieinsatz im „Schlesierland“?

Nein. Nach Auskunft der Polizei in Görlitz gab es im Dezember eine Streitigkeit mit Handgreiflichkeiten, im Januar wurden der Polizei zwei Bewohner als vermisst gemeldet, im Februar kam es einmal zu Hausfriedensbruch, als sich eine unberechtigte Person in der Unterkunft aufgehalten hat und zu den beiden Einsätzen am vorigen Sonnabend. Insgesamt verläuft dennoch alles ruhig, weshalb selbst Nachbarn in Oberreichenbach erstaunt waren, dass die Polizei am vorigen Sonnabend eingreifen musste. Die Behauptung eines Reichenbachers, es habe vor wenigen Wochen einen großen Einsatz in der Flüchtlingsunterkunft gegeben, bestätigt die Polizei nicht. Anwohner erzählen, dass es unlängst eine größer angelegte Kontrolle von Autos gegeben hat.

Welche Vorkommnisse geben ansonsten Anlass zur Sorge?

Die Geschäftsleitung des Netto-Marktes in Reichenbach hat sich nach Auskunft der Bürgermeisterin an die Stadt gewandt, weil mehrfach gestohlen wurde. Das passiere meistens abends und dabei sei eine „Gruppe von jungen Männern“ im Markt aufgefallen. Außer dem Rathaus sind auch die Asyl-Helfer in der Stadt, das DRK als sozialer Betreuer und die Polizei informiert worden, sagt Carina Dittrich. Es sei wichtig, jeden Diebstahl anzuzeigen. Auch die schwierige Situation mit den jungen Flüchtlingen ohne Eltern im ehemaligen Hotel „Atos“, das von der Chancenwerkstatt Oberlausitz bewirtschaftet wird, sei ein Problem. Dort hat der Landkreis 20 Plätze eingerichtet. Es sind nach Auskunft der Bürgermeisterin 13- bis 18-Jährige. Zumindest wird das Alter so von den Jugendlichen angegeben. Viele von ihnen hätten in Großstädten gelebt. Nun sind sie in Markersdorf. Sie müssten beschäftigt werden. Vor diesem Hintergrund hat die Stadt auch einem privaten Interessenten abgeraten, der das alte Herrenhaus in Gosswitz kaufen und für 30 minderjährige Asylbewerber betreiben will. Die Stadt muss aber auch davon ausgehen, dass aus dem privaten Bereich noch mehr solche Interessenbekundungen kommen, auch, was den Wohnungsmarkt angeht.

Welche Bedenken haben die Stadträte zu zehn weiteren Asyl-Wohnungen?

Die Anfrage vom Landratsamt, zehn weitere Wohnungen von der Bauen und Wohnen in Reichenbach zu mieten, kam für den Stadtrat überraschend, weil er bisher davon ausgegangen ist, dass die Stadt Reichenbach „ihr Soll“ erfüllt hat. Die Bürgermeisterin wollte eine Entscheidung im Stadtrat herbeiführen, die zum Abschluss eines Belegungsrechtsvertrages führt. Das ist nicht zustande gekommen. Die Wohnungen sollen für insgesamt 23 Personen geeignet sein. Sie sollen relativ klein und schwer vermietbar sein und müssten erst hergerichtet werden. Dafür würde die Stadt Fördermittel vom Landkreis bekommen. Die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer trauen sich zwar zu, weitere 20 Asylsuchende zu betreuen. Aus dem Stadtrat kamen dazu aber ganz klare Bedenken. Die Grenze des Machbaren im Ehrenamt sei erreicht. Ein weiterer Punkt ist die Konzentration von Asylwohnungen, die entstehen würde. Bisher sei es gelungen, Problemherde zu vermeiden, sagt Stadtrat Michael Kruhl, der sich durch seine beruflichen Einsätze in weltweiten Krisen- und Katastrophengebieten damit auskennt. Das Fördergeld für die Wohnungen sei kein Grund, um das bisherige Herangehen an die Asylpolitik in Reichenbach über Bord zu werfen, sagt Andreas Feister. Auch fehlt den Stadträten ein Überblick über die Wohnungsnachfrage der eigenen Bürger.