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Schwester Agnes kehrt zurück

Hausbesuche dürfen Ärzte jetzt auch einer Praxisassistentin überlassen. Doch die Mediziner sind skeptisch.

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© AP/Sven Kästner

Von Marleen Hollenbach

Sie ist Mitte fünfzig, trägt eine Arzthaube und einen weißen Kittel. Mit ihrer Schwalbe düst sie durch die Oberlausitz, besucht die Kranken, versorgt sie mit Medizin und hilft, wo sie nur kann. Viele kennen Schwester Agnes mit der auffälligen Berliner Schnauze noch aus der gleichnamigen Defa-Verfilmung. Im März 1975 lief der Film erstmals über die Mattscheibe. Das ist schon lange her. Fast könnte man die Aufnahmen zu den historischen Dokumenten in die Schublade legen. Aber eben nur fast. Es gibt jemanden, der Schwester Agnes gerade zum Comeback verhilft.

Genau genommen sind es sogar mehrere. Die sächsischen Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS). Sie haben im August beschlossen, dass ab sofort jeder Hausarzt eine sogenannte Praxisassistentin beschäftigen darf. Genau wie Schwester Agnes im Film wird sie bei den Patienten zum Beispiel Blutdruck und Blutzucker messen. „Eine Praxisassistentin kann alle anfallenden Hausbesuche bei den nicht akut behandlungsbedürftigen Patienten übernehmen“, sagt Ingo Mohn, Sprecher der KVS. Das Modell „Schwester Agnes“ soll vor allem die Landärzte entlasten. Im ländlichen Raum gibt es nicht nur besonders viele ältere Menschen, die ihre Wohnung nicht mehr verlassen können. Die Landärzte sitzen, im Vergleich zu ihren Kollegen aus der Stadt, auch viel länger im Auto. Ihre Tour führt die Mediziner von Dorf zu Dorf. Das kostet Zeit.

Immer weniger Landärzte

Auch Peter Raff kennt das. Der Allgemeinmediziner pendelt zwischen seinen Praxen in Weißenberg, Klitten und Horka hin und her. Das allein wäre eigentlich schon genug Stress. Doch nicht alle Patienten schaffen es, in seiner Sprechstunde zu erscheinen. Deshalb versorgt Peter Raff sie vor Ort. Täglich stehen bei ihm gleich fünf Hausbesuche an. Eine Praxisassistentin hat der Arzt aus Weißenberg nicht. Noch nicht. „Ich bin gerade dabei, die ganzen Formulare auszufüllen. Viele Anträge müssen gestellt werden, aber es lohnt sich“, sagt er. Der Mediziner ist sich sicher: Die Rückkehr von Schwester Agnes ist für die Ärzte im ländlichen Raum eine große Hilfe. Spätestens in einem Jahr will er mit einer Praxisassistentin zusammenarbeiten. Zurzeit fährt Peter Raff zusammen mit einer Schwester zu seinen Patienten. Gemeinsam kümmern sie sich um den Kranken. „In Zukunft können wir uns trennen und so zur selben Zeit gleich zwei Patienten versorgen“, erklärt er. -

Doch so euphorisch sind längst nicht alle Mediziner. Im gesamten Landkreis hat sich erst eine Ärztin die Genehmigung für eine Praxisassistentin von der KVS geholt. In ganz Sachsen nutzen bislang immerhin 23 Ärzte das Angebot. Zu den Skeptikern gehört zum Beispiel die Allgemeinmedizinerin Marina Graf aus Großpostwitz. „Momentan plane ich nicht mit einer Praxisassistentin. Es ist ja auch fraglich, welche Aufgaben ich wirklich an diese Person delegieren kann“, sagt sie. Zwar gehören auch bei Marina Graf Hausbesuche zum Arbeitsalltag. Aber der Aufwand dafür hält sich noch in Grenzen.

Zu viel Bürokratie

Große Zweifel am Modell hat auch Kristina Böttger. Sie besitzt eine Praxis in Großdubrau, lädt dort jeden Tag zur Sprechstunde. Doch mehr als 50 Patienten sind darauf angewiesen, dass die Medizinerin zu ihnen kommt. „Ohne tägliche Hausbesuche geht es bei mir nicht“, sagt Kristina Böttger. Eine Praxisassistentin könnte die Ärztin zwar gut gebrauchen. Doch es gibt da ein Problem. „Ich müsste eine meiner zwei Mitarbeiterinnen gleich mehrere Monate zur Schulung schicken. Wie soll das denn gehen“, fragt sie. Das Modell „Schwester Agnes“ findet die Ärztin eigentlich gut, aber die Hürden seien gerade für kleinere Praxen nahezu unüberwindbar.

Dabei sind sich die Landärzte in einer Sache einig: Derzeit funktioniert die medizinische Versorgung noch, aber schon in wenigen Jahren wird sich das ändern. „Die Hälfte von uns geht bald in Ruhestand. Dann sieht es in der Oberlausitz wirklich schlecht aus“, sagt der Mediziner Peter Raff. Er selbst wird im nächsten Jahr 65 Jahre alt. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht. „Weil Landärzte fehlen, könnte die Rückkehr der Schwester Agnes die Zukunft für den ländlichen Raum sein“, erklärt er.

Die Praxisassistentinnen können aber nicht nur den Landärzten unter die Arme greifen. Auch die Mediziner in der Stadt dürfen sich eine Schwester Agnes ins Haus holen. Auch sie fahren täglich zu Patienten, die nicht mehr mobil sind. „Aber bei uns liegt alles sehr nah beieinander. Deshalb ist es eigentlich kein Problem“, erklärt Georg Rentsch, Hausarzt aus Bautzen. Ihm gelingt es mühelos, zu allen Hausbesuchen selbst zu fahren. Eine Praxisassistentin benötigt der Arzt aus Bautzen nicht.

Was in Sachsen gerade startet, gibt es in anderen Teilen Deutschlands schon eine ganze Weile. In Brandenburg kümmert sich zum Beispiel seit 2005 die „AGnES zwei“ um chronisch kranke Patienten. In Niedersachsen werden die Hausärzte im Rahmen des Projektes „MoNi“ entlastet.