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Schwere Zeiten für Pilzsammler

Die SZ hat sich mit einer Expertin auf die Suche begeben – und dabei wenig gefunden, aber vieles erfahren.

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© Uwe Soeder

Von Marleen Hollenbach

Noch vor einigen Jahren hätte sich Rosemarie Kießling riesig über diesen Fund gefreut. Doch jetzt hat sie dafür nur einen kurzen Blick übrig. Skeptisch mustert sie die Pilze, die eng an eng nebeneinander stehen. Auf einem umgekippten Baumstamm sind sie gewachsen. Ein honiggelber Hut, büscheliger Wuchs und ein häutiger Ring am Stiel. „Das ist eindeutig Hallimasch“, sagt die Pilzberaterin. Früher hat die Bautzenerin diesen Pilz gern gegessen. Aber heute lässt sie lieber die Finger davon. „Roh ist er giftig. Und selbst wenn man ihn lange in der Pfanne brät, kann man Bauchschmerzen bekommen“, sagt sie.

Mit einem Korb, einem Taschenmesser und einem kleinen Pilzbuch streift Rosemarie Kießling durch den Schlosspark in Neschwitz. Vorbei am gusseisernen Eingangstor, an den gepflegten Sträuchern und den sandbedeckten Wegen. Dorthin, wo der Park beinahe ein wenig verwunschen aussieht. Wo das Gras noch wachsen darf, wie es will. Wo die dichten Baumkronen nur wenig Licht durchlassen und Frösche über den moosigen Waldboden hüpfen. Ein idealer Lebensraum für Pilze.

Wenig Pilze wegen der Trockenheit

Und doch glaubt Rosemarie Kießling nicht, dass sie lange im Park von Neschwitz bleiben wird. Eine Viertelstunde vielleicht, länger auf keinen Fall. „Ich bin mir sicher, dass ich heute nicht sehr viele Pilze finden werde“, meint die 71-jährige Bautzenerin. Nicht der Pessimismus spricht aus ihr, sondern die Erfahrung. Ein paar Steinpilze konnte sie in diesem Jahr schon einsammeln. Das hat gerade einmal für eine kleine Pilzpfanne gereicht. „Die Trockenheit ist schuld daran. Im Sommer hat es einfach viel zu wenig geregnet“, meint die Pilzexpertin. Jedes Jahr verfasst Rosemarie Kießling einen kleinen Bericht. Und in letzter Zeit begann der häufig mit den Worten: „Es war ein schlechtes Pilzjahr“.

Heute ist der Waldboden feucht. Dicke graue Wolken hängen am Himmel. Die Pilzberaterin hat vorsorglich die Regenjacke angezogen. Ihr Kopf geht hin und her, die Augen suchen den Boden ab. Dann bleibt sie plötzlich stehen und geht in die Knie. Vorsichtig setzt Rosemarie Kießling das Messer an – ganz unten am Pilz. Eine geschickte Bewegung aus dem Handgelenk, schon hält sie das Objekt der Begierde in der Hand. Sie riecht einmal dran, kratzt mit dem Messer ein wenig am Hut. „Das ist ein Grünblättriger Schwefelkopf. Der ist sehr giftig“, sagt sie dann in einem Tonfall, der keinen Platz für Zweifel lässt. Die Diplomingenieurin für Kommunikationstechnik legte schon 1987 die Prüfung zur Pilzberaterin ab. Ihr Wissen hat sie sich selbst erarbeitet. Außerdem fährt sie einmal im Jahr zur Weiterbildung. Doch eigentlich entdeckte sie ihre Leidenschaft für Pilze schon viel früher. Als Rosemarie Kießling 16 Jahre alt war, begleitete sie ihren Vater beim Pilzesammeln. „Er war mein bester Lehrer“, sagt sie heute.

Routine bei der Arbeit

Nun ist sie diejenige, die anderen etwas erklärt. Ein älterer Mann mit grüner Tarnkleidung und einem Fotoapparat um den Hals hat die Pilzberaterin beobachtet. Jetzt spricht er sie an. „Ich habe da drüben etwas gesehen. Könnte das ein ansehnlicher Flämmling sein“, fragt er. Rosemarie Kießling muss dem Mann recht geben. Die Pilzexpertin erklärt, woran man den Pilz erkennt und erzählt, dass dieser extrem bitter und giftig ist. Die Bautzenerin hat Routine darin. Als Pilzberaterin ist sie die erste Ansprechpartnerin für Sammler, die sich unsicher sind. Die können dann bei ihr klingeln und nach Rat fragen. „Ich muss den Pilz sehen, um ihn bestimmen zu können. Eine Beschreibung am Telefon reicht nicht“, sagt sie. Geld bekommt Rosemarie Kießling dafür nicht. Deshalb gibt es auch keine festen Öffnungszeiten. „Aber wenn ich da bin, dann helfe ich“, erklärt sie. Dabei kommt ihr Wissen nicht immer gut an. Einige Sammler sind richtig sauer, wenn die Beraterin ihnen erklärt, dass sie keinen Speisepilz eingesammelt haben. Ich frage auch oft nach, ob sie noch andere Pilze im Kofferraum haben“, sagt Kießling.

Auf dem Rückweg macht die Pilzberaterin noch eine Entdeckung. Auf der Wiese wachsen ganz kleine Pilze. Wer nur flüchtig schaut, kann sie leicht übersehen. „Kinder sind näher dran, deshalb entdecken sie die Pilze schneller“, erklärt die 71-Jährige. Mindestens einmal im Jahr ruft das Krankenhaus bei ihr an. Dann rast ihr Herz, der Puls geht hoch. „Das ist das Schlimmste, wenn sich ein Kind vergiftet“, sagt sie. Leider, meint die Pilzexpertin, kommt das viel zu häufig vor. Viele würden die Gefahr unterschätzen. Sie blättert in ihrem Buch. Dann sagt sie: „Bevor die Kinder rausdürfen, sollten die Erzieher alle Pilze vom Gelände entfernen.“ Gern würde sie auch selbst in Kindergärten einen Rundgang mit den Betreuern machen. Wenn das Interesse besteht. – Rosemarie Kießling ist schon fast wieder am Tor angekommen. Noch ist ihr Korb leer. Sie könnte sich ins Auto setzen und nach Hause fahren. Doch die Pilzberaterin macht noch einmal kehrt. Das Jagdfieber hat sie gepackt.

Pilzberater im Kreis

Bautzen: Rosemarie Kießling, Wilhelm-von-Polenz-Str. 21 03591 28312

Cunewalde: Frank Sickert, Ortsteil Weigsdorf-Köblitz, Albert-Schweitzer-Siedlung 41 035877 20777

Ottendorf-Okrilla: Sylke Varga, Ottendorfer Straße 35 035205 75864

Radeberg: Berndt Göhler, Gartenstr. 43 03528 452885

Königsbrück: Dr. Siegfried Holstein, Furtweg 11 a 035795 42169.

Hohwaldgebiet bei Langburkersdorf: geführte Pilzwanderung des Bergbau-Traditionsvereins Hohwald in Langburkersdorf mit der Pilzsachverständigen Heidrun Wawrok aus Pirna am Sonnabend. Bei dem Streifzug durch das Hohwaldgebiet soll gezeigt werden, wie groß die Vielfalt der heimischen Pilze ist. Nach der Wanderung werden die Funde gemeinsam gesichtet und ausgewertet. Die Wanderung beginnt 9.30 Uhr. Der genaue Treffpunkt wird bei der Anmeldung bekannt gegeben.Weitere Informationen über René Teich, 03596 5081898

Infos gibt es auch unter: www.mykothek.de