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Schweißnass durch die Nacht

Helene Fischer flog, wurde auf Händen getragen, stieg aus einer Blume. Und ja, sie sang auch beim Konzert im Dresdner Dynamostadion. Und erst danach kam das Gewitter.

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© Robert Michael

Andy Dallmann

Dresden. Normalerweise zieht es mächtig Ärger nach sich, wenn im Dresdner Dynamostadion gezündelt wird. Spielunterbrechungen, Strafzahlungen, Geisterspiele. Die Herren Fußballer können lange Lieder davon singen. Weil Schlagerheldin Helene Fischer ohnehin schon seit Jahren systematisch Vorbehalte, Grenzen und Regeln hinwegfegt, erntet sie auch einhelligen Jubel, wenn sie es im Stadion aus diversen Rohren flammen lässt. Also: Feuer frei für ein Spektakel, wie es an dieser Stelle noch nie zu sehen war.

Helene Fischer begeistert Dresden

Helene Fischer flog, wurde auf Händen getragen, stieg aus einer Blume - und sie sang vor allem  im Dresdner Dynamostadion. Impressionen vom Konzert.
Helene Fischer flog, wurde auf Händen getragen, stieg aus einer Blume - und sie sang vor allem im Dresdner Dynamostadion. Impressionen vom Konzert.

In einem sonnengelben Flatterkleid eröffnet die Sängerin das Ganze am Dienstagabend allein auf der Riesenbühne, wie ein Rauschgoldengel, der sich in der Jahreszeit vertan hat. Vielleicht auch nur im Genre. Dem Publikum ist es eh längst wurscht, ob sie sich noch in die Schlagerecke stellen lässt, als Gesamtkunstwerk inszeniert oder den Bumbum-Dancefloor erobert. Überall hat man sich mit ihrer Präsenz abgefunden, aus allen Lagern wurden Abgesandte auf die Stadionränge und aufs Mittendrin-Gestühl geschickt. Und einheitlich feiern Junge und Alte, Biedere und Exaltierte, Beige und Bunte die Show, die Sängerin und ein bisschen sich selbst.

Cleverer Schlusspunkt

Damit ist dann auch wieder der Bogen zum Fußball vollendet. „Dynamo, Dynamo“-Chöre kommen prompt, ohne wirklich zu stören. Glücklicherweise bleibt die gesangliche Leistung jedoch konstant über dem, was man hier sonst so zu hören bekommt. Frau Fischer serviert Kostproben aus dem eigenen Sortiment, immer eingängig, immer mit schlichter oder ganz ohne Botschaft. Das reicht von „Und morgen früh küss ich dich wach“ über „Ich will immer wieder dieses Fieber spür’n“ bis zu „Ein kleines Glück“. Die Nummer, auf die alle gewartet haben, kommt erst zum Finale; nach zweieinhalb Stunden Vollprogramm darf ein jeder „Atemlos durch die Nacht“, schweißnass und beseelt nach Hause ziehen. Ein clever gesetzter Schlusspunkt, der lange nachhallt. Selbstverständlich trällert jeder Vierte die Nummer noch beim Auszug aus dem Stadion.

Ebenso clever bringt Helene Fischer zuvor ein paar wirkmächtige Cover-Nummern unter. Peter Maffays Tabaluga-Hit „Ich wollte nie erwachsen sein“ etwa oder das bei Bette Midler geborgte „The Rose“. SIe macht nichts kaputt, sie verbiegt sich aber auch nicht. Respekt. Zur Halbzeit werden unter anderem die White Stripes und Kings Of Leon für ein Medley der Rock-Kracher geplündert. „Sex On Fire“ aus Frau Fischers Kehle - entsetzlich, äh, schön. Irgendwie. Letztlich genauso abgefahren wie tanzende Stelzenwesen, ein zackiger Stadionrundflug am Stahlseil. Inklusive Luftpurzelbaum. Schön für den Fan, der seinen Star endlich mal aus der Froschperspektive bestaunen darf. Und ums Staunen ging es eigentlich immer. Schönes Singen? Wie öde. Da muss schon die Luft in Flammen stehen, das Effekt-Arsenal leergefeuert, Luftschlagen fliegen und die Sängerin aus einer purpurroten Blume hervorgezaubert werden. So geht Show heute. Wer Schlager in großem Stil verkaufen will, muss klotzen. Und jeden Patzer ausschließen.

Fluch der Oberflächlichkeit

Helene Fischers Auftritt ist Perfektion bis ins Detail. Trotz der eingestreuten Zitate - zwischenrein spielt die hervorragende Band eben mal so „Kashmir“ von Led Zeppelin an - hält sie sich von den Ecken und Kanten des Rock’n’Roll so fern wie vom Dilettantismus der Amigos. Das ist ja schon mal was. Man stelle sich vor, diese Herren drängten ins Dynamostadion… Keine Angst, bevor das passiert, spielt Dynamo in der ersten Liga und vermietet das Stadion nicht mehr. Höchstens noch einmal an Helene Fischer, die bis dahin den Fluch der Oberflächlichkeit erkannt und gebannt haben wird. Schönheit braucht kleine Fehler, um sich offenbaren zu können. Weniger Feuerfontänen, mehr echte Leidenschaft und etwas mehr Vertrauen ins geistige Vermögen der Zuhörerschaft - dann halten auch die letzten Nörgler die Klappe.

Immerhin steht in Dresden der Deal mit den Wetterplanern: Das lange vorher angedrohte Gewitter kommt ziemlich exakt 20 Minuten nach dem letzten Fischer’schen Freudenschrei. Dieses Timing haben sich am Ende Helene Fischer, ihre Crew und ihre Fans redlich verdient. Großes Kino für uns zwei, pardon, für uns 25 000. Und heute noch einmal das Ganze, zum letzten Mal auf dieser Tour. Finale im Dynamostadion. Und dann wird’s spannend: Wie, um Gottes willen, kann Frau Fischer dieses Spektakel für die nächste Runde toppen? Mit tanzenden Einhörnern? Mit der öffentlichen Auferstehung von Zoo-Krokodil Max? Zuzutrauen wäre ihr beides. Und noch mehr.