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Schwangere wieder häufiger im Konflikt

Die Zahl der Frauen, die sich zur Schwangerschaft beraten lassen, nimmt zu. Geld ist nicht mehr ihre größte Sorge.

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© Mascha Brichta/dpa

Von Dominique Bielmeier

Das Thema bleibt eines, über das lieber geschwiegen wird: Schwangerschaftsab-brüche. Die wenigsten Frauen sprechen sowohl vor als auch nach einer Abtreibung offen über ihre Entscheidung, das Kind nicht zu bekommen. Dabei sind sie mit dieser Entscheidung keineswegs allein: Nach Daten der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (KVS) erbrachten im Jahr 2016 genau 73 sächsische Arztpraxen, davon elf im Kreis Meißen, 2 283 Schwangerschaftsabbrüche. 93 davon wurden im Landkreis durchgeführt. „Der Wohnsitz der Patientinnen spielt dabei keine Rolle, entscheidend ist der Leistungsort der Arztpraxis“, erklärt Sprecherin Patrice Fischer. Die Anzahl stationär erbrachter Operationen wurde jedoch nicht mit eingerechnet.

Das Statistische Landesamt, das Daten zu Schwangerschaftsabbrüchen nach eigener Aussage auf Landkreisebene nicht auswerten kann, nennt für ganz Sachsen die Zahl von 5 368 Abbrüchen im vergangenen Jahr – knapp 300 mehr als 2015, jedoch kein Vergleich zu den fast 6 200 Abbrüchen im Jahr 2008. Danach sanken die Zahlen fast kontinuierlich jedes Jahr.

Fest steht aber auch, dass sächsische Frauen wieder häufiger im Konflikt sind. So schreibt die Diakonie Sachsen in einer Pressemitteilung vom April dieses Jahres: „Nach Jahren sinkender Beratungen im Schwangerschaftskonflikt ist die Zahl der Konfliktberatungen und damit verbunden auch die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Sachsen wieder angestiegen.“

Das trifft auch auf den Kreis Meißen zu, wie die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Susanne Schaper an den Präsidenten des Sächsischen Landtags zeigt: Demnach fanden im Jahr 2015 im Landkreis 447 Schwangerschaftskonfliktberatungen statt. Im Jahr zuvor waren es 373 gewesen. Und auch allgemein ließen sich Frauen 2015 deutlich häufiger zu Aspekten der Schwangerschaft wie finanziellen Leistungen, Vorsorgeuntersuchungen oder auch Adoption beraten: Im Vergleich zu 2014 stieg die Zahl von 3 898 Fällen um fast 1 000 auf 4 836 an.

Eine Schwangerschaftskonfliktberatung, die nur ein Teilaspekt der Beratung für Schwangere ist, wird nach Paragraf 219 des Strafgesetzbuchs gefordert, damit eine Abtreibung straffrei durchgeführt werden kann. Das „Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten“ beschreibt, wie ein solches Beratungsgespräch verlaufen soll: „Die Beratung soll ermutigen und Verständnis wecken, nicht belehren oder bevormunden. Die Schwangerschaftskonfliktberatung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens.“ Dabei solle das Gespräch trotzdem „ergebnisoffen“ geführt werden. Das heißt, dass die Entscheidung für oder gegen ein Kind der Frau nicht nahegelegt oder gar abgenommen wird. Am Ende erhält die Schwangere eine Beratungsbescheinigung.

Überforderung, Geldsorgen

Im Landkreis gibt es fünf staatlich anerkannte Beratungsstellen: beim DRK in Großenhain und Riesa, bei der Diakonie in Riesa, bei der Diakonie Stadtmission Dresden in Radebeul und im Gesundheitsamt des Landkreises in Meißen. Bei den Trägern Auskunft zu durchgeführten Beratungen sowie Zahlen zu erhalten, ist nicht einfach.

So erklärt beispielsweise Ilona Berner von der Diakonie Riesa-Großenhain auf SZ-Anfrage: „Der Bereich der Schwangerschaftskonfliktberatung ist sehr sensibel und wird in der Öffentlichkeit häufig kaum wahrgenommen und wenn doch, dann mit sehr unterschiedlichen Deutungen, Meinungen und Gefühlen.“ Rein statistisches Material würde nicht abbilden, was die Frauen tatsächlich bewegt.

Das Landratsamt teilt auf SZ-Anfrage mit: 2015 fanden im Gesundheitsamt 99 Konfliktberatungen statt, im vergangenen Jahr waren es nur 77. Ein Großteil der Frauen in der Beratung sei zwischen 20 und 40 Jahren alt, der Anteil der Minderjährigen sei gering. Die Konfliktberatung suchten im vergangenen Jahr nur drei Minderjährige auf. Das entspricht Zahlen des Statistischen Landesamtes, nach denen die meisten sächsischen Frauen, die im vergangenen Jahr eine Schwangerschaft abgebrochen haben, zwischen 25 und 35 waren.

Die Diakonie Dresden gewährt der SZ schließlich einen Blick in die Beratungsräume direkt neben dem Bahnhof Radebeul-Ost. Dort ist Anke-Maria Thiele eine von drei Beraterinnen in Teilzeit, die unter anderem mit Frauen spricht, die sich entschlossen haben, ein Kind nicht zu bekommen oder mit dieser Entscheidung noch hadern.

„Die Kunst der Schwangerschaftskonfliktberatung ist es, aus einem Pflichtgespräch auch wirklich ein Beratungsgespräch zu machen“, sagt Thiele in einem der großen, hellen Räume, in denen sonst Gespräche mit schwangeren Frauen stattfinden. Manchmal gelingt diese Kunst nicht, denn viele Frauen kommen und haben die Entscheidung gegen das Kind bereits getroffen. Dann dauert ein Gespräch nur 20 Minuten, wo es sonst auch bis zu 90 sein können. Gesprochen wird dann unter anderem über die Lebenssituation der Frau, ihre Ängste, mögliche Konsequenzen des Abbruchs für ihre Zukunft oder auch praktische Dinge wie Elterngeld.

Die Lebenssituationen seien dabei sehr individuell. Die jüngste Schwangere in der Beratungsstelle war 14, die Älteste Ende 40. Es kommen Frauen, die ihren Partner erst wenige Tage kennen, gerade eine neue Arbeit begonnen haben, sich frisch getrennt haben oder nach drei Kindern ihre Familienplanung abgeschlossen haben. „Medizinische Gründe sind eher selten“, so Thiele.

Bei der Entscheidung für einen Abbruch spielten finanzielle Sorgen eine Rolle, oft auch der Konflikt zwischen Kind und Beruf und die Angst vor Überforderung. Die Diakonie Sachsen schreibt dazu: „Besonders interessant daran ist, dass die früher wichtige ‚finanzielle Situation‘ als Konfliktgrund jetzt von ‚physische/psychische Überforderung‘ verdrängt wurde.“

Das Ergebnis der Beratung erfahren Anke-Maria Thiele und ihre Kolleginnen übrigens nicht. In den allermeisten Fällen dürften sich die Frauen trotz des Gesprächs schließlich gegen das Kind entscheiden. Doch ab und zu kommt es auch vor, dass Thiele eine der Frauen wiedertrifft: weil diese zum Beispiel soziale Unterstützung in der Schwangerschaft beantragen will.