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Schwalbennachwuchs bei Wacker

Immer mehr Mehlschwalben nisten im Chemiewerk. Dafür gab es nun eine besondere Auszeichnung.

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© Wacker

Von Antje Steglich

Nünchritz. Reflexartig zieht Günther Dineiger immer wieder den Kopf ein. Denn in der Verladezone des Betriebes zur Herstellung und Abfüllung von Silikonmassen herrscht reges Treiben. Nicht nur beladen gerade zwei Mitarbeiter mit Gabelstaplern einen bereitstehenden Anhänger zum Transport der Kartuschen. Auch unter dem etwa sechs Meter hohen Dach wird fleißig gearbeitet. Dutzende Mehlschwalben vollführen dort wahre Luftakrobatik, schießen zwischen den Fahrzeugen hindurch und knapp über den Köpfen der Mitarbeiter hinweg, um dem Nachwuchs kleine Insekten zu bringen. 23 Mehlschwalben-Nester zählt Betriebsleiter Günther Dineiger – das dürfte im gesamten Nünchritzer Werk der Wacker AG Rekord sein. Im vergangenen Jahr seien es noch deutlich weniger Nester gewesen, erklärt Günther Dineiger. Doch der Standort habe sich wohl bewährt, schließlich biete das Dach Schutz und dank seiner trapezförmigen Form ideale Voraussetzungen für den Nestbau.

Der hatte allerdings vor einigen Wochen, als es lange trocken war, plötzlich stagniert, erinnert sich der Betriebsleiter. „Die Schwalben wollten immer wieder eine Pfütze anfliegen, doch die war ausgetrocknet.“ Kurzerhand bat er die Werkfeuerwehr um Hilfe, und die spendierte sechs Kubikmeter Wasser aus dem Tanklöschfahrzeug und legte damit auf einem benachbarten Baugrundstück eine Schwalbenpfütze an. „Die Feuerwehr hat das dann noch mal wiederholt. Sie hat eben auch ein Herz für Tiere“, freut sich Günther Dineiger. Zumal sich der Einsatz gelohnt hat. Zwar habe man auch tote Schwalbenbabys gefunden, aber auch viele Eierschalen, die von einer erfolgreichen Brut zeugen.

Im gesamten Werk konnten laut Unternehmenssprecherin Asta Tehnzen-Heinrich in diesem Jahr bereits knapp 50 Mehlschwalben-Nester gezählt werden. Wahrscheinlich seien es sogar etliche mehr. Anlässlich des diesjährigen Marsdorfer Schwalbentages wurde dem Unternehmen deshalb die Plakette „Hier sind Schwalben willkommen!“ verliehen. Neben Wacker wurden auch knapp 40 andere Unternehmen wie die Agrargenossenschaft Radeburg und viele Privatleute ausgezeichnet, der Nabu Sachsen und die Sächsische Landesstiftung Natur und Umwelt wollen damit auf die Situation der Vögel hinweisen.

„Es ist ganz toll, wie die Leute hinter den Schwalben stehen“, sagt der Leiter der Nabu-Fachgruppe Ornithologie Matthias Schrack. Denn deren Bestand sei gerade in Ostedeutschland bedroht. So gehe aus Studien hervor, dass zum Beispiel durch den Einsatz von Insektiziden in der Landwirtschaft die Insektenmasse pro Hektar um 80 Prozent abgenommen habe, wodurch das Futterangebot auch für die Schwalben extrem geschmälert wurde. Durch den Rückgang der privaten Tierhaltung und die Schließung von Ställen fielen zudem in den vergangenen 25 Jahren unzählige Nistmöglichkeiten weg.

Dass sich die Mehlschwalben nun vermehrt im Chemiewerk niederlassen, ist für Matthias Schrack keine Überraschung. „Mehlschwalben und auch Turmfalken haben eine Gemeinsamkeit: Sie waren felsbesiedelnde Arten“, so der Naturschützer. Und das Wacker-Werk sei nun quasi als künstliche Felslandschaft eine geeignet Alternative. „Die Geräusche stören die Tiere nicht, daran gewöhnen sie sich. Und sie spüren dort, dass vom Menschen keine Gefahr ausgeht“, so Matthias Schrack.

Dass sie willkommen und geduldet werden, sei eine von drei wichtigen Voraussetzungen fürs Brüten. Zweitens müsste ausreichend Nahrung vorhanden sein, was im Nünchritzer Fall wohl durch die blüten- und insektenreichen Elbwiesen gesichert wäre. Und drittens brauchen die Schwalben ausreichend Baustoffe für den Nestbau, also zum Beispiel lehmigen und feuchten Erdboden – wie in den großen Pfützen im Chemiewerk. Und weil es den Vögeln in Nünchritz so gut geht, sei auch anzunehmen, dass die Schwalben nach ihren Winter-Reisen in den Süden immer wieder zu Wacker zurückkehren, um dort zu brüten, so Matthias Schrack. Im nächsten Jahr sei eine weiter ansteigende Zahl der Nester also nicht unwahrscheinlich.

Günther Dineiger sieht das bislang gelassen: „Momentan stören sie nicht.“ Die Kundenware werde nicht beschmutzt, und vom Boden würden die Hinterlassenschaften regelmäßig weggekehrt. Die stammen übrigens nicht nur von den Schwalben. Auch eine Bachstelze und einige Rotschwänzchen fühlen sich im Kartuschen-Betrieb anscheinend pudelwohl.