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Schule ganz praktisch

Mit einem besonderen Projekt in Freital werden Hauptschüler motiviert, ihren Abschluss trotz Schwierigkeiten zu schaffen.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Dorit Oehme

Freital. Sascha und Toni packen ihr Schulzeug ein. Wieder haben die Neuntklässler einen Unterrichtstag geschafft. Seit der 8. Klasse sehen ihre Wochen anders aus, als in der bisherigen Schulzeit: Zwei Tage lang haben sie Unterricht in ihrer „Lernwerkstatt“. Drei Tage arbeiten sie in einem Praktikumsbetrieb, den sie sich ausgewählt haben. „Schule macht hier mehr Spaß, weil man mehr in der Praxis lernt“, sagt der 15-jährige Toni, der im Praktikum gerade in der Jungrinderaufzucht Wurgwitz ist. „Ich war schon zweimal in der Landwirtschaft. Dort möchte ich später gern arbeiten. Am liebsten würde ich Traktor fahren.“ Er hoffe, dass es nun mit dem Hauptschulabschluss klappt.

Sascha und Toni profitieren von dem Projekt Produktives Lernen an der Lutherstraße. Dies ist eine besondere Schulform für Schüler, die den Hauptschulabschluss in Haupt- oder Realschulklassen eher schwer erreichen würden. Sie bereitet Acht- und Neuntklässler auf ihren Abschluss vor, der dem Hauptschulabschluss gleichgestellt ist. Außerdem hilft sie, Perspektiven für den Start in den Beruf zu finden. Sachsenweit gibt es den Bildungsgang nur an acht Schulstandorten. Seit der Einführung 2009 ist die Freitaler Einrichtung dabei, sie ist eine Außenstelle der Lessing-Oberschule Potschappel. Dort legen die Schüler auch ihre Prüfungen ab.

Ein Schuljahr ist in Trimester aufgeteilt. Drei Monate dauert jedes Praktikum. Dafür bekommen die Schüler Praktikumsaufgaben. „Ich muss für Mathe gerade Rabatte ausrechnen. In Englisch muss ich Zutaten für ein Gericht übersetzen“, erzählt Sascha, der zurzeit im Nahkauf in Zauckerode arbeitet.

„Wir planen die Aufgaben vorher mit den Schülern“, erklärt Lehrerin Cindy Schönfelder, die die neunte Klasse mit ihrem Kollegen Uwe Hemmerling leitet. Pro Jahrgangsstufe gibt es nur eine Klasse, jede hat zwei Klassenlehrer. Die insgesamt rund 40 Schüler kommen aus Freital und Umgebung, einige aus Dresden.

Zweimal ist die Einrichtung schon umgezogen. „Hier sind wir seit Februar 2015 und nun weitestgehend für uns“, sagt Gerd Meyer, der gerade die neue 8. Klasse begleitet. Das Nachmittagslicht erhellt die Unterrichtszimmer des eingeschossigen Gebäudes. Sie sind relativ klein. In den meisten stehen wohnliche Sitzgruppen statt Schulbänke. „Wir bilden oft Kleingruppen mit drei bis fünf Schülern. Es gibt auch Freiarbeit. So können die Schüler in Ruhe lernen. Es ist jeweils nur eine Klasse mit rund 20 Schülern im Haus“, sagt Meyer.

Methoden werden oft gewechselt

Unterricht gibt es in Mathematik, Deutsch, Englisch, Naturwissenschaften, Gesellschaftswissenschaften, Sport und besonders auch Kommunikation. „Es ist individuell. Wir wechseln oft die Methoden. Die meisten Lernbereiche decken wir Klassenlehrer ab. Wir sind näher an den Schülern dran, als es sonst möglich wäre“, sagt Meyer. „Ohne Vertrauen und Respekt läuft es nicht“, unterstreicht sein Kollege Roberto Strauß. Bei Konflikten gebe es auch andere Möglichkeiten als in der Schule.

Die Schüler müssen planen und ihre Termine einhalten. Sie werden selbstständiger und selbstbewusster. Im Kommunikationsunterricht stellen sie ihre Praktikumsplätze und Ergebnisse aus der Lernwerkstatt vor. Sie gestalten viele Vorträge, auch mit dem Rechner. Statt Zensuren bekommen die Schüler Punkte. Erst am Schuljahresende gibt es pro Fach eine Gesamtnote. „Das Punktesystem kommt gut an“, sagt Meyer. Auch ein Lob im Praktikum wirke wahre Wunder.

Die Lehrer müssen einen hohen Verwaltungsaufwand bewältigen und auch Sozialarbeit leisten. „Wir entwickeln mit den Schülern auch einen Plan B, falls es nicht gleich mit einer Ausbildung klappt. Es bleibt eine Herausforderung“, sagt Meyer. In den Praktika sollen die Mädchen und Jungen so viel wie möglich kennenlernen. Dafür werden weiter Plätze gesucht. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig, so auch in der Holz-, Metall- und Polstermöbelindustrie oder dem Kfz-Bereich sowie in Verwaltungen und bei Vereinen.

Im Schuljahr 2015/2016 haben im Freistaat insgesamt 249 Schüler am „Produktiven Lernen“ teilgenommen, teilt das Kultusministerium mit. Die Versetzungsquote von der 8. in die 9. Klasse lag bei 83 Prozent. 76 Schüler der 9. Klasse haben ihren Hauptschulabschluss erreicht. Damit liegt die Quote ähnlich wie in den vergangenen Jahren bei 76 Prozent. Zwölf Schüler konnten sogar einen qualifizierten Hauptschulabschluss erreichen – und nun den Realschulabschluss ansteuern. Der Erfolg des Projektes werde nicht nur bei den Bestehensquoten sichtbar, sondern sei auch an den Anschlussperspektiven ablesbar, so Kultusministerin Brunhild Kurth.

Das Produktive Lernen wird vom Europäischen Sozialfonds gefördert. Ein internationales Netzwerk unterstützt die Arbeit fachlich.

Im Internet gibt es einen Link zum Produktiven Lernen.