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Schüsse an der Schule

Ein 18-Jähriger schießt aus einer Softairwaffe auf drei Schulkinder und deren Lehrerin. Er beschuldigt seinen Freund.

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© Tino Plunert

Julia Vollmer

Dresden. Es ist halb drei am Montagnachmittag. Die Hortkinder spielen nach Schulschluss auf dem Pausenhof. Plötzlich fallen auf dem Hof der 144. Grundschule auf der Micktner Straße in Mickten Schüsse. Diese feuerte ein 18-jähriger Dresdner aus einer Softairwaffe vom Fenster des Nachbarhauses auf mehrere Hortkinder und eine Lehrerin ab. Die 35-Jährige wurde von zwei Geschossen am Hinterkopf und an der Schulter getroffen. Auch ein neunjähriges Mädchen und zwei gleichaltrige Jungen traf ein Geschoss, wie die Polizei erst am Dienstag mitteilte. Bei den Kindern sind die Geschosse offenbar an den Winterjacken abgeprallt und verletzten sie nicht. Die Lehrerin wurde leicht verletzt, musste aber nicht von einem Arzt behandelt werden. In der Schule war am Dienstag niemand zu erreichen.

Zeugen führten die Polizisten später zum Täter. Sie hatten zwei Jugendliche beobachtet, die in der benachbarten Erdgeschosswohnung mit der Waffe hantierten. Speziell ausgebildete Interventionskräfte der Polizei rückten zur mutmaßlichen Täterwohnung auf der Herbststraße aus. Dort trafen sie niemanden an, konnten den Jugendlichen aber an einer Haltestelle ausfindig machen. Er übergab den Beamten in der Wohnung die Softairwaffe in Form eines G36-Gewehres. Die Beamten fanden außerdem die entsprechende Munition. Selbst geschossen haben will er nicht, ein Freund von ihm sei es gewesen, sagt er aus.

Polizeisprecher Enrico Lange warnt davor, Softairwaffen zu unterschätzen. Die Luftdruckwaffen könnten den Getroffenen mit Plastik- oder Metallkügelchen schwer verletzen. „Im schlimmsten Fall können sie ihr Augenlicht verlieren oder schwere Hämatome davontragen“, sagt er. Daher muss sich der junge Mann nun wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. Das Strafmaß bewegt sich dabei zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Gefängnis – auf Bewährung. Wäre es eine scharfe Schusswaffe gewesen, hätte die Anklage auf versuchten Totschlag oder Mord gelautet. Laut Oberstaatsanwalt Lorenz Haase von der Staatsanwaltschaft Dresden ist der Teenager auf freiem Fuß. Nach dessen Freund, der angeblich die Schüsse abgefeuert hat, wird weiter gesucht. Da der Täter erst 18 Jahre alt ist, muss nun geprüft werden, ob er noch unter das Jugendstrafrecht fällt. Außerdem wird laut Haase auch die sichergestellte Waffe untersucht.

Bei Softairwaffen gibt es laut Polizei eine große Bandbreite. Für einige ist eine Erlaubnis nötig, für andere nicht. Die Waffe, die der Jugendliche am Montag verwendet hat, brauche keine Genehmigung. „Sie fällt aber in jedem Fall unter das Waffengesetz“, so Lange. Das sei abhängig von der Energie, mit dem die Geschosse abgefeuert werden. Das Gewehr, das der Täter abfeuerte, dürfen nur Volljährige kaufen. „Allerdings dürfen diese Waffen, die einer scharfen täuschend ähneln, nicht in der Öffentlichkeit geführt werden“, so Lange. Der 18-Jährige hat allerdings aus einer Wohnung geschossen. Seit 2008 sind solche „Anscheinswaffen“ in der Öffentlichkeit verboten. Das wird auch mit einem Bußgeld bestraft, wenn sie nicht benutzt werden.

Das Ordnungsamt der Stadt verweist auf klare Regeln, wer eine Waffe kaufen und besitzen darf. „Der Erwerb und Besitz von Softairwaffen über 0,5 Joule bis maximal 7,5 Joule Geschossenergie ist erst ab 18 Jahren möglich“, so Stadtsprecherin Anke Hoffmann. Unabhängig vom Alter dürfen Softairwaffen außerhalb der eigenen Wohnung, von Geschäftsräumen, des eigenen Gartens oder einer Schießstätte nicht geführt werden. Der Transport ist nur in einem verschlossenen Behältnis erlaubt. Die Waffen müssen in der Wohnung so aufbewahrt sein, dass Unberechtigte oder Kinder keinen Zugriff haben. „Dafür genügt ein abschließbarer Schrank“, so Hoffmann. Ordnungsbürgermeister Detlef Sittel (CDU) betont: „Wir werden über den Fall diskutieren, es ist weit mehr als eine Ordnungswidrigkeit.“ Das Waffengesetz sei allerdings Bundessache, somit könne er in dem Punkt keine Verschärfung durchsetzen. Allerdings setzt er sich für die sicherere Aufbewahrung von Waffen ein.

Was Polizei und Eltern Sorgen bereitet – die leichte Zugänglichkeit – bestätigt auch die Recherche im Internet. Softairwaffen, die echten Pistolen und Gewehren täuschend ähnlich sehen, sind schon ab 14 Jahren und ab 29 Euro frei im Netz für jedermann zu kaufen. Auch der große Versandhändler Amazon verkauft solche Waffen.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnt seit Jahren vor Softairwaffen. „Über Notruf alarmierte Polizisten treffen immer öfter auf junge Menschen, die in aller Öffentlichkeit mit Softairwaffen hantieren“, so Wolfgang Schönwald von der GdP. Waffenimitate aus Plastik oder Gussmetall seien aktuellen Schätzungen zufolge millionenfach im Umlauf. Die Gefahr entsteht nicht durch den Besitz, sondern durch das Führen im öffentlichen Raum. Die Gewerkschaft fordert Aufklärung dazu in der Schule. Denn: „Es sind vor allem junge Menschen, die sich für Waffenimitationen begeistern.“ (mit SZ/awe)