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Schokolade, Goldglanz, Kaffeeduft

Das Schicksal von „Kaffee Starke“ am Rathausplatz bewegt die Riesaer. Einstige Kunden erinnern sich.

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© Stadtmuseum Riesa

Von Christoph Scharf

Riesa. Manche Dinge vergisst man nie. Auch 50 Jahre später nicht. So geht es Andrea Horn, die vor einem halben Jahrhundert als Schulkind bei Kaffee Starke am Rathausplatz immer für die Eltern einkaufte. „Wenn man als Kind Kaffee geholt hat, bekam man immer ein kleines Stück Schokolade dazu“, sagt die 58-Jährige, die damals direkt nebenan wohnte. „Da ging man natürlich als Kind sehr gern hin.“

Heute möchte die städtische Wohnungsgesellschaft das Gebäude gern verkaufen.
Heute möchte die städtische Wohnungsgesellschaft das Gebäude gern verkaufen. © Sebastian Schultz

Die gebürtige Riesaerin hat den damaligen Chef noch genau vor Augen. „Er war immer akkurat gekleidet: mit Schlips, Krawatte, weißem Kittel.“ Während heute die Zukunft des markanten Eckgebäudes offen ist – die Wohnungsgesellschaft Riesa möchte das leerstehende Gebäude an einen Privatinvestor verkaufen –, war das Geschäft damals noch ein Aushängeschild für Riesa. Andrea Horn erinnert sich an dunkle, edle Holzregale. „Alles glänzte und duftete in dem Laden.“ Für den Riesaer Kräuterlikör, der neben dem Kaffee in den Regalen stand, war sie damals freilich viel zu jung. „Der wurde wohl im Hinterhof hergestellt. Unsere Oma kaufte den immer, um ihn als Geschenk mit in den Westen zu nehmen“, sagt die damalige Nachbarin, die heute in Seerhausen lebt.

Auch Rosmarie Preuß verbindet mit Kaffee Starke einen Teil ihrer Jugend. Anfang der 50er besuchte die damals 17-Jährige eine Gymnastikgruppe an der Pausitzer Straße. Da verstand sich die Jugendliche mit einer Gleichaltrigen gut. „Sie hieß Regine Lukas und war mit der Familie Starke verwandet, wohl entweder eine Nichte oder eine Enkelin“, erinnert sich die SZ-Leserin. Eines Tages habe die Freundin angekündigt, bald nicht mehr zur Gymnastikgruppe zu kommen – die Familie wolle nach Madrid ziehen. So etwas war vor dem Mauerbau noch möglich.

Goldfarbene Schalen

Ob das tatsächlich geklappt hat, weiß Rosmarie Preuß nicht. „Aber ich habe Regine danach nie wieder in Riesa gesehen.“ Mit Kaffee Starke verbindet sie allerdings noch eine andere Geschichte: In dem Haus habe viele Jahre lang eine Frieda Meinert mit Mann und Sohn gewohnt. Diese Frau Meinert war die Schulfreundin der Mutter von Rosmarie Preuß – die während des Ersten Weltkriegs eingeschult worden war. Familie Meinert hat ihrer Erinnerung nach bis etwa 1970/1975 im Haus von Kaffee Starke gewohnt. Der Sohn sei als Güterkraftfahrer nach Strehla gezogen.

Der Besuch im Kaffee-Geschäft hat sich auch bei Rosmarie Preuß über viele Jahrzehnte eingeprägt. „Als Dreijährige war ich etwa 1940 dabei, als meine Familie dort einkaufte. Goldfarbene Schalen mit Kaffee drin gab es damals, und rechts eine lange Ladentafel im alten Stil“, sagt die Riesaerin. Und im Regal habe Klosterlikör gestanden.

Weniger elegant sei es in späteren DDR-Zeiten zugegangen. Dann residierte dort eine Art „Verkauf aus zweiter Hand“ – mit gebrauchten Kleidungsstücken, Gardinen und mehr. „Das sah so ähnlich aus wie der An- und Verkauf heute an der Merzdorfer Straße, nur eben viel kleiner“, sagt Rosmarie Preuß. Auch Birgit Herold kann sich noch an den An- und Verkauf erinnern, der wohl von der Handelsorganisation (HO ) betrieben wurde. „Man konnte dort Sachen für Damen, Herren und Kinder anbieten – wenn sie angenommen wurden, hängten die Mitarbeiter diese auf Bügel auf.“

Gebrauchte Waren wären vor 110 Jahren bei Kaffee Starke noch undenkbar gewesen. Damals firmierte Paul Starke als „Hamburger Kaffee-Rösterei, Malzkaffeefabrik, Kolonialwaren en gros“. So ist es einer Postkarte zu entnehmen, die am 20. Juni 1907 abgestempelt wurde und sich im Stadtmuseum erhalten hat. Auf der Ansicht sind im Straßenpflaster die Schienen der Pferdebahn zu erkennen. „Am Rathausplatz, dem damaligen Albertplatz, war Endstation“, sagt Volker Thomas vom Museumsverein.