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Schöner wird’s nicht

In der Kleingartenanlage „Am Tummelsbach“ gibt es keine Zäune und kaum Verbote. In diesem Jahr ist sie die schönste in ganz Dresden.

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© André Wirsig

Von Anna Hoben

Da thront er, der begehrte Pokal, auf dem Kaffeetisch vor der Laube, direkt neben dem Aschenbecher in Form einer Sonnenblume. „Wir haben einfach einen Zahn zugelegt“, sagt Udo Seiffert und grinst. „Irgendwann muss es ja klappen.“ Und es hat geklappt. Die Kleingartenanlage „Am Tummelsbach“ in Stetzsch ist in diesem Jahr die schönste in Dresden. Offiziell bestätigt durch den Wanderpokal „Flora“, der jetzt hier auf dem Tisch steht.

Laubenpieper de luxe

Udo Seiffert (60) und Ilona Seiffert (61) aus Mickten haben seit der Jahrtausendwende ihre Parzelle.
Udo Seiffert (60) und Ilona Seiffert (61) aus Mickten haben seit der Jahrtausendwende ihre Parzelle.
Blick auf die Anlage zwischen Bach und Eisenbahnstrecke.
Blick auf die Anlage zwischen Bach und Eisenbahnstrecke.
Ein Imker hat ein paar Bienenvölker angesiedelt. Diese sind wichtig für den Kleingärtnererfolg.
Ein Imker hat ein paar Bienenvölker angesiedelt. Diese sind wichtig für den Kleingärtnererfolg.
Brückenschlag: Die Querung über den Tummelsbach ist Vorbote für die bevorstehende Vereinigung der beiden Kleingartenvereine an beiden Uferns den Wassers.
Brückenschlag: Die Querung über den Tummelsbach ist Vorbote für die bevorstehende Vereinigung der beiden Kleingartenvereine an beiden Uferns den Wassers.
Christian Wauer (29) ist das jüngste Mitglied im Verein. Seit zwei Monaten ist er dabei.
Christian Wauer (29) ist das jüngste Mitglied im Verein. Seit zwei Monaten ist er dabei.
Ansatz für eine Beerenobsthecke.
Ansatz für eine Beerenobsthecke.
Feierabendbratwurst auf dem Grill im Grünen.
Feierabendbratwurst auf dem Grill im Grünen.
Der Siegerpokal ist ein Wanderpokal. Da der Verein kein Heim hat, wird er vielleicht auch innerhalb des Jahres durch die Anlage wandern.
Der Siegerpokal ist ein Wanderpokal. Da der Verein kein Heim hat, wird er vielleicht auch innerhalb des Jahres durch die Anlage wandern.

Seit 2010 haben die Gärtner ihre Bewerbungsmappe bei der Jury eingereicht. 2013 reichte es immerhin schon zum zweiten Platz. Im vergangenen Jahr setzten sie die Bewerbung aus. Warum? Das fragten auch manche Mitglieder. Udo Seiffert entgegnete: „Guck mal in deinen Garten, dann weißt du, warum.“ Der Wink mit dem Gartenzaunpfahl half. Alle strengten sich daraufhin wieder etwas mehr an.

Udo Seiffert, 60, ist ein gutgelaunter Bundeswehr-Pensionär, der zusammen mit seiner Frau Ilona, 61, jede freie Minute im Garten verbringt, zurzeit mindestens vier Tage pro Woche. Seit 2000 sind sie im Verein, seit sechs Jahren ist Udo Seiffert der Vorsitzende. Außerdem ist er im Vorstand des Stadt- und des Landesverbandes der Kleingärtner. Er hat eine Menge Zahlen parat über die Dresdner Kleingärten im Allgemeinen – 363 Vereine, rund 23 330 Parzellen – und die Tummelsbachgärten im Besonderen – 24 Parzellen, 1,23 Hektar, Durchschnittsalter der Hobbygärtner 52 Jahre. Wenn man aber wissen will, was an der Anlage besonders ist, helfen Zahlen nicht weiter. Also, woran liegt’s?

Gärtnern als Lebenseinstellung

Erstens, Freiheit. Es gibt ja dieses Klischeebild vom Kleingarten als Kleingefängnis. Zäune um die Parzellen, der Rasen kurzgeschoren wie mit der Nagelschere, alles gesetzlich festgelegt. Die Tummelsbacher indes setzen auf Rücksichtnahme: bloß nicht mehr Vorschriften als nötig. Wichtigste Regel: Ein Drittel der Gartenfläche muss für den Anbau von Obst und Gemüse genutzt werden. Einigermaßen regelmäßig gemäht werden sollte auch. „Aber wir gehen nicht mit dem Zollstock durch“, sagt Udo Seiffert. Hohe Hecken und Zäune gibt es nicht. „Jeder weiß, wo sein Garten ist, keiner braucht sich einwachsen zu lassen.“

Zweitens, Ernsthaftigkeit. Man muss es schon wollen. Das Dasein als Kleingärtner ist nicht nur ein Hobby, sondern eine Lebenseinstellung, zu diesem Schluss kommt man, wenn man sich eine Weile in der Anlage am Tummelsbach umschaut. Nicht jeder, der sich als Kleingärtner ausprobiert, bleibt Kleingärtner. „Wenn es nicht anders geht, trennen wir uns, falls sich jemand das falsche Hobby ausgesucht hat.“

Drittens, Jugend. Gerade einmal acht Mitglieder sind Rentner, der Altersdurchschnitt ist seit 2010 nicht gestiegen, sondern sogar um ein Jahr gesunken. „Wir holen viele junge Leute rein“, sagt Seiffert. Sie feiern ihre Familienfeste im Kleingarten, ein junges Paar verlegte gar seine Hochzeit in die Sparte. Auch ausländische Familien gibt es am Tummelsbach. Peruaner, Aserbaidschaner, Russen. Nationalität spielt keine Rolle. „Wenn alle so gärtnern würden wie die Russen, wäre ich froh.“

Was der Gartenchef, viertens, gar nicht erwähnt, wahrscheinlich weil es ihm selbstverständlich ist: eine positive Sicht auf die Dinge. Zum Beispiel rattert neben der Anlage gefühlt alle fünf Minuten mit ohrenbetäubendem Lärm ein Zug vorbei. „Ach, das fällt uns nicht mehr auf“, sagt Seiffert. Er genießt es zu wissen, dass er in zehn Minuten mit der S-Bahn am Hauptbahnhof sein kann, wenn er will.

Einer der jüngsten Gärtner ist Christian Wauer. Der 29-Jährige ist an diesem Tag um 13 Uhr aufgestanden. Nicht weil er ein Studentenlotterleben führt, sondern weil er in Schichten arbeitet, diese Woche nachts. Er sagt: „Sobald die Augen auf sind, gehe ich in den Garten.“ Früher hatte er schon einmal einen, bei Prohlis, zusammen mit seiner Partnerin. Nach der Trennung suchte er sich einen neuen Garten im neuen Stadtteil und fand die Anlage am Tummelsbach. Alles passte, mit dem Fahrrad braucht er jetzt zehn Minuten zu seiner Sparte. Seit Anfang Mai ist er dabei und gestaltet erst einmal alles neu. Er hat Mangold angepflanzt, Kopfsalat und Auberginen.

Keine Kuh im Kleingarten

Am liebsten wäre er kompletter Selbstversorger, weil ihm das Gemüse aus dem Supermarkt einfach nicht schmeckt. „Aber dann müsste ich mir ja auch eine Kuh halten, für die Milch“, sagt er und lacht, denn eine Kuh erlaubt das Kleingartengesetz nun wirklich nicht. Dafür hat er an der Gartenakademie in Pillnitz eine Zusatzausbildung zum Gartenfachberater angefangen. Zwei Jahre lang wird er nun dort viele Wochenenden verbringen. In der Sparte kümmert er sich um das gemeinsame Kräuterbeet. Er reibt einem triumphierend etwas Grünes unter die Nase: „Colakraut!“

Weil Christian Wauer noch keine Laube hat und sich erst einmal auch keine anschaffen will, trinkt er öfter mal bei den anderen einen Kaffee. Im Moment sitzt er bei Seifferts am Tisch, zündet sich eine Zigarette an und diskutiert mit Ilona Seiffert über eine Fliegenart, die den Kohlrabi befallen hat. Deren Mann zeigt derweil das Innere der Laube. Couchgarnitur, Teppich, ein Flachbildfernseher; es ist ein richtiges Wohnzimmer. Manche nörgeln, der Fernseher sei unnötiger Luxus. Seiffert sagt: „Warum soll ich einen Röhrenfernseher reinstellen, wenn es heute Flachbild gibt?“ Er nutzt das Gerät sowieso kaum.

Lieber beobachtet er das Vogelhäuschen und probiert sich als Naturfilmer. „Da muss man aber lange warten.“ Kleingärtner sind nicht die geduldigsten Menschen. Ob er auch mal einfach nur im Liegestuhl entspanne und in die Wolken blinzle? „Dafür habe ich keine Zeit“, sagt Udo Seiffert. „Wann soll ich das denn machen?“