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Schnippeln für den Burgvogt

Auf Burg Mildenstein scheint das Vergangene so gegenwärtig, dass die Moderne in Vergessenheit gerät. Wer aus der Küche klaut, merkt das besonders.

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© Dietmar Thomas

Von Franziska Klemenz

Burg Mildenstein. Sommer für Sommer eine neue Welt. Die arme Sonne. Nichts bleibt gleich, nur sie, die alte Dame. Rund und heiß. Wie soll sie da noch mitkommen? Vielleicht mit einer epochalen Ruhepause. Einem Ort, der noch wie früher ist. Wo es noch keine Cyber- sondern nur Bauernkriege gibt. Ja, es gibt diesen Ort: Burg Mildenstein. In seiner vollen Pracht erstrahlt das Mittelalter dort über der mittelsächsischen Kleinstadt Leisnig.

Leisnig hat noch mehr zu bieten

1 000 Jahre auf dem Buckel Alt ist in der „Stadt auf dem Berg“ nicht nur die Burg. Auch in der umliegenden Altstadt reihen sich fast 1000 Jahre Geschichte aneinander. Besonders sehenswert sind das Kloster Buch und die Stadtkirche St. Matthäi.
1 000 Jahre auf dem Buckel Alt ist in der „Stadt auf dem Berg“ nicht nur die Burg. Auch in der umliegenden Altstadt reihen sich fast 1000 Jahre Geschichte aneinander. Besonders sehenswert sind das Kloster Buch und die Stadtkirche St. Matthäi.
Schmeckt nicht wie Schuhsohle Der Gasthof am Fuße der Burg heißt zwar „Zum Stiefel“, hat aber gutbürgerliche Landkost und keine Sohlen auf der Karte: bei Regen etwa im Kaminzimmer, bei Sonne im Stiefelgarten. Wer bleiben will, kann übernachten (EZ 35 Euro).
Schmeckt nicht wie Schuhsohle Der Gasthof am Fuße der Burg heißt zwar „Zum Stiefel“, hat aber gutbürgerliche Landkost und keine Sohlen auf der Karte: bei Regen etwa im Kaminzimmer, bei Sonne im Stiefelgarten. Wer bleiben will, kann übernachten (EZ 35 Euro).
Museum für einen Weltrekord Er ist 4,90 Meter hoch und wiegt fast 500 Kilo: der Leisniger Riesenstiefel. Im Stiefelmuseum sind die Geschichte des Kolosses und eine Kunstausstellung zu bewundern. Für Besichtigungen telefonische Anmeldung: 034321 637090
Museum für einen Weltrekord Er ist 4,90 Meter hoch und wiegt fast 500 Kilo: der Leisniger Riesenstiefel. Im Stiefelmuseum sind die Geschichte des Kolosses und eine Kunstausstellung zu bewundern. Für Besichtigungen telefonische Anmeldung: 034321 637090

Mit einem so realen Burgalltag, dass die Moderne in Vergessenheit gerät. Hier dampft noch die Suppe aus großen Kesseln, rasseln die Kettenhemden beim Schlag der Schwerter. Mägde, Knechte, Ritter, Handwerker, ein Schreiberling und das hoheitliche Paar reisen dafür aus ganz Deutschland an. Im Innenhof der Burg üben sie Fechten und Flechten, in der Küche putzen und kochen die Mägde. Das Anfang Juni wiedereröffnete Herrenhaus dient als Schlaflager.

Aber nur für das Gesinde. Burgvogt Helmut und Gattin Babette schlafen separat. Die Gepflogenheiten des Mittelalters nimmt die Gruppe „burgalltag.de“ sehr ernst. Klaut ein Knappe aus der Küche, droht ihm das Verlies. Einer der wenigen Orte, den die Sonne noch nie zu sehen bekam. „Wir wollen hier keine Show, sondern echten Burgalltag“, sagt Initiatorin und Chefmagd Anja Kissling aus Nürnberg.

Mitten ins Mittelalter

Preise und Anfahrt

Eintritt: 5 Euro / ermäßigt 2,50 Euro

Anfahrt: über A14 bis Ausfahrt Leisnig

Gruppenführung: 30 Euro, max. 30 Pers.

Folk- und Bluesnacht: 1. Juli, 18-23.30 Uhr, VVK (Museumsshop oder Gästeamt Leisnig) 8 Euro, AK 10 Euro/erm. 7 Euro

Ritterabend: 27. Juli, 18-20.30 Uhr. 6 Euro. Voranmeldung wie oben; ab 8 J.

Lehrstunde Schreiben: 1. August, 11-17 u. 14-20 Uhr. 6 Euro. Anmldg., ab 8 J.

Erlebnisreise Mittelalter: Gruppe ab 20 Pers., 11 Euro, Buchung unter sabine. [email protected] / 034321625636, für Kinder von 5– 11 J.

Für eine Woche Burgleben: Anmeldung via burgalltag.de bei Anja Kissling. Kosten für Verpflegung, Unterkunft, Ausflüge: 180 Euro. Kostüm: Selbstbeschaffung.

Führung „Prinzessin für einen Tag“: 12.Juli, 11–13 Uhr, für Kinder von 5– 11 Jahre; 6 Euro, Anmeldung auf www.burg-mildenstein.de / 03432162560

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Viele Burgen haben sie und ihre Familie besucht. Keine hat sie so gepackt wie diese. Zum dritten Mal sind sie für die Zeitreise gekommen. „Wir haben hier Grünflächen für den Schwertkampf, dürfen auf der Burg übernachten, im Innenhof Feuer machen und in der frisch renovierten Schwarzküche kochen. Auf anderen Burgen hat man unserer Gruppe oft das Gefühl gegeben, lästig zu sein. Hier ist das völlig anders.“

Im zehnten Jahrhundert soll das Gemäuer erbaut worden sein, thront seither über der Freiberger Mulde. Nach der Zeitrechnung von Burgvogt Helmut ist das gar nicht so lange her. Er behauptet: „Ich lebe im 13. Jahrhundert.“ Mit dem späteren Mittelalter könne er nichts anfangen. „Da wurden Hexen verbrannt, Ritter sind verarmt.“ Andere Burgbewohner favorisieren eine spätere Epoche. Die Uhrzeit aber ist für alle gleich: Um 7 Uhr morgens beginnen die Mägde, in großen Töpfen Haferbrei zu rühren.

Wenn der Vogt und Gattin Babette den Speisesaal betreten, muss alles perfekt sein. Frische Blumen schmücken die Holztafeln, Schalen und Ess-Spieße stehen bereit. Vor dem Essen verliest der Schreiberling ein Tischgebet. Er stellt sich als Andres vom Berg an der Aue vor. So verwachsen ist er mit seiner mittelalterlichen Identität, dass er den Titel sogar in offizielle Dokumente eintragen ließ. Nach dem Frühstück führt er in seine Amtsräume.

Über ein Pult gebeugt trägt er mit einem Federkiel feine Linien auf ein Stück Pergament auf. Es soll eine Hochzeitsurkunde werden. „Auf Mildenstein habe ich meinen Lieblingsarbeitsplatz gefunden“, sagt der Schreiberling. Umgeben von Regalen mit täuschend echten Attrappen alter Bücher fühlt er sich seiner Rolle so nah, dass sie Realität wird. Auch der Burgvogt und seine Gemahlin bleiben nicht tatenlos. Während sie den ganzen Tag lang näht und stickt, übt Helmut seine Männer im Kampf.

Vor dem Sonnenuntergang schickt er sie zum Kontrollgang durch den Keller. In den düsteren Gewölben riecht es nach feuchtem Stein, hinter jeder Ecke könnte ein Eindringling lauern. Um seine Männer herauszufordern, hat Burgvogt Helmut zwei Mägde mit Dolch und Armbrust ausgestattet. Als die Wachen kommen, springen sie hervor. Die Männer haben keine Chance, bis auf einen werden alle überwältigt. Bleich sind ihre Gesichter, als sie in den Innenhof kommen.

Weil das Abendessen noch eine Weile schmoren muss, servieren die Mägde schon mal selbst gebackenes Brot. Zu gern hätten die Besucher es ihnen abgekauft. „Aber wir verkaufen nichts“, sagt Magd Anja. „Deswegen kommen Eltern so gern. Es gibt keine Stände, vor denen die Kinder quengeln können.“

Nach einer Woche geht die Reise für die Gruppe „burgalltag.de“ zurück in die Moderne. Schreiberling Andres ist wieder Informatiker in Göttingen, Magd Anja kocht in einem Kindergarten. Burgvogt Helmut herrscht als Vorarbeiter der Berliner Verkehrsbetriebe jetzt nur noch über die Kabel einer Meisterei. Hunderte von Kilometern und Hunderte von Jahren legen sie für die Reise in die Moderne zurück.

Die Sonne aber hat noch nicht genug, will auch das restliche Sommerprogramm noch mitnehmen. Die interaktive Dauerausstellung „Der Hof der Jungen Herrscher“ im frisch sanierten Herrenhaus zeigt ihren Besuchern, wie adliger Nachwuchs auf Mildenstein lebte. Ein Wimmelbild mit iPad-Lupe etwa macht jedes kleine Detail des höfischen Gewusels sichtbar. Bei Erlebnisreisen ins Mittelalter lernen Kinder, Turnierpferd Lieselotte zu reiten, am Holzfeuer zu kochen und Brot zu backen.

Zwischen Folk und Folter

Markgräfin Anna bietet am 12. Juli eine Führung durch die Gemächer, Küchen und Rittersäle an, bringt Prinzessinnen und Prinzen Tänze, Spiele und höfisches Verhalten bei. Weniger rosa und dafür mystischer wird es für die kleinen Besucher am 27. Juli zur Ritternacht. Bei der Lehrstunde „Von A wie Akte bis Z wie Zahl“ am 1. August lernen Kinder, mittelalterliche Lettern mit Feder und Tinte so kunstvoll wie ein Schreiberling zu Papier zu bringen.

Zeit für Ältere wird es schon früher. Unter freiem Himmel werden Bands zur Folk- und Bluesnacht am 1. Juli das alte Gemäuer so lange beschallen, bis auch das letzte Schlossgespenst geflohen ist. Düsteren Orten widmet sich die Ausstellung „Gefangen-Gefoltert-Gerichtet“, zeigt den Wandel des Strafvollzugs von der mittelalterlichen Folter bis zur heutigen Freiheitsstrafe.

Was die Rechtsprechung und Bestrafung angeht, scheint das 21. Jahrhundert doch eine ganz angenehme Zeit zu sein. Wer will schon hingerichtet werden? Das hat selbst Burgvogt Helmut nicht geduldet. Ein wenig modern ist er eben doch.