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Schmiede in neuen Händen

Statt Indern, Chinesen oder Türken, hat ein hiesiger Unternehmer die Großenhainer Schmiede übernommen.

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© Kristin Richter

Von Catharina Karlshaus

Großenhain. Die Großenhainer Gesenk- und Freiformschmiede geht an eine neue Generation. Ein neues Kapitel wird geschrieben, mit rund 150 Beschäftigten in der Schmiede und der dazugehörigen metallbearbeitenden RBS – die Nach-Wende-Ära ist Geschichte. Der Neustart ist sichtbar, das neue Bürogebäude an der Öhringer Straße ist fertig. Der Schriftzug der Firma für keinen zu übersehen. Genau dort haben sich alle für einen historischen Schnappschuss versammelt. Schmiede, Werkzeugmacher, CNC-Fräser, Controller, Konstrukteure und Buchhalter. Mittendrin Wolfgang Pradella (51), Firmeninhaber und Geschäftsführer, und der bisherige Geschäftsführer Attila Branczeisz (66).

Beide bezeichnen ihr Aufeinandertreffen als Glücksfall. Dabei kannten beide die gleiche Bankberaterin. Während der Jüngere, längst erfolgreicher Unternehmer, seit Längerem etwas suchte, weil „er noch mal irgendwas Handfestes in seinem Leben machen wollte“ – suchte der Firmenchef der Schmiede seit Langem einen geeigneten Firmen-Nachfolger. Der Satz: „Ich kenne jemanden, der ist wie Sie“ hat beide zusammengebracht und zusammengehalten.

Erst mal mitmachen im Alltag

Denn diese Firmenübernahme hieß zunächst über ein Jahr mitarbeiten ohne Titel und Geld, wie Pradella scherzhaft betont, vom Schneeschieben auf dem Hof, übers Kennenlernen der Leute und Abläufe, Vertiefen ins Zahlenwerk, Besuche bei Kunden, ersten Umstrukturierungen und natürlich ganz praktisch am Hammer oder in der Bearbeitung. Für den 50-jährigen gebürtigen Riesaer ist die Faszination einer Schmiede eine Rückkehr in die eigene Vergangenheit. Denn weil er nicht studieren durfte, musste der junge Pradella ins Stahlwerk. So ist er damals noch unfreiwillig zum Stahl gekommen, lernte Kraftwerker für Stahlwerk und wurde dann noch vom Betrieb auf die Fachschule geschickt. Doch zur Wende war das Stahlwerk pleite und das Intermezzo Stahl zunächst beendet. Er musste sich kümmern, wie es so schön heißt. Genau das tat er kurz entschlossen und bewarb sich auf eine Stellensuche bei einem Pharmaunternehmen und wechselte ins filigrane Metier, und zwar in die Mühen der Ebene – in den Vertrieb. Zum Schluss war er dort als Chef für eine knappe Milliarde Umsatz und 600 Beschäftigte zuständig. Boni: ein Studium in Betriebswirtschaft in St. Gallen.

2006 gründet Wolfgang Pradella sein eigenes Unternehmen, die Pharma Solutions in Berlin, die vor allem durch eigene Produktentwicklungen für große Unternehmen auftritt. 2012 kehrt er nach Hause nach Zeithain zurück und bringt die Pharma Solutions mit, baut in Zeithain neu und hat derzeit dort zwölf Beschäftigte. Vor allem junge Frauen. Pradella selbst nennt die Solutions „seinen Kindergarten“. Bereits die dritte junge Familie baut inzwischen in der Region. Für ihn ein Zeichen, dass die Beschäftigten Zutrauen haben. Dieses Zutrauen in die Firma und die eigene Lebenssituation wünscht sich der neue Chef auch weiterhin in Großenhain. Der Altersdurchschnitt ist durchaus hoffnungsvoll: 29 Jahre in der RBS und 39 Jahre in der Schmiede. Neun Lehrlinge werden zurzeit ausgebildet. „Ich denke, die Firma hat in seiner Bedeutung kaum einer auf dem Schirm, dabei bestellt hier das Who is who der deutschen Industrie“, sagt Wolfgang Pradella. Bremsensattel für Züge, Zahnräder für Rolltreppen, Teile für die Autos, Werkzeuge oder Fördertechnik – ein Stück Großenhain steckt überall. Das geht bis hin zur Kurbelwelle für den ersten Horch, der seit Jahren von verschieden Firmen wieder im Horch-Museum Zwickau aufgebaut wird. Kein anderer war technisch in der Lage, dieses Teil im Ganzen mit dieser Präzession herzustellen. Mit rohem Hämmern ist das nicht zu schaffen. Auch Pradella sieht die Großenhainer als Spezialisten, als Nischenexperten gerade und auch für Kleinserien und Sonderanfertigungen.

Die Zukunft soll noch filigraner werden. Neue Simulationsprogramme für Schmiedetechnik halten Einzug, Materialstudien werden gemacht. Auch wenn weiter die Schmiedeöfen glühen und niemand auf Erfahrung mit Stahl und Feuer verzichten kann, die Digitalisierung hat längst Einzug gehalten und soll die Arbeit der Mitarbeiter künftig noch mehr unterstützen. Im letzten Jahr konnte die Großenhainer Schmiede auf ihr 120-jähriges Jubiläum zurückblicken. Nun hat der neue Firmenchef das Datum 2046 als Lebensziel im Blick. Dann gäbe es die Firma 150 Jahre.