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Schluderei beim Gesundheitspass?

Wer beruflich mit Lebensmitteln zu tun hat, benötigt einen Gesundheitspass. Den gibt es beim Gesundheitsamt gegen eine Kurz-Belehrung per Video. Fachleute halten das für problematisch.

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Von Ulrike Keller

Gelangweiltes Warten im Seminarraum. Das Gesundheitsamt Meißen empfängt zu diesem Termin all jene, die von Berufs wegen einen Gesundheitspass brauchen. Den gibt es gegen 26 Euro und eine Belehrung. Fünf angehende Mitarbeiter in der Gastronomie verharren an zum Quadrat gestellten Tischen. Vor sie tritt eine Ärztin. Sie startet ein Video. Der Film zeigt Episoden in einer Restaurantküche, die lernen lassen: Schmuck an den Händen – Tabu! Arbeiten mit offenen Wunden – Tabu! Fleisch und Salat mit ein und demselben Messer hintereinander zu schneiden – Tabu! Nach etwa zwanzig Minuten ist das Video durch. Die Ärztin erkundigt sich nach Unklarheiten. Dann lässt sie sich mit einem Stapel weißer Heftchen, Stift und Liste nieder. Die Anwärter bilden eine Schlange. Wer an der Reihe ist, beantwortet die Frage nach Krankheiten, unterschreibt im Nein-Fall für die erhaltene Belehrung und für die Richtigkeit seiner Aussagen. Schon zieht er mit dem Gesundheitszeugnis von dannen.

„Problematisch“ nennt dieses Verfahren der Dresdner TU-Professor für öffentliche Gesundheit, Joachim Kugler. Das Grundwissen zum Umgang mit Nahrungsmitteln und zur Hygiene in der Küche nur per Video zu präsentieren, ist seiner Meinung nach nicht ausreichend für die zunehmende Anzahl an ungelernten Teilzeitkräften ohne Ausbildung. Diese würden durch den Film zum ersten Mal überhaupt mit dem Thema konfrontiert. Das Gesundheitsamt weist die Kritik unter Berufung auf das Infektionsschutzgesetz zurück. Auf SZ-Anfrage teilt Leiterin Petra Albrecht mit, dass die Videos „alle wichtigen Informationen“ enthalten und durch ihre „sehr bildhafte Art und Weise“ auch „auf die sehr unterschiedliche Klientel der Mitarbeiter im Lebensmittelbereich zugeschnitten sind“. Die Medizinerin betont, dass die Anwärter im Landkreis „noch mündliche Erläuterungen sowie schriftliches Material zum Mitnehmen“ bekommen.

Gesundheitsprofessor Kugler denkt darüber hinaus: Jenes im Video vermittelte Wissen und Verhalten müsse in einem Test überprüft werden. Wie beim Führerschein. Das Meißner Gesundheitsamt macht darauf aufmerksam, dass die Wissensüberprüfung durch die Behörde gesetzlich nicht gefordert sei. Die Verantwortlichkeit liege beim Arbeitgeber. Den jetzigen Ablauf sieht der Dresdner Experte nur noch als „Feigenblatt“ der behördlichen Aufsichtsfunktion. Das Amt mache sich „einen schlanken Fuß“, wenn es den Unternehmen die alleinige Verantwortung aufbürde.

Damit spricht er vielen Restaurantchefs im Elbland aus der Seele. „Die Behörden wälzen vieles auf uns ab“, heißt es von der Großenhainer Gastronomin Angelika Pietzsch. „Wir belehren natürlich, aber oft unter Zeitdruck“, gesteht die Riesaer Hoteldirektorin Heiderose Dörschel. Definitiv „nicht so einfach“ lief es mit dem Gesundheitspass noch Mitte der 90er Jahre, als ihn der Radebeuler Gaststätteninhaber Torsten Hähnel erwarb. Ein Fragebogen war auszufüllen, eine Liste von Gesundheitsfragen zu beantworten und eine Reihe von Merkblättern zu verinnerlichen. Intensiv setzte er sich zum Beispiel mit der Hackfleischverordnung auseinander. „Das kann man nicht in zwanzig Minuten vermitteln“, sagt er. Den Meißner Promiwirt Ullrich Baudis erinnert die Methodik per Video an die Sicherheitsbelehrung im Flugzeug. Seiner Erfahrung nach achtet niemand darauf, wenn keine Stewardess mitmacht.

Für ausreichend hält dagegen der Meißner Restaurantbesitzer Karsten Müller das Verfahren des Gesundheitsamts. Als Chef bekomme er umfangreiche Materialien zu Neuerungen zur Verfügung gestellt. „Ich habe kein Problem damit, meinen Angestellten das Wissen zu vermitteln.“

In einem Punkt stimmt er jedoch mit den anderen Gastronomen überein: Ihnen erscheint wichtig, dass wieder amtsärztlich begutachtet wird, wer einen Gesundheitspass erhält beziehungsweise besitzt. „Ich bin auf die Selbstinfo der Arbeitnehmer angewiesen“, kritisiert Angelika Pietzsch. „Wenn einer unwissend eine Krankheit hat, ist das mein Risiko!“

Bis zum Jahr 2000 war vor der Aushändigung sowohl die Analyse von Stuhlgang vorgeschrieben als auch die Untersuchung auf Tuberkulose. Seit 2001 ersetzen die Belehrungen laut Gesundheitsamt beides, damit „die Beschäftigten auch in den Fällen einer Erkrankung wissen, wie sie sich zu verhalten haben“. Gesundheitsfachmann Joachim Kugler stuft neben Hepatitis B und offener Tuberkulose vor allem Darmkeime und Salmonellen als „tückisch“ ein. Um ihnen auf die Spur zu kommen, wäre aber eine tägliche Untersuchung nötig, sagt er. Da die nicht praktikabel ist, bleibt sein Ansatz, das Belehrungswissen im Gesundheitsamt zusätzlich zu testen.