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Schleimige Typen

Sie kennt sich mit Schnecken aus und sammelt jetzt ihre Fingerabdrücke.

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© René Meinig

Von Jana Mundus

Wenn Katrin Schniebs spazieren geht, dann nur bewaffnet – mit Fotoapparat und kleinen Kunststoffbehältern. Einfach nur durch die Natur zu wandern, das ist nicht ihre Art. Sie könnte schließlich etwas verpassen. Etwas Seltenes vielleicht sogar. Das wäre ärgerlich. Also schaut sie genau hin. Die, die sie sucht, machen es ihr leicht. Sie sind nicht von der schnellen Sorte. Katrin Schniebs ist Schnecken-Expertin. Über 200 Arten gibt es in Sachsen. Sie kennt sie alle. In den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden ist sie Sektionsleiterin für die Malakologie, für das Forschungsgebiet der Weichtiere. Von den Schnecken will die Wissenschaftlerin seit einiger Zeit vor allem eins – ihre Fingerabdrücke. In einem einmaligen deutschlandweiten Projekt sollen auch diese dabei helfen, das weltweite Artensterben aufzuhalten.

Insgesamt 206 Schneckenarten sind derzeit in Sachsen heimisch. Doch viele Arten sind bereits bedroht.
Insgesamt 206 Schneckenarten sind derzeit in Sachsen heimisch. Doch viele Arten sind bereits bedroht. © René Meinig
Es geht auch kleiner. Die Einzähnige Haarschnecke ist nur gut sechs Millimeter groß. Die Dresdnerin findet sie trotzdem.
Es geht auch kleiner. Die Einzähnige Haarschnecke ist nur gut sechs Millimeter groß. Die Dresdnerin findet sie trotzdem. © René Meinig

Ein ganzer Tag Regen im Sommer und danach Sonnenschein. Für Katrin Schniebs ist genau das das perfekte Schnecken-Wetter. „An solchen Tagen ist alles auf den Socken, was kriechen kann“, sagt sie. Zwei- bis dreimal pro Monat verlässt sie ihr Labor und geht auf die Pirsch nach den schleimigen Typen. Seit 1988 arbeitet sie in den Dresdner Sammlungen, ihr Blick ist heute geschärft. Sie entdeckt nicht nur Offensichtliches wie die Weinbergschnecke, die größte einheimische Landschneckenart. Sie findet auch die gerade einmal drei Millimeter kleine Punktschnecke.

Manche Arten sind in Sachsen allerdings bedroht. Wie die Zahnlose Schließmundschnecke etwa, deren Gehäuse wie das Gewinde einer Schraube aussieht. In alten Aufzeichnungen recherchiert Katrin Schniebs, wo solche Arten schon früher entdeckt wurden und schaut an den beschriebenen Punkten nach. Die Zahnlose Schließmundschnecke fand sich viele Jahre an der Bautzner Mühlbastei. Die Spalten zwischen den Steinen waren ideale Verstecke für sie. Doch dann schmierte der Mensch genau die mit Mörtel zu. Der Fundpunkt ist Geschichte. Nur noch wenige andere gibt es heute in Sachsen.

Auch deshalb beteiligt sich Katrin Schniebs am „German Barcode of Life“. Das deutschlandweite Großprojekt, bei dem viele Forschungseinrichtungen mitmachen, will die Artenvielfalt aller deutschen Tiere, Pilze und Pflanzen bewahren. Dafür sammeln Wissenschaftler die genetischen Fingerabdrücke, den DNA-Barcode, von Flora, Fauna und Pilzen. Deutschland ist mit diesem Projekt Teil eines internationalen Konsortiums aus Naturkundemuseen, Zoos, Botanischen Gärten und Wissenschaftseinrichtungen, das eine DNA-Barcode-Bibliothek des Lebens aufbauen will. Das Wissen um die Lebewesen soll konserviert werden.

„Die Artenvielfalt ist wichtig und muss erhalten werden“, sagt Katrin Schniebs. Doch damit diese geschützt werden kann, muss klar sein, was alles auf unserem Planeten lebt. Dafür braucht es die genetischen Fingerabdrücke. Wie der Strichcode auf der Milchpackung aus dem Supermarkt, der jedes Handelsprodukt eindeutig kennzeichnet, gibt es solch einen Barcode auch für Lebewesen. Gewonnen werden diese einzigartigen, kurzen Genabschnitte aus den Mitochondrien, den Kraftwerken in den Zellen, die für die Energieproduktion zuständig sind. Katrin Schniebs kann den Code der Schnecken lesen.

Für Unwissende ist es ein einziger Buchstabensalat. Wenn die Wissenschaftlerin die ausgelesenen DNA-Barcodes der Schnecken von ihren Laborkollegen bekommt, ist sie eine der wenigen, die da durchsteigen. Rote, grüne oder blaue Buchstaben sind auf dem Computer zu sehen. Ellenlange Reihen aus T, A, G oder auch C. Die Verbindung macht’s. Katrin Schniebs erkennt in den Kombinationen, um welche Art es sich genau handelt. Die Schnecke ist dabei eine Meisterin der Täuschung. Es gibt Exemplare, die sich ähneln. Nur ein geschultes Auge sieht die Unterschiede. „Für die Datenbank ist es wichtig, dass alles korrekt ist. Gerade für seltene Arten wäre es fatal, wenn der DNA-Barcode am Ende falsch gedeutet wird.“

Knapp 2 500 Barcodes haben Katrin Schniebs und ihre Dresdner Kollegen für die Datenbank gesammelt. Hinterlegt werden dort auch Beschreibungen und Fotos. Das digitalisierte DNA-Barcode-System soll später bei einer schnellen Bestimmung helfen und ein besseres Beobachten bedrohter Arten ermöglichen Katrin Schniebs hat dafür gesorgt, dass auch die sächsischen Schnecken nicht in Vergessenheit geraten.

www.weichtiere-sachsen.de; www.bolgermany.de