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Überfälle am Hauptbahnhof

Am Wochenende entwickelte sich das Gelände rund um den Wiener Platz erneut zum Brennpunkt: Erst eskaliert ein Streit am Wiener Platz, dann gehen 25 Fußballfans auf Ausländer los.

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© Symbolfoto: Roland Halkasch

Klemens Deider und Anna Hoben

Dresden. Die Spuren sind einen Tag nach dem Kampf noch deutlich zu sehen: Auf dem Boden der Passage am Wiener Platz liegen Scherben von Bierflaschen, Blut klebt an den Fliesen. Der Aufsteller vor dem Geschäft von Mustafa Rami ist verbeult. Den Ladeninhaber selbst hat es noch viel schlimmer getroffen. Sein rechtes Auge ist dick geschwollen und blutunterlaufen. Das andere Auge hat ebenfalls etwas abgekriegt, eine Hand ist geprellt. Auch sein Mitarbeiter wurde verletzt. Mustafa Rami ist nicht sein echter Name – den will der Geschäftsmann nicht nennen.

Ohne zu wissen, wie ihm geschah, war der 64-Jährige plötzlich mittendrin, als am Sonnabend gegen 16.45 Uhr eine Gruppe Fußballfans die Passage stürmte. Laut Polizei etwa 25 Männer, die zuvor in der Kneipe Ackis Sportsbar auf der Grunaer Straße das Dynamo-Spiel angeschaut hatten. „Sie schrien herum, sahen, dass ich Ausländer bin, und griffen mich an“, sagt Mustafa Rami. Mit dem Aufsteller prügelte einer der Angreifer auf ihn ein. Andere schmissen Regale vor dem Laden um und randalierten in seinem Geschäft.

Der Randale vorausgegangen war laut Polizei ein Streit von vier Fußballfans, die auf dem Heimweg von Ackis Sportsbar noch Bier in der Passage tranken, mit einem Tunesier. Als dieser Verstärkung von anderen Nordafrikanern bekam, zogen sich die Fußballfans zurück. Sie rannten hoch Richtung Hauptbahnhof, wo sie sich mit dem Rest ihrer Gruppe vereinten, dann stürmten sie die Passage.

Mustafa Rami wollte noch schlichten und beteuerte, mit dem Streit nichts zu tun zu haben, da wurde schon auf ihn eingeschlagen. Junge Männer mit Dynamo-Schals oder Sturmhauben verfolgten die Ausländer, die in Ramis Geschäft geflüchtet waren. Nach etwa 15 Minuten traf die Polizei ein und beendete die Randale. Die Bilanz der Beamten: vier leicht verletzte Personen (ein 27-jähriger Tunesier, ein 44-jähriger Algerier, ein 39-jähriger Algerier und ein 19-jähriger Afghane). Mustafa Rami, der mit einer gebrochenen Augenhöhle ins Krankenhaus kam und es kurz darauf mit einem OP-Termin verlassen konnte, ist noch nicht mitgezählt. Die Polizei nahm sieben Tatverdächtige vorläufig fest, alles Dynamo-Fans, so ein Sprecher. Sie wurden etwa drei Stunden später wieder freigelassen. „Nach der Befragung blieben vier handelnde Personen übrig“, sagt der Sprecher am Sonntag. Die Polizei ermittelt wegen Landfriedensbruchs und schwerer Körperverletzung. Die Höhe des entstandenen Sachschadens ist noch unbekannt.

Schweigen aus Angst

In den umliegenden Geschäften in der Passage will am Sonntag niemand etwas zu dem Überfall sagen. Zum Teil wohl aus Angst, das nächste Mal selbst betroffen zu sein. Andere behaupten, nichts mitbekommen zu haben, zum Beispiel ein Wirt, der sein Lokal direkt neben Ramis Geschäft hat. Von den beteiligten Nordafrikanern ist am Tag nach der Tat keiner zu sehen. Vermutlich auch, weil Polizisten über den Wiener Platz Streife laufen. Präsenz zeigen, wo sonst Drogendealer aus Nordafrika ihre Ware verkaufen. Eine kleine Gruppe von Ausländern, die gegenüber der Haltestelle stehen, sagen, sie hätten nichts von dem Überfall mitbekommen.

In einer ersten Reaktion verurteilt Valentin Lippmann, Landtagsabgeordneter der Grünen, die Angriffe scharf: „Sie beweisen erneut die massive Gewaltbereitschaft rechter Hooligans. Die Sicherheitsbehörden sollten die Gefahr endlich ernster nehmen und dürfen eindeutig rechtsextreme Motive der Hooligans nicht relativieren.“ Im Umfeld von Fußballspielen müssten darum die Sicherheitskonzepte überarbeitet werden, um Übergriffe zu verhindern.

Mustafa Rami hat davon erst einmal nichts. Dass es auch früher Probleme am Hauptbahnhof gab, bestreitet er nicht. „Es gab hier schon immer Drogendealer und Hooligans. Aber so schlimm wie jetzt war es noch nie. Pegida hat die Stimmung gegen Ausländer aufgeheizt“, sagt Rami. Der Hass habe spürbar zugenommen, so der gebürtige Iraker, der 1987 in die DDR kam, um seine Doktorarbeit zu schreiben. Seit 1993 hat er sein Geschäft in der Passage.