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Schichtwechsel nach zwölf Stunden

Eine der größten Fabriken Sachsens kehrt zurück zum Achtstundentag. Doch vielen Infineon-Beschäftigten ist der zu kurz.

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Von Georg Moeritz

Dresden. Das ist eine Revolution für Sachsens Vorzeige-Industrie: Rund 1 200 Beschäftigte der Mikrochip-Branche arbeiten von Januar an nicht mehr in Zwölfstundenschichten. Die neuen Dresdner Schichtpläne enthalten nur noch Arbeitstage zu acht Stunden, erfuhr die SZ von Betriebsrat und Pressesprecherin des Infineon-Werks. Die beiden anderen Dresdner Chipfabriken Globalfoundries (früher AMD) und X-Fab (früher ZMD) bleiben dagegen bei zwölf Stunden.

Zwölf Stunden seien „nicht gerade wenig lang“, räumt der X-Fab-Vorstandsvorsitzende Hans-Jürgen Straub ein. Doch seine Mikrochip-Anlagen laufen ständig, auch nachts und am Wochenende. Daher halte er die langen Schichten für die besten. Straub nennt zwei Vorteile: Nur alle zwölf Stunden ist eine Übergabe an die Ablösung nötig. Die Mitarbeiter haben zwar längere Arbeitstage, aber dafür weniger – sie sparen damit pro Woche in der Regel eine Fahrt zur Arbeit.

Kerstin Schulzendorf sieht dagegen eher die Nachteile der Zwölfstundenschicht: Sie ist Betriebsratsvorsitzende von Infineon Dresden. Zu ihr kommen Kollegen, die sich niedergeschlagen fühlen, die nachts nicht mehr arbeiten können. Schulzendorf hat miterlebt, dass viele die Belastung zunehmend als härter empfanden: „Am Anfang haben viele gesagt, das ist nicht so schlimm.“ Doch zwischen zwei Zwölfstundenschichten sei die Erholungszeit kürzer als zwischen Portionen zu acht Stunden. „Damit kommt man in einen Dauerstress.“ Manche Kollegen würden sich mit Medikamenten „hoch- und runterputschen“. Solche Arbeitszeiten bis zur Rente, das könnten sich die wenigsten vorstellen.

Hoffnung auf weniger Kranke

Die zwölf Stunden sind allerdings nicht komplett Arbeitszeit. Zehn Stunden steht oder sitzt ein „Operator“, ein Anlagenbediener, an den Automaten zum Beschichten, Belichten, Ätzen und Transportieren der Siliziumscheiben. Von den übrigen zwei Stunden sind 1,7 Stunden Pause, und 0,3 Stunden werden fürs Umkleiden bezahlt. Schließlich dient es dem Schutz der Anlagen im Reinraum, dass die Angestellten Overalls tragen, Masken vor Mund und Nase und die Hauben über dem Kopf.

Wenn die Infineon-Angestellten um 8  Uhr zur Tagschicht oder um 18  Uhr zur Nachtschicht kommen, dann ziehen sie als erstes ihre Straßenschuhe aus und schwingen sich über eine weiße Barriere zwischen unreinem Gebiet und Umkleide. In sauberer Kleidung geht es in den Reinraum, in dem nicht einmal gewöhnliches Papier und Bleistift erlaubt sind – der Abrieb könnte ja in einen Mikrochip geraten.

In der Halle mit gelblichem Licht reihen sich an langen Gängen Maschinen. Jede trägt eine Ampel, die mit Grün, Gelb oder Rot zeigt, ob ein Mensch in die Produktion eingreifen muss. An Bildschirmen mit Computer-Tastatur sitzen oder stehen maskierte Angestellte und überwachen die vielen Schritte, in denen Silizium mit Chemikalien und Metallen zum Mikrochip wird.

Die Arbeit ist nicht körperlich anstrengend, aber dennoch belastend, weiß Schulzendorf. Außerdem lassen sich zwölf Stunden schlecht mit Familienleben und Freunden vereinbaren. Der Betriebsrat hat dem Unternehmen die Änderung auch damit schmackhaft gemacht, dass der Krankenstand sinken dürfte. Die neuen Schichtpläne gelten nur für die Produktion, also für etwa 1 200 der gut 2 000 Beschäftigten und Leiharbeiter. Die Büroangestellten bei Infineon Dresden dagegen haben jetzt schon den Achtstundentag.

Erst Tag-, dann Nachtschicht

Die Verhandlungen über das neue Schichtmodell haben viele Monate gedauert. Vor sieben Jahren hat Infineon die Zwölfstundenschicht in Dresden eingeführt – und nur dort. In den anderen Betrieben in Deutschland und Österreich gibt es sie laut Betriebsrat nicht.

Dass die Arbeitnehmervertreter den langen Schichten 2005 zustimmten und sie jetzt wieder abschaffen wollten, liegt auch an veränderten Mehrheitsverhältnissen im Betriebsrat: Damals gab es eine starke Fraktion der Vereinigung AUB, die als arbeitgeberfreundlich galt. Inzwischen ist die IG-Metall-Gruppe um Kerstin Schulzendorf in der Mehrheit. Die Betriebsrätin findet die künftige Arbeitszeit familienfreundlicher – vielleicht gewinnt Infineon damit auch mehr Frauen für die Produktion, derzeit sind es etwa 30  Prozent. Doch die Änderung ist in der Belegschaft umstritten. Schulzendorf berichtet von zwei Umfragen, die unterschiedliche Meinungen ergaben. „Man richtet sich ja auch im Leben ein“, sagt die Betriebsrätin. Wer aus Kamenz oder Leipzig zur Arbeit nach Dresden reist, hat künftig mehr Fahrten. Bisher folgen auf vier Arbeitstage vier freie Tage. Insgesamt ergibt sich eine 36-Stunden-Woche.

Das neue Schichtmodell gilt daher als Pilotphase. Im Frühjahr und Herbst sollen Umfragen die Erfahrungen sammeln. Doch eine Rückkehr zum langen Arbeitstag hält Schulzendorf für unwahrscheinlich. Das würde auch den Erfahrungen widersprechen, von denen der Arbeitszeitexperte Hartmut Klein-Schneider aus Düsseldorf berichtet. Klein-Schneider arbeitet bei der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung. Er weiß, dass Änderungen meistens auf Widerspruch stoßen. Werden sie dann erprobt, gewöhnen sich viele Beschäftigte an das neue Modell und wollen nicht mehr zurück. Doch viele Unternehmen stehen zum Zwölfstundentag, berichtet Klein-Schneider: In der Chemie-Industrie sind die langen Schichten verbreitet, bei der Feuerwehr gibt es 24-Stunden-Dienste.

In der Dresdner Chipindustrie sind die zwölf Stunden inzwischen das übliche Maß. Im größten Betrieb Globalfoundries mit 3 800 Mitarbeitern laufen Verhandlungen über Details zum Schichtplan, aber nicht zur Länge. Bei X-Fab mit 350 Beschäftigten in Dresden und 650 in Erfurt hat Vorstandschef Straub keine Änderung vor – es gebe allerdings einige „Springer“ mit acht Stunden Dienst, die bestimmte Pausenzeiten ausgleichen.

Zehn freie Tage variabel

Wie schwierig der Wechsel zur Achtstundenschicht ist, bekamen die Betriebsräte schon vorher zu spüren. Ihr erstes Modell fiel bei einer Abstimmung durch – zu wenige freie Tage. Ein komplizierter Rhythmus musste her, mit sieben verschiedenen Gruppen, der sich erst nach 28 Wochen wiederholt. Eine lange und eine kurze Woche wechseln sich dabei ab. Die lange Woche hat gleich sieben Arbeitstage, allerdings kann jeder Mitarbeiter dort etwa zehn freie Tage pro Jahr variabel einsetzen.

Eines ändert sich nicht: Nach freien Tagen wird erst am Morgen gearbeitet, später folgen Nachtschichten. Umgekehrt wäre es schwer erträglich, sagt Experte Klein-Schneider. Von mehr als drei Nachtschichten hintereinander rät er ab. Auch daran hält sich der neue Plan bei Infineon. Die Chipwerker im übrigen Silicon Saxony werden gespannt auf die Erfahrungen warten.