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Scheidende Schwestern

Diakonissen haben das Emmaus 150 Jahre lang geprägt. Nachwuchs aber ist in Niesky nicht in Sicht.

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© André Schulze

Von Alexander Kempf

Schwester Elisabeth hadert noch etwas mit der Schleife der historischen Haube. Selbst für die 78-Jährige ist es ungewohnt, das schwarze Festtagskleid und die weiße Kopfbedeckung zu tragen. Doch für den Fotografen der Zeitung steht sie bereitwillig Modell. Schwester Wera, die ihr über die Schulter schaut, hat sich für den Fototermin nicht eigens umziehen müssen. Sie trägt ihre moderner geschnittene dunkelblaue Tracht auch im Alltag. Ihre Haube ist deutlich kleiner als das ältere Modell von Schwester Elisabeth und die Diakonisse darüber nicht unglücklich. Die alte Kopfbedeckung, erzählt sie, ist einst an den Ohren nicht sonderlich bequem gewesen.

Wäre es da nicht noch entspannter, ganz auf Haube und Tracht zu verzichten? Eine Pflicht, beides zu tragen, gibt es doch ohnehin seit Jahren nicht mehr.

Sie habe sich an die Kleidung gewöhnt, erzählt Schwester Wera. Auf Äußerlichkeiten käme es ohnehin nicht an. „Gott fragt uns nicht, ob wir in Haube und Tracht gegangen sind“, sagt die 70-Jährige. Die Kleidung der frommen Schwestern sei einst so oder so nur ein Zugeständnis an die Gesellschaft gewesen. Denn als die Diakonissenanstalt 1866 gegründet wird, schickt es sich nicht, dass alleinstehende Frauen in fremde Familien gehen, um dort Bedürftigen zu helfen. Darum, erklärt Schwester Wera, haben die Diakonissen einst von Gründer Hermann Plitt symbolisch das Kleid einer verheirateten bürgerlichen Frau erhalten.

Im Nieskyer Krankenhaus können sich Patienten und Besucher diese Zeit nun wieder leicht vor Augen rufen. Eine Ausstellung mit alten Fotos illustriert die Geschichte des Emmaus. Die Diakonissenanstalt macht sich so selbst ein Geschenk. Denn am Freitag feiert sie auf den Tag genau ihre Gründung vor 150 Jahren im oberschlesischen Gnadenfeld. Erst seit 1883 sitzt sie in Niesky. Die Kleinstadt verdankt dem Emmaus seither viel.

Aus dem kleinen Stift, in dem erst nur Pflegeschwestern ausgebildet werden sollen, ist später ein ganzes Krankenhaus hervorgegangen. Das gehört zwar seit 2015 zur Diakonissenanstalt Dresden, das Emmaus betreibt als Stiftung aber auch weiterhin eine Berufsfachschule für Altenpflege, das Altersheim Abendfrieden und die Kindertagesstätte Samenkorn in Niesky. Außerdem zählen ein ambulanter Hospiz- und Palliativberatungsdienst, Betreutes Wohnen, eine Tafel für Bedürftige sowie eine Zimmervermietung zu den Angeboten der Stiftung. An ihrer Spitze steht mit Oberin Schwester Sonja noch heute eine Diakonisse. Sie und Schwester Katarina sind 1992 die bisher letzten Frauen, die in Niesky eingesegnet worden sind.

„Ja, es ist wohl so, dass das Model der Lebens-, Glaubens- und Dienstgemeinschaft der Diakonissen des 19. Jahrhunderts, ein Ende gefunden hat“, räumt Schwester Sonja ein. Das bedeute aber noch lange nicht das Ende der Diakonissenschwesternschaften, sagt sie. Im Diakoniewerk Bethel-Bielefeld etwa sollen bald sieben Frauen zur Diakonisse eingesegnet werden. Schwester Sonja weiß das, da sie zu der Veranstaltung eingeladen worden ist. Die neuen Diakonissen würden jedoch keine Hauben mehr tragen. Einige sind gar verheiratet und leben in einer Familie, berichtet die Oberin. Auch auf den Beruf der Krankenschwester sind die Frauen nicht abonniert. So haben im Bielefelder Stadtteil eine Finanzbeamtin, eine Journalistin und eine Hauswirtschaftlerin neben ihren Berufen in einer dreijährigen Weiterbildung die Grundkenntnisse für das Diakonissenamt erworben.

Eine Trendwende bedeutet das wohl dennoch nicht. Die Oberin des Emmaus klingt aber trotzdem versöhnlich. „Das Ziel, das Hermann Plitt und Theodor Fliedner vor 150 Jahren mit der Schaffung von Diakonissenschwesternschaften im Blick hatten, ist erreicht. Deutschland hat heute ein funktionierendes Sozialsystem“, sagt sie. Und während die ehelosen Schwestern früher Taschengeld erhalten haben, stehen die Mitarbeiter des Emmaus heute in regulären Angestelltenverhältnissen.

Schwester Wera, die als eine von zehn Schwestern im Ruhestand in Niesky lebt, blickt dennoch zufrieden zurück. „Ich empfinde die Gemeinschaft als eine Erleichterung“, sagt sie. Für eine alleinstehende Frau sei es eine große Hilfe, nicht alleine zu leben. Trotzdem ist sie skeptisch, dass andere ihrem Beispiel noch folgen. „Die Form, in der ich lebe, wird nicht wieder auferstehen“, sagt die Seniorin. Die Gesellschaft sei heute eine andere.

Die alten Hauben und Trachten dürften also langsam aber sicher aus dem Nieskyer Stadtbild verschwinden. Beim 200. Geburtstag der Diakonissenanstalt werden sie wohl schon nur noch Antiquitäten sein. Dabei können sicher alle Nieskyer Schwestern Anekdoten erzählen, die sie ihrer aus der Mode gekommenen Tracht verdanken. Die hätte ihr immer auch eine gewisse Autorität verliehen, erzählt Schwester Wera. Der eine sei ihr dadurch wohl freundlicher gegenübergetreten, der nächste unbeholfener. Sie hat es daher gefreut, dass die Schwestern schon seit den 1960er-Jahren auch ohne Tracht Urlaub machen dürfen. „Das habe ich sehr genossen. Da konnte ich mal untertauchen“, sagt Schwester Wera. Nur als es in zivil einmal mit dem Strandkorb an der Ostsee nicht klappen will, da kehrt sie einen Tag später in Tracht an den Strand zurück. Mit Erfolg. Sie erhält im zweiten Anlauf einen der begehrten Plätze.