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Schätze aus der Versenkung

Die Senckenberg-Sammlungen holen zwei Raritäten ans Licht: Glasmodelle von Blaschka – wohl die einzigen in Dresden.

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© H.&H.-J.Koch

Von Nadja Laske

Stühlerücken im Lingnerschloss. Jeder Platz ist besetzt und noch immer warten Gäste vor der Tür. So viele sind zum Vortrag über Leopold und Rudolph Blaschka gekommen, dass es enger im Saal nicht werden kann. Professor Christoph Neinhuis erstaunt das nicht. Der Biologe kennt das Interesse schon von anderen Vorträgen, die er über die Arbeit der beiden Glasbläser gehalten hat. Deren Kunst frappiert bis heute. Vater und Sohn. Von ihrer kleinen Hosterwitzer Werkstatt aus versorgten sie Sammlungen, Kliniken und Universitäten mit mundgeblasenen Modellen der Unterwasser-Fauna und der Flora. In der Harvard Universität Bosten liegt heute der größte Teil des Blaschka-Werkes versammelt. Dresden als dessen Wiege jedoch hat kein einziges Ausstellungsstück vorzuweisen – dachte man bisher.

Katrin Schnieps hat das Modell einer Seegurke aus dem Senckenberg-Depot geholt, wo es acht Jahre lagerte.
Katrin Schnieps hat das Modell einer Seegurke aus dem Senckenberg-Depot geholt, wo es acht Jahre lagerte. © Sven Ellger
Den Kauf hatte Prof. Christoph Neinhuis vermittelt.
Den Kauf hatte Prof. Christoph Neinhuis vermittelt. © Archiv
Ebenso den der Koralle. Aus Glas geblasen hat sie Leopold Blaschka.
Ebenso den der Koralle. Aus Glas geblasen hat sie Leopold Blaschka. © Sven Ellger

Ganz vorsichtig hebt Katrin Schnieps ein graubraunes Etwas aus einer Pappschachtel. Die Wissenschaftlerin ist Expertin für Weichtiere. Was sie jedoch in ihren Händen hält, fühlt sich nicht weich und glibberig an, sondern fest, kühl und trocken. Es ist das Modell einer Seegurke aus der Produktion der Blaschkas. In den nächsten Tagen wird sie das Exponat mit einem feinen Pinsel entstauben und für eine Foto-Session vorbereiten. Außerdem wird sich Katrin Schnieps an ihren Rechner setzen und 1 000 Zeichen über den Meeresbewohner und sein Modell schreiben. Denn die gläserne Seegurke wird Teil einer Ausstellung sein, die an der naturhistorischen Forschungsstation gerade vorbereitet wird. Senckenbergs verborgene Schätze soll sie heißen und Objekte zeigen, die sonst nur in kühlen Kellern schlummern. Die Wanderausstellung ist für Ende November im Japanischen Palais geplant und geht Ende Februar auf Reisen zu den anderen Standorten der naturforschenden Gesellschaft in Deutschland.

Nicht schön aber selten

Eine schöne Überraschung für Christoph Neinhuis ist das. Der TU-Professor hatte die Hoffnung, dass die Seegurke den Weg aus ihrer Versenkung in eine Vitrine finden würde, schon fast verloren. Ihm verdankt die Heimat der Blaschka-Kunst, dass sie nicht ohne ein einziges Exemplar dasteht. Seit rund zehn Jahren beschäftigt sich der Botaniker hobbymäßig mit dem Werk der Kunsthandwerker. Deren künstlerische Leistung jedoch interessiert ihn viel weniger als ihre Bedeutung für die Naturwissenschaft im 19. Jahrhundert.

Im Jahr 2005 erfuhr Neinhuis von einem Antiquar, der zwei Blaschka-Modelle verkauft. „Mir war sofort klar: Das ist etwas ganz Besonderes. Solch eine Chance kommt nicht bald wieder“, erzählt er. Neben der Seegurke, die nun in Kombination mit künstlerischen Fotografien in der Ausstellung zu sehen sein wird, bot der Händler ein weiteres Modell: das einer Edelkoralle. Auch sie lagert im Depot der Senckenbergsammlung. Mehrfache Brüche wurden von unbekannten früheren Besitzern geklebt. Weder sie noch die Seegurke lassen ahnen, zu welch atemberaubenden Glasgebilden die Blaschkas fähig waren. Im Vergleich zu bunt schillernden Quallen, Orchideen in strahlenden Farben, Blättern und Blüten, sogar ganzen Blumensträußen, die überwältigend echt wirken, sind die Dresdner Exponate eher unattraktiv. Und trotzdem nicht minder wertvoll: Für 16 000 Euro kaufte der Freistaat sie 2006 an. „Leider haben wir keine Dauerausstellung, in die die Objekte integriert werden konnten“, sagt die Senckenberg-Sprecherin Birgit Walker. Eine ehemals geplante Sonderschau habe sich zerschlagen. Deshalb verschwanden beide in Pappkartons.

„Vermutlich stammen die Modelle von Leopold Blaschka“, sagt Christoph Neinhuis. Als Glasbläser hatte er sich in den 1840er-Jahren in Nordböhmen selbstständig gemacht. Er verstand das sogenannte Glasspinnen, das feinste Arbeiten aus Glas ermöglicht. Zunächst verdiente er sein Geld mit gläsernen Schmucksteinen und Knöpfen. Schließlich verlegte sich Leopold Blaschka auf das Fertigen von Glasaugen. Nach dem frühen Tod seiner Frau ging er 1853 auf eine Schiffsreise und geriet auf dem Atlantik in eine Flaute. Um sich die Zeit zu vertreiben, zeichnete er Meerestiere, die er im Wasser beobachtete. Sie wurden Grundlage seiner ersten mundgeblasenen Tiermodelle. Sie und auch Pflanzen in Glas begeisterten die aufstrebenden naturwissenschaftlichen Kreise seiner Zeit. Mit seiner zweiten Frau hatte Leopold Blaschka einen Sohn, zog 1863 mit seiner Familie nach Dresden und weihte Rudolph schließlich in sein Kunsthandwerk ein. Der trieb die Glas-Modellage bis zur Perfektion und stellte im Auftrag der Harvard-Universität zusammen mit seinem Vater rund 4300 Modelle für Lehre und Forschung her – nicht nur ganze Pflanzen vergrößert oder in Originalgröße, sondern auch ihre einzelnen Pflanzenteile.

Letzte Objekte, die noch im Hosterwitzer Haus der Blaschkas verblieben waren, kaufte Harvard zusammen mit dem Arbeitstisch samt Werkzeugen kurz nach der Wende auf. Die meisten Dresdner Modelle waren schon vorher zerstört worden. Im Blaschka-Haus an der Dresdner Straße lebt inzwischen Arne Nowak, der sich mit diversen Kunstprojekten einen Namen gemacht und vor Jahren den Blaschka-Haus e. V. gegründet hat. Der Verein habe den Zweck, eine museale Gedenkstätte um das Wirken der Glaskünstler Leopold und Rudolph Blaschka zu unterhalten und ihr Andenken zu wahren, heißt es in der Satzung. Die letzten Einträge unter „Aktuelles“ stammen aus dem Jahr 2008. Die Verantwortliche habe gerade ihr zweites Kind bekommen und keine Zeit für die Websitepflege gehabt, erklärt Arne Nowak. Laut Homepage hat der Verein 42 Mitglieder.

Wenige Meter von ihrem ehemaligen Haus entfernt ruhen die Blaschkas in ihrem Familiengrab auf dem Hosterwitzer Friedhof. Efeu umwuchert grauen Granit, vergilbte Grablichter hat nie jemand weggeworfen, ein verwitterter Gipsengel überdauert das Irdische. Die Universität Harvard zahle die Pacht, sagt der Friedhofsverwalter. Die Grabpflege sei nicht inklusive.