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Sauereifaktor garantiert

Fast Food in Nadelstreifen? Starkoch Hubertus Tzschirner macht in seiner Geburtsstadt Görlitz den Test.

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© Wolfgang Wittchen

Von Michael Rothe

Lasset uns die Hände falten, fest zupacken, kraftvoll reinbeißen – und beten, dass keiner zu Schaden kommt. Albrecht Dürers „Betende Hände“ erleben nach 508 Jahren eine eigenwillige Interpretation: Mit einem Hamburger auf dem Cover des „Burger Unser“, einer ganz speziellen Bibel.

Keine Angst vor großen Burgern: Lilith zeigt, wie es geht.
Keine Angst vor großen Burgern: Lilith zeigt, wie es geht. © Wolfgang Wittchen
Patrizierhaus Görlitz: stilvolle Kulisse fürs Burger-Shooting.
Patrizierhaus Görlitz: stilvolle Kulisse fürs Burger-Shooting. © Wolfgang Wittchen
Eigenes Evangelium – fast 500 Jahre nach Martin Luther.
Eigenes Evangelium – fast 500 Jahre nach Martin Luther. © Wolfgang Wittchen

„O mein Gott, Blasphemie!“, mag mancher rufen. Doch Hubertus Tzschirner, federführender Autor, ist über jeden Verdacht erhaben. „Das 38. Burger-Buch auf dem Markt musste einfach anders sein“, sagt er. Die Kirche habe stillschweigend ihren Segen gegeben, Vorbehalte habe es nur in den eigenen Reihen gegeben. Das kulinarische Evangelium, ein fast zwei Kilo schwerer Schinken, sei „Spaßprojekt mit ein paar coolen Jungs gewesen“, so Tzschirner. Das sechsköpfige Team sei fest im Glauben: an guten Geschmack und an sich.

Der 40-Jährige ist der Kopf der Bande. Und gebürtiger Görlitzer. Mit einem McDonalds nahe der Autobahn und einer Grillbar in einer City-Passage ist die Grenzstadt an der Neiße nicht gerade ein Burger-Mekka. Doch das war nicht der Grund, weshalb Tzschirners Familie Anfang der 80er in den Westen ausreiste. Schließlich kannte man diese Art Bulette im deutschen Osten nur aus dem West-TV – falls man es empfing.

Heute ist das Schnellgericht längst mehr als ein Hacksteak mit gemüsigen, soßigen oder käsigen Belägen zwischen zwei Semmelhälften. Und so kultig, dass es gar einen „International Hamburger Day“ gibt; am 28. Mai. Der Ursprung jener Festivität liegt im Dunkeln, womöglich Eingebung von Bürgern namens King oder McDonald. Ähnlich unklar ist die Herkunft des Fast Foods. Mehrere US-Adressen reklamieren das Copyright, beweisen kann es keine. Gesichert ist: Hamburger waren vor 150 Jahren in vieler Munde, und irgendwie hatte das auch mit gleichnamigen Auswanderern zu tun.

Hubertus Tzschirner wandert zwischen den Welten: als Koch, Caterer und preisgekrönter Buchautor. Mit seiner Firma „esskunst“ im hessischen Bad Nauheim präsentiert er weltweit innovative Küche auf Messen, in Seminaren und Kursen. Die Branche nennt ihn „Starkoch“. Hätte er ein Restaurant, wäre er wohl Sternekoch. Kein Makel.

Anders bei seiner Bibel: Unter den dort 50 „Besten Burger-Läden“ Deutschlands steht dort nur eine Ost-Adresse: das „Mr. Meyers“ in Zwickau. Die Wege des Herrn sind unergründlich. Tzschirner gelobt bei Folgeauflagen Besserung. Die dritte ist in Arbeit, die ersten 5 000 Exemplare waren nach vier Wochen ausverkauft. Das Burger-Universum ist in Bewegung. Die Fast-Food-Kette McDonalds schwenkt nach Umsatzeinbruch auf gesündere Zutaten um und testet in Texas die Produktion mit frischem Hackfleisch statt mit blitzgefrorenen Patties. So heißt die gegrillte oder gebratene Scheibe – meist aus Rinderhack.

Immer neue Namen erobern die Speisekarten. Nach der Böhmermann-Affäre erfand ein Laden in Köln den „Erdogan-Burger“ mit Rucola und Ziegenkäse. Auch optisch gibt es kaum Grenzen. So wirbt ein Nobel-Restaurant in Dubai mit einem „Khalifa Burger“, einem Doppeldecker aus großem und kleinem Burger sowie einer Krone. Nicht ganz so hoch wie das mit 828 Metern höchste Gebäude der Welt, ihm aber nachempfunden mit Hummerschwanz, Ei, Trüffel Aioli, Gänseleber, Gurke. Preis: 500 Dirham, 122 Euro.

Bei ihm gibt es keinen Knigge

„Think big!“ Der Grundsatz gilt auch im Görlitzer Patrizierhaus St. Jonathan, wie Hubertus Tzschirner bald feststellt. Matthias Holfert, ebenfalls ein Sohn der Stadt, aber geblieben, hatte den Barockbau 1995 gekauft und bis 2002 saniert. Der 54-Jährige betreibt außer dem Restaurant noch ein Café-Bistro am Untermarkt. Das St. Jonathan mit ehrwürdigen Gewölbebögen ist eigentlich auf mediterrane Küche und Steaks spezialisiert. Die Karte kennt nur einen Burger. Doch der hat es in sich, wissen Insider.

Und so mancher Filmstar. Seit Hollywood Görlitz als Filmkulisse entdeckt hat, gehen die Crews bei Holfert ein und aus. Er bekochte Schauspieler wie Tilda Swinton, Jackie Chan, Ralph Fiennes oder Willem Daffoe und Regisseure wie Quentin Tarantino oder Wes Anderson. „Die lieben es unkompliziert“, sagt Holfert. Der studierte Agrarwissenschaftler kennt sich aus mit Fleisch, verkauft seit 25 Jahren Steaks.

Hubertus Tzschirner ist neugierig. „Burger im Bürgerhaus, noch dazu in der Altstadt – gibt es ein stilvolleres Ambiente“, fragt er rhetorisch.

Kaum haben sich Holfert und sein Special Guest begrüßt, beginnt ein Disput über Convenience, „bequemes“ Essen, das aus vorgefertigten Bestandteilen besteht und derer sich auch Tzschirner bedient. „What the hell is this“, liegt es Gastgeber Holfert auf der Zunge – „Was zum Teufel ist das!“ Diesen Satz hatte er in einer Minirolle in „The Grand Budapest Hotel“ zu sprechen, für den 2013 das berühmte Jugendstilkaufhaus umfunktioniert worden war. „So geht die Unverwechselbarkeit der Speisen verloren“, moniert Holfert. „Muss nicht sein – frische Regionalküche und Convenience schließen sich nicht aus“, entgegnet Tzschirner, der die eingesparte Zeit für oft unkreative Vorarbeiten lieber zu Neuentwicklungen nutzt. Auch beim Burger. Für den Mac’n’Cheese etwa, bei dem das „Brötchen“ durch frittierte Nudeln ersetzt wird. Oder für den Windbeutel Puff Daddy aus einer Creme mit Tonkabohnen. Ja, Burger gehen auch als Nachtisch. Andere Teile aus der Bibel heißen unamerikanisch „Heldenfrühstück“ oder „Saupreiß“ – 70 Burger mit Rezept und katalogisiert nach „Sauereifaktor“ auf einer Skala von eins bis zehn. Zwei schaffen zwölf und elf.

Das Exemplar, das Holfert dem Burger-Meister serviert, lässt diesen staunen: ein Prime Beef Burger mit frittierten Zwiebeln, Pommes und Salat. Von der Fleischscheibe würden zwei Burger-Nerds satt. Holfert betont, die Hauskreation für 14,90 Euro wiege immer 300 Gramm – und nicht nur weil der Maestro da sei.

Aber wie isst man so was, zumal im Anzug? Und schickt sich das? „Unbedingt“, sagt Tzschirner. Mit Messer und Gabel? „Niemals“, so der Bibel-Autor. „In meiner Welt gibt es keinen Knigge.“ Und: „Was gibt es Besseres als danach die Finger abzulecken.“ Lilith, eine hessische Gymnasiastin auf Görlitz-Trip, macht’s am Nebentisch vor. Tzschirner bindet sich eine Serviette um. Nach ein paar Ansätzen hat er den Burger dank eines langen Mittelfingers im Griff und reißt den Mund auf. Herabstürzende Teile gehören dazu. Kollateralschäden. Am Ende seines Abstechers in die Heimat gibt Starkoch Tzschirner dem Riesenburger vom St. Jonathan 20 von zehn Punkten – beim Sauereifaktor. Und er leckt sich genüsslich die Finger.

Diesen und weitere Artikel über die sächsische Wirtschaft finden Sie in der Sommer-Ausgabe von Wirtschaft in Sachsen – dem Entscheidermagazin der Sächsischen Zeitung, erhältlich am Kiosk und an Tankstellen. Die nächste Ausgabe erscheint im September. Mehr über Wirtschaft in Sachsen