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Sahra verzweifelt gesucht

Eine 15-jährige Pirnaerin verschwindet in Berlin, seit vier Wochen fehlt jede Spur. Ihre Mutter hofft auf ein Wunder.

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© privat

Von Thomas Möckel

Pirna/Berlin. Vor einigen Tagen hat Anja Drechsel ein Bild im sozialen Netzwerk Facebook veröffentlicht, es zeigt eine Taube, schneeweiß, friedlich und hoffnungsvoll sieht sie aus. Dazu hat sie folgende Zeilen geschrieben: „Es sind mittlerweile 21 Tage – meine Tochter ist immer noch nicht gefunden. Kein Zeichen, kein Hinweis, immer noch nichts. Es ist schwer, die Hoffnung nicht zu verlieren. Bitte lass sie wieder gesund und munter vor mir stehen.“ Den Text zu formulieren, fiel ihr unerträglich schwer. Anja Drechsel, zu Hause in Pirna, durchleidet gerade einen Albtraum, der für alle Eltern schlichtweg die Hölle sein muss: Ihr Kind ist weg. Tochter Sahra Justine Lammert, 15 Jahre alt, verschwand am 27. September in Berlin, seither fehlt von dem Mädchen jede Spur, es gibt kein Lebenszeichen, keinen Tipp, wo sie sein könnte. Es ist ein rätselhafter Fall.

Sahra, sagt ihre Mutter, sei nicht der Typ dafür, einfach so zu verschwinden. Noch nie sei sie von daheim abgehauen. Ab und an, wenn es zu Hause mal Stress gab, schlief sie bei einer Freundin, kam aber spätestens am nächsten Tag wieder heim. Diesmal ist alles anders. Weil die Polizei in den vergangenen Wochen in diesem Fall so gar nicht weiterkam, fahndet sie nun öffentlich nach dem Mädchen. Am 19. Oktober, fast einen Monat nach Sahras Verschwinden, veröffentlichten die Ermittler ein Foto der 15-Jährigen. Seit dem 27. September, schrieben die Fahnder, werde Sahra vermisst. Das Mädchen habe gegen 15 Uhr ihre Wohngruppe in Berlin-Mahlsdorf verlassen und sollte 20 Uhr zurück in der Einrichtung sein. Bislang kehrte sie nicht zurück. Trotz umfangreicher Ermittlungen konnte ihr Aufenthaltsort bis heute nicht geklärt werden. Im Suchaufruf beschreiben die Ermittler Sahra als 1,65 Meter groß, normale Figur, langes dunkles Haar. Auffällig: Sie hat ein großes braunes Muttermal auf der rechten Wange, das fast bis zum Ohr reicht. Sie trägt eine orangefarbene Brille, eine schwarze Jacke, darunter ein helles T-Shirt sowie eine dunkle Hose. Doch statt Hinweisen gab es zunächst heftige Kritik.

Der Unmut richtete sich vor allem gegen den späten Fahndungsaufruf. Während Sahras Eltern unmittelbar nach dem Verschwinden öffentlich auf Facebook Freunde um Hilfe baten, ging die Polizei erst am 19. Oktober an die Öffentlichkeit. Doch die Fahnder kontern, sie hätten bereits umfangreich ermittelt, ohne das Mädchen zu finden. Eine öffentliche Fahndung sei als eines der letzten Mittel schließlich für notwendig erachtet worden. Doch ob sie etwas bringt, daran haben inzwischen sogar die Ermittler ihre Zweifel. Aus Gesprächen mit den Berliner Fahndern weiß Anja Drechsel, dass die Kripo nicht mehr davon ausgeht, Sahra sei einfach nur so weggelaufen. „Sie rechnet mit Schlimmerem“, sagt die Mutter. Dabei sollte gerade alles wieder gut werden.

Anja und ihre Tochter hatten sich eine Weile nicht gesehen, wegen kleiner Differenzen brach der Kontakt zeitweilig ab. Aber im Sommer meldete sich Anja wieder bei Sahra, so einfach wollte sie nicht aufgeben. Die Tochter war einverstanden, ein richtig gutes Mutter-Tochter-Verhältnis sollte sich wieder entwickeln. Die Situation, sagt Anja Drechsel, schien sich zu normalisieren, seit Wochen schon war ein Treffen geplant. Doch dazu kam es nicht.

Vor ein paar Jahren hatten sie sich noch regelmäßig gesehen. Sahra wurde im Mai 2001 in Düren geboren, 2004 zog die Familie wieder nach Pirna, zurück in Anjas Heimat. Fünf Jahre später allerdings trennte sie sich von ihrem Mann, er zog kurz darauf mit der großen Tochter nach Berlin. Zuletzt jedoch wohnte Sahra im Stadtteil Mahlsdorf in einer betreuten Wohngruppe. Warum sie dorthin ging, weiß ihre Mutter nicht. Laut ihrem Vater sei sie aber wieder daheim bei ihm gemeldet gewesen.

Umso unverständlicher ist, dass Sahra jetzt weg ist. So rein gar nichts spricht dafür, dass sie einfach so verschwand. „Sie hat nichts mitgenommen, kein Geld, keine Klamotten, nicht mal eine dicke Jacke“, sagt Anja Drechsel. Nur das Handy, ihr ständiger Begleiter, hat Sahra offenbar bei sich, es hilft den Ermittlern aber nicht weiter. Sie können es nicht orten, weil es seit Sahras Verschwinden ausgeschaltet ist. Mehrere Versuche brachten nichts. Auch anderes verlief im Sande.

Gerüchte und Ermittlungsansätze, Sahra habe jemanden im Internet kennengelernt und sei zu ihm gezogen, zerschlugen sich zwischenzeitlich wieder. Dennoch vermutet die Polizei, dass das Mädchen mit jemandem mitgegangen ist oder von jemandem mitgenommen wurde – ob freiwillig oder unfreiwillig, weiß keiner. Auch die Möglichkeit, dass Sahra auf dem Weg nach Pirna war, gilt mittlerweile als unwahrscheinlich. Zwar besuchte sie regelmäßig ihre Großeltern auf dem Sonnenstein und suchte zuletzt auch wieder Kontakt zu ihrer Mutter. Doch vor den Besuchen kündigte sie sich stets an. „Und wenn sie wirklich herkommen wollte, wäre sie längst da“, sagt Anja Drechsel. Dass sie so gar keinen Hinweis hat, zermürbt sie. Die derzeitige Situation, sagt die Mutter, lasse sich eigentlich nicht aushalten. Um doch irgendwie alles zu verarbeiten, sucht Anja Drechsel seit Wochen schon öffentlich auf Facebook nach Sahra. Menschen aus sämtlichen Bundesländern und vielen Städten spenden Trost und Zuspruch, die Beiträge sind inzwischen tausendfach geteilt. „Ich hoffe“, schreibt ein Jörg Füwa stellvertretend für viele, „dass Sahra bald wieder bei Dir ist.“

Vermisstenstelle des LKA Berlin: Telefon 030 4664912444