Merken

Sagenhaftes Mittelsachsen

Der Landkreis hat jetzt eine Sagensammlung. Verkauft werden darf die aber nicht.

Teilen
Folgen
© Dietmar Thomas

Von Maria Fricke

Döbeln. Wenn zwei ein Haus erben, ist Streit programmiert. So soll es sich auch in der Vergangenheit an der Döbelner Ritterstraße zugetragen haben. Eine Sage erzählt, dass einst zwei Brüder um das Haus Nummer 20 (heute die Apotheke an der Oberbrücke) gekegelt haben sollen. Der Verlierer blickte danach betrübt, der Gewinner war fröhlich. Er ließ als Erinnerung an diese Begebenheit zwei Köpfe in das Hamannsche Haus aus dem Jahr 1854 schlagen. Die Köpfe gibt es nicht mehr. Dafür die beiden Kegelbrüder am Eingang der Ritterstraße, die 1992 von einem Chemnitzer Bildhauer aufgestellt worden sind.

Sagenhaft ist diese Erklärung für die Herkunft der Kegelbrüder. Doch nicht nur dafür lässt sich ein solcher Hintergrund finden. Wer schon immer einmal wissen wollte, wie das Wiprechtseck bei der Burg Mildenstein in Leisnig zu seinem Namen kam oder was es mit der Nixkluft in Waldheim auf sich hat, der wird in der Sagensammlung Mittelsachsens fündig. Diese ist am Freitag auf der Rochsburg bei Lunzenau der Öffentlichkeit vorgestellt worden.

Nur knapp ein dreiviertel Jahr hatte die Kulturwerkstatt von Dr. Brunhild Becker aus Waldheim Zeit für das reichlich 300 Seiten umfassende Werk. Aus über 500 Sagen hat das Team auswählen müssen. Denn nur 300 haben Eingang in die Sammlung gefunden. „Wir haben pragmatisch ausgewählt“, sagt Brunhild Becker. Das heißt: Die gesamte Region Mittelsachsen ist in Form von Sagen in den Bänden präsent, obwohl um manche Orte sehr viele Sagen ranken, um andere Gegenden nur sehr wenig. Dass die gesamte Region abgedeckt wurde, belegen auch die Karten, die jedem Band beigelegt und auf denen die Schauplätze der Sagen verzeichnet sind.

Der Sammlung vorausgegangen ist ein Kulturlandschaftsplan, den die Technische Universität Dresden entwickelt hat. Dieser gliedert den Landkreis in fünf verschiedene Regionen, die sich nach ihrer Kulturlandschaft unterscheiden: das Osterzgebirge mit seinen Silberfunden und dem Berggeschrey, das Döbelner Lösshügelland mit seiner Mischung aus slawischen und germanischen Kulturen, das kleine Rochlitzer Land mit seinem markanten roten Porphyr sowie die Mulde-Lösshügellandschaft zwischen Zwickauer und Freiberger Mulde. Als Region, die alle Kulturlandschaften erfasst, kommt die Tallandschaft hinzu. Sie ist charakterisiert durch die Täler der Flüsse der Freiberger und Zwickauer Mulde, der Striegis sowie Zschopau, der Chemnitz und Flöha. Nach diesen Regionen sind die Sagen in den Bänden auch angeordnet.

Zu Beginn des Projektes habe es laut Becker auch einige kritische Stimmen gegeben: Schon wieder Sagen? „Sie kommen aus dem Volk. Man ist besser dran an den Menschen. Überraschend viele haben mir auf dem Weg zu den Bänden gesagt, dass sie gern Sagen lesen“, berichtet Brunhild Becker. Den Machern der Bände sei es wichtig gewesen, Tradition und Moderne zu verbinden. „Die Sagensammlung dürfte auf keinen Fall langweilig werden“, betont Becker. Dazu beitragen sollen sowohl die Bilder von den Spielplätzen der Sagen sowie die Cartoons des Waldheimer Karikaturisten Werner Rollow.

Innerhalb von anderthalb Monaten hat der 79-Jährige die Cartoons entstehen lassen. Eigentlich sollte er nur das Titelbild entwerfen. Dann kam die Idee mit August dem Starken, der sich auf eine Reise durch die Sagenwelt Mittelsachsens macht, auch wenn er selbst keine Rolle in den fantastischen Erzählungen spielt.

Rund 43 000 Euro hat die Erstellung der Sagensammlung von der Idee bis zum Druck gekostet. Gut 31 000 Euro Unterstützung gab es in Form von Fördergeld vom Freistaat. Ausgangspunkt war die Richtlinie zur Förderung der Regionalentwicklung des sächsischen Innenministeriums. Die Sagensammlung soll ein weiterer Schritt hin in Richtung Landkreis Mittelsachsen sein, der vor neun Jahren durch die Kreisgebietsreform aus den drei Altkreisen Freiberg, Döbeln und Mittweida entstanden ist. Darauf weist der Untertitel „Identität gemeinsam lebendig erschließen“ hin. Dabei sollen jedoch die Besonderheiten der einzelnen Regionen beibehalten werden. „Diese Vielfalt in unterschiedlichen Bereichen, nicht nur in der Kulturlandschaft, macht den Landkreis aus. Ein solches Projekt zeigt diese auf und kann aber gleichzeitig das gesamtmittelsächsische Zugehörigkeitsgefühl fördern“, so Landrat Matthias Damm (CDU). Es wäre nach wie vor falsch, der Region etwas Gemeinsames überzustülpen, dennoch solle versucht werden, durch verschiedene Projekte langfristig eine einheitliche Identität zu entwickeln. Ziel sei es, mit der Sagensammlung auch, die lokale Verbundenheit zu stärken. „Die Menschen können sich vorstellen, an welchen Felsen, auf welchem Schloss oder an welchem Baum die Sagen spielen“, so Damm.

Das Einsatzgebiet der Sammlung ist vielfältig. Genau 1 000 Exemplare wurden gedruckt. Diese sind aufgrund der Förderung nicht verkäuflich. Sie werden unter anderem Schulen, Bibliotheken sowie Kommunen zur Verfügung gestellt. Im Sommer soll es, nach einem erfolgreichen Gespräch mit der Bildungsagentur, auch Weiterbildungen für Lehrer zu dem Thema geben. Anvisiert wird zudem eine Wanderausstellung sowie ein webbasierte Plattform zur Sammlung. „Es ist noch so viel Wissen da, es wäre schade, wenn das verloren geht“, erklärt Brunhild Becker.