Mythen und Legenden aus dem Landkreis verraten uns viel über unsere Vergangenheit. Oft steckt sogar ein überraschend wahrer Kern darin.
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Von Dominique Bielmeier
Meißen. Die Wunder des Heiligen Benno, die der Bischof von Meißen im 11. Jahrhundert vollbracht haben soll, sind so gut dokumentiert, dass es uns im 21. Jahrhundert nur ein abgeklärtes Lächeln hervorlockt: Genau 37 Tote soll er wieder zum Leben erweckt haben, 626 Kranke geheilt, neun Besessene von ihren Dämonen erlöst, 46 Blinde sehend und neun Taube hörend gemacht haben. Die Liste geht in dieser Art weiter.
Sagenhaftes Elbland
Den Menschen im Mittelalter muss diese mathematische Auflistung dagegen ein Gefühl der Sicherheit verliehen haben. In einer Welt, in die jederzeit schwere Missernten oder todbringende Krankheiten einbrechen konnten, half der Glaube an das Übersinnliche, an Wunder, an plötzliche Heilungen, an Gott und Teufel.
Dieser Glaube lebt bis heute weiter – und längst nicht nur in einem kirchlichen Kontext. Noch immer erzählt man sich die Sagen und Mythen von einst, sei es der dumme Junge von Meißen oder die unglaubliche Begebenheit mit einem toten Hahn in Großenhain (siehe unten).
Es sind Geschichten, die selbst heute noch erschaudern lassen: Blut, das aus einem Laib Brot fließt, ein Geist, der durch den Meißner Dom spukt und zwei Musketiere so sehr erschreckt, dass sie am nächsten Tag sogar Bericht darüber erstatten, oder ein unheimliches weißes Lamm, das in Rothschönberg im Nebel auftaucht, wo ein junges, unschuldiges Mädchen wegen der üblen Nachrede der Klatschbasen im Dorf den Tod im Wasser suchte.
Es gibt Sagen, deren wahren Kern man schon beim ersten Hören erahnt, wie die von der Hexe von Heynitz: Als zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges die Pest das Dorf heimsuchte, stand die Schuldige dafür schnell fest: Ein junges, als Frönerin tätiges Mädchen mit langem, feuerroten Haar musste die Hexe sein, die dahinter steckte. „Wer sonst, als ein mit dem Teufel buhlendes Mädchen, konnte ein so prächtiges langes, rotes Haar und eine so weiße, empfindsame Haut, die die Sonne nicht vertrug, haben?“ Das fragt sich Hans-Jürgen Pohl im zweiten Band der Geschichten und Sagens des Meißner Landes.
Die vermeintliche Hexe wurde nach der Überlieferung zur alten Dorflinde gegenüber dem früheren Dorfgasthaus geschleppt und dort an ihren langen Haaren an den Baum gehängt. Der Scheiterhaufen, der unter ihr angezündet wurde, kostete sie das Leben, jedoch erst drei Tage später. „Ihr Name war Prochlitz“, schreibt Hans-Jürgen Pohl.
Auch die Sage vom bösen Mönch, der keine Mädchen mochte, klingt, als könnte sie zumindest einen wahren Kern haben. Als die Frauenkirche in Meißen noch dem Kloster St. Afra unterstand, etwa um das Jahr 1505, lebte ein Mönch, der die kleinen Kinder in der Stadt zu taufen hatte. Doch wann immer er ein Mädchen taufen musste, sprach er danach die bissigen Worte: „Getäuft und flugs ersäuft!“ Als er aber einmal von einer Wallfahrt zurückkam und über die Elbbrücke ging, lehnte er sich an ihr Holzgeländer. Da gab das morsche Holz nach und der Mönch stürzte in die Elbe, wo er ertrank. Die Meißner spotteten ihm mit seinen eigenen Worten: „Getäuft und flugs ersäuft.“ So berichten es die Geschichten und Sagen des Meißner Landes, erster Band. In anderen Überlieferungen ist der Aspekt der ausgleichenden Gerechtigkeit noch mehr betont: Der Mönch fällt dort genau in diesem Moment ins Wasser, als er seinen bissigen Spruch an ein paar vorübergehende Mädchen richtet.
Es gibt Sagen, die tauchen in ähnlicher Form immer wieder auf: Der Teufel, der den Menschen verführen will, aber durch eine List aufgehalten wird, oder die Seelen von Toten, die als Geister an den Ort ihrer Ermordung zurückkehren.
Auch die Protagonisten sind oft gleich: Legenden über Wassernixen gibt es an vielen Orten in Sachsen und im Landkreis, sei es der Nix von Großenhain oder die Nixen von Strehla, zu denen einmal eine Hebamme in den Nixstein geholt worden sein soll, die nach der Geburt des Kindes reich entlohnt wurde: Das erhaltene Geldstück kehrte immer wieder in ihre Tasche zurück.
In Strehla erinnert heute eine Nixenfigur an die Sage und eine junge Frau darf die Stadt als Nixe repräsentieren. Mythen und Legenden werden so Hunderte Jahre, nachdem sie meist nur mündlich überliefert wurden, zu einem festen Bestandteil der Stadtkultur, zu einem Marketinginstrument. Die Nixen sind nicht mehr nur Fabelwesen, sie existieren heute wirklich und fahren gesponserte Volkswagen. Aus Legenden wurde Realität.
Andere Sagen haben wir vergessen, obwohl sie uns oft begegnen: Schloss Hirschstein soll seinen Namen von einem weißen Hirsch haben, der sich bei einer langen Hatz von einem Felsen in die Elbe stürzte. Siebeneichen geht zurück auf die Herren von Sechseichen und ihren Bruder, der sie zu Fall bringen sollte.
Wer diese Erklärungen zu weltlich findet, der kann sich im Meißner Dom noch heute von der Wahrheit – oder Unwahrheit – einer Sage selbst überzeugen: Im Hohen Chor befindet sich rechter Hand in der Wand eine etwa 77 Zentimeter hohe, rechteckige Nische. Bei der Restaurierung Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sie mit einer schmiedeeisernen Gittertür verschlossen. Lange erzählten die Menschen sich, dass man, wenn man sein Ohr an die Öffnung hielt, das Geräusch des Fegefeuers hören konnte.
Buchtipps: Geschichten und Sagen des Meißner Landes (Teil I und II), Die Elbe hat es mir erzählt – eine Sagenreise, Sagenhaftes Sachsen, Aus dem Sagenschatz der Sachsen.