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Sachsens erste Papierfabrik stand in Sebnitz

Die Papierherstellung veränderte das Leben der Menschen radikal. Eine neue Sonderausstellung in Sebnitz spürt dem nach.

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© Foto: Dirk Zschiedrich

Von Dirk Schulze

Sebnitz. Gleich am Eingang empfängt den Besucher ein eigentümliches Schleifgerät mit Kurbel und großen Zahnrädern – der Nachbau einer Gerätschaft, mit welcher der Krippener Erfinder Friedrich Gottlob Keller die Herstellung von Papier revolutionierte. Dieses weltweit genutzte Alltagsprodukt ist enger mit der Sächsischen Schweiz verknüpft, als manch einer denken mag. Das Sebnitzer Museum geht diesem Thema jetzt in einer neuen Sonderausstellung nach – und das auf drei Etagen.

Die Fabrik in Sebnitz, am Ort des heutigen Gewerbegebiets, war der Beginn der Industrialisierung in der Region.
Die Fabrik in Sebnitz, am Ort des heutigen Gewerbegebiets, war der Beginn der Industrialisierung in der Region. © Repro: Dirk Zschiedrich

Friedrich Gottlob Keller ist eigentlich eine richtige Berühmtheit, sagt Museumschefin Andrea Bigge. „Nur hier in der Region kennt ihn fast keiner.“ Die Schleifmaschine, eine Leihgabe aus Bad Schandau, war sogar schon in der „Sendung mit der Maus zu sehen“. Das von Keller 1845 entwickelte Verfahren, das Holz ganz fein zu schleifen und das entstehende Mehl – den Holzschliff – mit Wasser und Lumpen zu mischen, hat er sich von Wespen abgeguckt. Die Insekten knabbern am Holz, mischen das mit ihrem Speichel und formen daraus ihre kugelförmigen Nester.

Kellers Erfindung veränderte alsbald das Handwerk der Müller im Kirnitzschtal. Das wird auf Etage zwei der Sebnitzer Sonderschau sichtbar. Die teils seit dem 12. Jahrhundert bestehenden Mühlen waren zumeist Brettschneidereien. Mit Wasserkraft wurden hier die in den Wäldern gefällten Bäume zersägt, und auf der Kirnitzsch flussabwärts geflößt. Schon bald stellten die Sägemühlen ihren Betrieb aber ganz oder teilweise auf die Holzschleiferei um und produzierten den Rohstoff für die Papierherstellung. Im technischen Denkmal Neumannmühle lässt sich das noch heute begutachten.

Ganz oben im Sebnitztal begann im frühen 19. Jahrhundert eine Entwicklung, die das Leben der Menschen nachhaltig verändern sollte. Das wird in der obersten Etage der Sebnitzer Museums deutlich. Dort, wo sich heute das Sebnitzer Gewerbegebiet befindet, entstand 1827 die Papierfabrik Sebnitz. Sie war die erste industrielle Papierfabrik des Königreichs Sachsen und zählt zu den ersten Fabriken überhaupt hierzulande. Die industrielle Massenfertigung brachte Umwälzungen des gesamten Sozialgefüges mit sich. „Das war ein Wendepunkt des gesellschaftlichen Lebens“, erklärt Museumsleiterin Andrea Bigge. In der Papierfabrik wurde bald sieben Tage die Woche durchgearbeitet. Auch die Frauen gingen auf Schicht. Für die Bewirtschaftung des eigenen Lands und das nebenher gehaltene Vieh blieb kaum noch Zeit. Da auch sonntags gearbeitet wurde, handelten sich die Fabrikbesitzer Beschwerden des Pfarrers und sogar polizeiliche Anzeigen ein.

Am Höhepunkt der Produktion in den 1920er-Jahren verließen täglich 16 oder 17 Eisenbahnwaggons voller Papier die Sebnitzer Fabrik. Exportiert wurde nach ganz Europa und bis in die USA. Ihr Ende fand diese Ära nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Maschinen wurden demontiert und als Reparationszahlungen in die Sowjetunion abtransportiert. Zu DDR-Zeiten produzierte der VEB Hebezeugwerk in den Hallen Kräne. Nach der Wende wurde die Fabrik abgerissen. Die weithin sichtbare große Esse fiel am 15. Januar 1994 durch Sprengung.

Sonderausstellung im Heimatmuseum Sebnitz, Hertigswalder Straße 12, bis zum 31. Mai.