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Sachsens Bohrinsel

Das Leipziger Unternehmen VNG hat in Norwegen Erdgas gesucht und Öl gefunden. Auch gut, sagen die Chefs bei einem Ausflug.

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Die Bohrinsel Transocean Arctic während einer planmäßigen Reparatur im Dock in Norwegen.
Die Bohrinsel Transocean Arctic während einer planmäßigen Reparatur im Dock in Norwegen. © Georg Moeritz

Von Georg Moeritz, zurück aus Ølen

Als Atle Sonesen 15 Jahre alt war, da kletterten er und seine Freunde über den Zaun aufs Messegelände in Stavanger. Denn Eintrittskarten für die Erdöl-Messe hatten sie nicht, aber drinnen lockten Werbe-Kugelschreiber und Pfandflaschen. Inzwischen geht Sonesen im Anzug über die Messe in seiner Heimatstadt und kann selbst Kugelschreiber verschenken. Als Manager erklärt er Journalisten, wie das Geschäft des Leipziger Unternehmens VNG Verbundnetz Gas AG in Stavanger läuft.

Denn Atle Sonesen ist Chef der VNG-Tochterfirma für Norwegen. 73 Mitarbeiter hat er in der südnorwegischen Stadt. Mehr als 1.000 arbeiten in der Leipziger Zentrale für die VNG. Kein Unternehmen in Ostdeutschland setzt so viel Geld um wie VNG, auch nicht VW: Voriges Jahr waren es elf Milliarden Euro. Das Geld kommt vom Erdgas, mit dem die Leipziger handeln. Künftig soll auch Öl die Kassen füllen. Denn VNG hat auf dem norwegischen Kontinentalschelf einen ergiebigen Fund gemacht. Atle Sonesen soll sich nun darum kümmern, aus dieser Quelle das Beste herauszuholen.

Also auf zur Bohrinsel. Derzeit ist sie leicht zu erreichen: Die Transocean Arctic liegt nicht draußen im Atlantik, sondern zur planmäßigen Reparatur im Dock. Die Fahrt dorthin führt von Stavanger nach Norden, anderthalb Stunden zu Wasser auf der Haugesundsroute. Es ist noch mild und sonnig in Südnorwegen, aber wer sich an Deck der schnellen Fähre stellen und Inselchen fotografieren will, hat Mühe, die Kamera in den Fahrtwind zu stemmen. Von Haugesund geht es noch eine Dreiviertelstunde mit dem Bus weiter, dann kommen Kräne in Sicht. Beim Ort Ølen ragt der rot-weiße Turm der Bohrinsel auf. Die Spitze ist in 117 Metern Höhe, würde also Dresdens Frauenkirche haushoch überragen.

Die Bohrinsel Transocean Arctic ist die „Glücksplattform“ für VNG. So sagt es der Konzernchef Karsten Heuchert, der aus Leipzig angereist ist und zur Besichtigung nun wie jeder in einen Overall in Orange steigt. Sicherheitsschuhe, Helm und Brille dazu. Auch auf einer Glücksplattform fällt schon mal eine Kette von 200 Kilo herunter. Gerade vor ein paar Tagen gab es einen solchen meldepflichtigen Unfall, aber es wurde niemand verletzt. 350 Bauarbeiter renovieren den schwimmenden Stahl.

Gerüste haben sie aufgebaut, neue Farbe muss her. Auch eines der wichtigsten Teile soll erneuert werden, berichten die Ingenieure: der BOP. Der Blow Out Preventer, ein Riesen-Stöpsel von 265 Tonnen. Er soll im Notfall das Bohrloch verschließen, falls Öl oder Gas ausströmt.

Renoviert werden auch die 60 Kabinen, in denen die Arbeiter nach ihren Zwölf-Stunden-Schichten schlafen – je zwei teilen eine Kabine, im Wechsel. Eine Gedenktafel erinnert an die elf Kollegen der Bohrinsel Deep Water Horizon, die vor vier Jahren beim Untergang im Golf von Mexiko ums Leben kamen. Warnschilder auf Norwegisch, Englisch und Polnisch zeigen, dass hier Männer aus vielen Ländern zusammenarbeiten. Die Chefs aber sind meistens Einheimische: Ingenieure wie Ole Christian und Ludwik zeigen den Weg durchs Stahlgerüst, vorbei an Leitungen und an den vier Motoren. Diese Insel kann mit eigener Kraft aufs Meer hinaus fahren.

Eine Bohrinsel kostet eine halbe Milliarde Euro und muss alle fünf Jahre überholt werden wie jetzt. Für die Sachsen alleine lohnt sich das das nicht. Sie haben die Transocean Arctic nur für Erkundungsbohrungen gemietet – und auch nicht alleine, sondern mit anderen Firmen gemeinsam.

Bohren ist wie eine Lotterie

Fast 50 Firmen haben Bohrlizenzen vom norwegischen Staat, manchmal tauschen sie die auch untereinander. Amerikaner haben sich etwas zurückgezogen, sie finden Rohstoffe in den USA. Also kam VNG zum Zuge und hatte zweimal Glück. Der Öl- und Gas-Fund namens Pil in 3.738 Metern Tiefe ist der größte, der dieses Jahr in Norwegen gemacht wurde. „Ein Volltreffer“, sagt Heuchert. Die Menge dort liegt zwischen 80 und 200 Millionen Barrel, genauer können es die Geologen nicht sagen. Beim Ölpreis von 100 Dollar wäre der Fund acht bis 20 Milliarden Dollar wert, VNG hat einen Anteil von 30 Prozent am Feld. Allerdings schwankt der Ölpreis, der Dollarpreis auch. Wer heute Probebohrungen macht, wüsste gern den Preis in fünf Jahren.

Wie viel Geld VNG bisher ins Abenteuer Norwegen gesteckt hat, will Konzernchef Heuchert nicht sagen. Rund 50 Millionen Euro im Schnitt kostet eine Bohrung, der norwegische Staat bezahlt fast 80 Prozent. VNG hat in Norwegen die Lizenzen dafür, 32 Stellen zu erkunden, dazu zwei in Dänemark. Solche Lizenzen sind wie Lotterielose, sagt Atle Sonesen. Zusätzlich hat sich der Konzern an vier produzierenden Gas- und Ölfeldern beteiligt.

Dass der jüngste Fund vor allem Öl statt Gas brachte, macht Heuchert nichts aus: Öl lasse sich gut transportieren und verkaufen, sagt er. Das sei keine neue Strategie. Ursprünglich hatte VNG sich vorgenommen, bis 2020 zehn Prozent seines Erdgas-Bedarfs selbst zu fördern. Unabhängiger werden von Lieferanten, das war damals das Ziel. Bis 1996 kaufte VNG nur russisches Gas, seitdem strömt auch norwegisches in die ostdeutschen Leitungen. Doch der russische Staatskonzern Gazprom besitzt gut zehn Prozent von VNG, bohrt also indirekt in Norwegen mit. Kleinere VNG-Anteile gehören Städten wie Dresden, Leipzig, Chemnitz und Hoyerswerda, die Mehrheit dem Konzern EWE in Oldenburg.

VNG-Chef Heuchert möchte die Öl- und Gasproduktion zu einem Geschäftszweig ausbauen, der sich selbst trägt. Was der Ölfund der Bohrinsel Transocean Arctic dazu beiträgt, ist noch nicht entschieden. Atle Sonesen in Stavanger soll weiter Daten sammeln: Wie viele Pipelines brauchen wir? Müssen sie beheizt sein? Brauchen wir wieder eine Bohrinsel? Diese Fragen muss der Manager beantworten. Mit Kugelschreibern und Pfandflaschen braucht sich Atle Sonesen nicht mehr abzugeben.