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„Russenhass“ in Europa?

Einkaufen in Berlin und Dresden, Städtetouren nach Prag und Karlsbad - kaufkräftige Russen waren lange Zeit gern gesehen im Westen. Doch nun meiden viele von ihnen Europa.

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© dpa

Von Ulf Mauder und Wolfgang Jung

Moskau. Gibt es eine anti-russische Kampagne im Westen wegen der Ukraine-Krise? Immer mehr Russen, darunter viele Gegner von Kremlchef Wladimir Putin, bejahen das.

Und zahlreiche Russen boykottieren aus Ärger über die - wie sie meinen - „blinde pro-ukrainische Politik“ des Westens europäische Reiseziele.

Eine spürbare Abneigung in einigen EU-Ländern sei der Grund für Rückgänge bei den Reisen bis zu 40 Prozent, wie der Verband der Tourismus-Industrie in Moskau feststellt. Dabei gelten gerade Russen als jene Touristen, die besonders viel Geld ausgeben - zum Beispiel für Einkäufe in Luxusboutiquen in Berlin, Baden-Baden oder London.

Gastronomen, die angeblich keine Russen bedienen

In Tschechien oder in Polen gibt es Berichte über Gastronomen, die Russen nach der umstrittenen Einverleibung der Krim oder wegen Putins Kurs in der Ukraine-Krise nicht mehr bedienen wollen. „Ich bin viel in Europa gereist, immer war unser Geld gut genug. Aber wenn wir jetzt nicht mehr erwünscht sind, bleibe ich in Russland und suche mir andere Ziele“, sagt die 50 Jahre alte Managerin Jelena in Moskau. Sie ärgert sich offen über „Russenhass“.

Zwar gelten die vom Westen gegen Russland im Zuge der Ukraine-Krise verhängten Sanktionen ausdrücklich nicht für einfache Bürger. EU-Diplomaten betonten in Moskau immer wieder mit Nachdruck, dass es für normale Bürger weiter Touristenvisa gebe und sie im Westen auch willkommen seien.

Die Landsleute mögen doch lieber ans Schwarze Meer fahren

Doch vielen vergeht die Reiselust - angesichts der „westlichen Hetze gegen Russland“, wie sie auch die russische Staatspropaganda in den vom Kreml gesteuerten Medien streut. Auch viele Politiker wie der Rechtspopulist Wladimir Schirinowski fordern ihre Landsleute auf, dem Westen den Rücken zu kehren. Erholen könnten sich die Russen doch lieber in den Schwarzmeerkurorten der Krim oder in Sotschi, der im Zuge der Olympischen Winterspiele aufgemotzten Stadt unter Palmen.

Strandurlaub in Griechenland, Italien oder in der Türkei sei zwar weiter beliebt bei vielen Russen, sagt Irina Tjurina vom Tourismus-Verband in der Regierungszeitung „Rossijskaja Gaseta“. Aber insgesamt werde jetzt sogar noch weniger gereist als im wirtschaftlichen Krisenjahr 2009. Ein Grund sei auch der schwächere Rubel, der in Sanktionszeiten starke Turbulenzen durchmacht.

Auch umgekehrt leidet der Tourismus

Tjurina sagt aber auch, dass sich viele Reisende wegen der politisch angespannten Lage und der „russenfeindliche Stimmung“ im Westen nicht mehr wohl und sicher fühlten. Die von Politikern beklagte „Vertrauenskrise“ zwischen Russland und dem Westen schlage sich auch auf dem Reisemarkt nieder, sagt sie. Russische Medien berichteten zuletzt aber auch von massiven Einbrüchen bei den Zahlen westlicher Touristen etwa in der früheren Zarenmetropole St. Petersburg.

Länder wie Tschechien etwa, das stark vom internationalen Tourismus lebt, spüren das Wegbleiben der Russen massiv. „Im ersten Halbjahr ist die Zahl russischer Flugpassagiere um rund elf Prozent gesunken“, sagt Daniel Sabik von der tschechischen Fluggesellschaft CSA der Prager Tageszeitung „Mf Dnes“. Besonders betroffen sei das bei betuchten Russen beliebte Karlsbad (Karlovy Vary). Im westböhmischen Kurort sei die Existenz einiger Restaurants und Hotels bedroht.

Aeroflot setzt schon kleinere Maschinen ein

„Wegen des geringeren Interesses setzt die russische Fluglinie Aeroflot auf manchen Strecken nach Tschechien bereits kleinere Maschinen mit weniger als 100 Plätzen ein“, sagt Sabik von CSA. Jan Papez vom tschechischen Tourismusverband schätzt den Rückgang russischer Reisender seit Jahresbeginn auf bis zu 20 Prozent. „Einige werden fürchten, dass sie angefeindet werden“, sagt Papez.

Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise ist ein Viertel der Russen einer aktuellen Umfrage zufolge überzeugt, dass ihr Land vom Westen als aggressiv wahrgenommen wird. Dass Ausländer derzeit besondere Sympathie für Russen empfinden, meinen gerade einmal zehn Prozent, wie das staatliche russische Forschungsinstitut Wziom mitteilt. (dpa)