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Rumpelstilzchens Biospritmaschine

Die sächsische Vorzeigefirma Choren wollte Marktführer für einen neuen Kraftstoff werden. Mit viel Geld. Mit aller Macht. Ganz allein. Das ging schief.

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Von Ulrich Wolf

Da stehen sie. Drei zusammengestellte graue Quader, die in den Freiberger Himmel ragen. Überdimensionierte Spielzeugklötze. Gut 130 Millionen Euro teuer. „Choren“ steht in blauen Lettern darauf geschrieben. In den Klötzen wetteifern 31 Kilometer Rohre, 57Kilometer Kabel, 5000 Armaturen, 60 Pumpen sowie 181 Behälter und Reaktoren um ihren Platz. Ein gigantisches Puzzle, das Maschinen- und Anlagenbauer, Chemiker und Verfahrenstechniker in jahrelanger Kleinarbeit zusammengesetzt haben. Eine Art maschinelles Rumpelstilzchen, das in der Lage sein sollte, aus trockener Biomasse wie Stroh und Holz einen Dieselkraftstoff zu produzieren: den Sundiesel. Ein Märchen der Neuzeit.

Es war einmal der April 2008. Da kam sogar die Bundeskanzlerin nach Freiberg. Sie drückte den Startknopf für eine Anlage, die jährlich bis zu 18 Millionen Liter Sundiesel hätte produzieren sollen. Im roten Jackett tritt die Kanzlerin vors Rednerpult und sagt: „Wir sind stolz, dass in Deutschland die Zukunft produziert wird.“ Sachsens damaliger Ministerpräsident Georg Milbradt lächelt, Volkswagen-Boss Martin Winterkorn lächelt, Daimler-Chef Dieter Zetsche lächelt. Alle 130 Gäste lächeln. Man spricht vom „Sprit der Zukunft“, vom „Stoff, aus dem die Träume sind“.

Sundiesel gewinnt in Le Mans

Die Träume dauerten drei Jahre. Seit Anfang Juli ist Choren pleite. 290 Mitarbeiter, die bis zuletzt an der Anlage puzzelten, bangen um ihre Jobs. Lohn gibt’s noch bis Oktober. Und das ARD-Wirtschaftsmagazin „Plusminus“ behauptet, das Choren-Management habe die Öffentlichkeit über Jahre hinweg mit frisierten Zahlen getäuscht, den Sundiesel nur für Werbezwecke im Labor hergestellt hat. Aus der Anlage sei nie ein Liter geflossen.

Zumindest Letzteres stimmt. Die große Aus-Holz-mach-Diesel-Anlage sollte schon Ende 2008 produzieren, so richtig ins Laufen kam sie nie. Mal funktionierte ein Förderband nicht, dann gingen Ventile kaputt, dann streikte die Software. Choren gelang es auch mithilfe von Werbeagenturen, die Probleme weitgehend zu verbergen. Hinweise darauf gab es nur in den Jahresabschlüssen. „Der verfahrenstechnische Nachweis erfolgte bislang nur im Labormaßstab“, heißt es da.

Der Öffentlichkeit hingegen präsentierten die häufig wechselnden Choren-Chefs immer neue Erfolge: einen Großauftrag in China, eine Niederlassung in Texas, eine Anlage in Frankreich. Sie schwadronierten von gigantischen, rund 400 Millionen Euro teuren Fabriken in Schwedt und Lubmin. Nur wenige Wochen vor der Pleite sagte eine Sprecherin, der erste Sundiesel werde nun im Herbst ausgeliefert.

Die Choren-Investoren schossen allein zwischen 2009 und 2011 neunmal Geld nach, dann platzte zweien von ihnen der Kragen. Sie seien, wie auch andere Unterstützer des Projekts, einer Blase aufgesessen, behauptet Wolf-Dietrich Kindt, Sprecher des Verbands der deutschen Biokraftstoffindustrie. Noch weiter geht Professor Martin Kaltschmitt, Biokraftstoffexperte des Instituts für Umwelttechnik und Energiewirtschaft der Universität Hamburg. In Freiberg sei ein „Potemkin’sches Dorf“ gefördert worden. Nach früheren Firmenangaben flossen 35 Millionen Euro Steuergelder in den Bau.

Es war einmal eine kleine Pilotanlage, die – mittlerweile demontiert – zwischen 1998 und 2004 bewies, dass die bei Choren entwickelte Aus-Holz-mach-Diesel-Technologie grundsätzlich funktioniert. Autos von Mercedes und VW tankten den Sprit, die Tester waren begeistert. Ein Audi-Rennwagen gewann mit dem Choren-Kraftstoff sogar mal das 24-Stunden-Rennen im französischen Le Mans.

Der Mann, dem der Wundersprit zu verdanken ist, heißt Bodo Wolf. Ein nun 71-Jähriger, der als Kind von Breslau nach Sachsen flüchtete. Der schon mit 15 Jahren Steinkohle in einem Flöz unter Zwickau schlug, 1960 Ingenieur wurde und sich seitdem mit fast nichts anderem beschäftigte als mit dem Versuch, die Fotosynthese in der Natur industriell nachzuahmen. Ein Thema, mit dem er zwar Leiter des zentralen Energieforschungszentrums der DDR wurde, an der Staatsspitze aber kein Gehör fand. Nach der Wende baute Wolf Schritt für Schritt das Unternehmen Choren auf, er wurde Geschäftsführer und Gesellschafter in Personalunion.

Der Durchbruch gelang ihm, als er 2004 zufällig Hanns Arnt Vogels kennenlernt, ehemals Teilhaber des Flick-Imperiums und Boss der Konzerne Rheinmetall und MBB, Duzfreund von Ex-Daimler-Chef Jürgen Schrempp. Der Sprit aus Freiberg begeisterte Vogels. „Damit klinken wir uns in den normalen Kreislauf des Sonnensystems ein“, erzählte er landauf, landab.

Vogels organisiert Geld und Kontakte. Wolf versucht, die Forscherszene zu überzeugen. Das Duo hat Erfolg. Der illustre Hamburger Ökomillionär Michael Saalfeld, der seit 2006 mit Frau und Tochter auf Hawaii lebt, steigt als Gesellschafter ein und investiert einen zweistelligen Millionenbetrag. Auch andere Geldgeber sind hochsolvent: Das Privatbankhaus Lampe beteiligt sich, Arend Oetker und drei seiner engsten Vertrauten investieren. Auch der auf sein Image bedachte Mineralölkonzern Shell steigt ein. Er bringt nicht nur viel Geld mit, sondern auch ein Heer an Experten. Zeitweise sitzen vier Topmanager von Shell im Aufsichtsrat des Mittelständlers Choren. Shell wiederum lockt Daimler und Volkswagen in den Gesellschafterkreis.

Gründervater Wolf hingegen war da schon wieder ausgestiegen. Offiziell begründete er seinen Rückzug 2005 mit dem Erreichen des Rentenalters. Er wolle dem weiteren Erfolg „nicht mit Altersstarrsinn im Weg stehen“, sagte er damals. Doch hinter den Kulissen tobte ein Streit um die weitere Strategie. Während Wolf Kooperationen favorisierte und mit dem Aufbau der Biosprit-Produktion in den Anlagen des früheren Gaskombinats Schwarze Pumpe bei Spremberg liebäugelte, beharrte offensichtlich die Mehrheit der Investoren auf den Bau einer eigenen Anlage in Freiberg. „Choren allein sollte der Großproduzent des neuen Super-Biosprits werden – und niemand sonst“, sagt eine frühere Führungskraft.

Zu schnell zu viel gewollt

Kurzum: Mit dem Geld und den namhaften Investoren zog eine Konzernkultur in die bis dahin eher beschauliche mittelständische Firma ein. Man berief einen Manager vom US-Ölindustriekonzern Halliburton zum neuen Chef. Auf seiner Visitenkarte stand nicht mehr Geschäftsführer, sondern „Chief Executive Officer“. Ein anderer Topmann kam von der Leipziger Strombörse, der nächste vom RWE-Konzern. Solche Leute kosten: Zwischen 200000 und 500000 Euro sollen sie jährlich verdient haben. Allein 2008 fiel eine halbe Million Euro an Reisespesen an, nach Firmenangaben, weil „eine Vielzahl von Kundenbeziehungen in aller Welt aufgebaut wurde“. Berater und Juristen verursachten Kosten von 1,1 Millionen Euro. Ein Börsengang soll in der Vorbereitung gewesen sein. „Da war viel Euphorie im Spiel“, sagt ein Kenner der Choren-Zahlen. „Die haben zu schnell zu viel gewollt.“

Während der Sundiesel nicht mal tröpfelte, schoss der Verlust in die Höhe. 2009 war er viermal so hoch wie der Umsatz: minus 42 Millionen Euro. Das brachte bei Shell das Fass zum Überlaufen, der Konzern stieg wieder aus. Dabei waren es seine Fachleute gewesen, die die Inbetriebnahme der Anlage immer wieder verzögerten. Mehrmals entschieden die Choren-Eigner, die Fertigstellung zu unterbrechen, um die Anlage auf „Shell-interne Sicherheitsstandards nachzurüsten“.

Offiziell begründete Shell seinen Rückzug damit, andere Beteiligungen seien „zielführender“. Hinter vorgehaltener Hand heißt es jedoch, Shell habe in Choren lediglich eine Chance gesehen, den für ihren Edelsprit „V-Power“ notwendigen Synthesekraftstoffanteil kostengünstig zu produzieren. Dann aber setzte der Ölmulti doch auf eine andere Technologie. Die Shell-Anlagen dafür stehen mittlerweile in Malaysia und im Emirat Katar.

Positive Investorengespräche

Der Ölmulti ging, andere Reiche kamen. 16 Millionen Euro beispielsweise investierte eine Gesellschaft mit Sitz in Panama. Hinter ihr steckt der Schweizer Milliardär Stephan Schmidheiny, der sein Vermögen mit Industriebeteiligungen machte. Mit von der Partie sind nun auch die bei Luzern lebenden Sport-Manager Klaus Hempel und Jürgen Lenz, zwei Ex-Führungskräfte von Adidas, die die Uefa-Champions-League erfanden.

Choren-Insolvenzverwalter Bruno M. Kübler ringt derweil um weitere Investoren. Es gebe einige Interessenten, teilte er mit. Die Choren-Technologie werde „sehr positiv“ gesehen. In Finanzkreisen heißt es sogar, Kübler stehe kurz vor dem Verkauf. Rund 70 Millionen Euro seien für weitere Investitionen notwendig, der Kaufpreis selbst liege zwischen 20 und 30 Millionen.

Und Firmengründer Bodo Wolf? Er empfindet die Choren-Insolvenz als „furchtbar“. Seine Vision aber, die Fotosynthese aus der Natur industriell zu nutzen, hat er nicht aufgegeben. Das Geld aus dem Verkauf seiner Choren-Anteile hat er in drei Firmen gesteckt, die sich mit der Speicherung und dem Transport von Bioenergie beschäftigen. Und in eine Villa in Bad Saarow am Ufer des Scharmützelsees vor den Toren Berlins. In die Hauswände sind zwei Windräder zur Stromerzeugung eingelassen. Auf dem Dach glänzt eine Solaranlage.

In Freiberg erinnert zumindest noch die „Dr.-Bodo-Wolf-Straße“ an ihn. Die führt auf dem Choren-Gelände rund um die Fabrik. Und ein großer Stein samt Messingtafel. Auf der steht: „Der Aufbau der solaren Stoff- und Energiewirtschaft ist die Aufgabe des 21. Jahrhunderts – Bodo Wolf“.