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Rückfall hinter Bismarcks Zeiten

Mit einem Schweigemarsch wird die Regionalbahn 110 in Nossen zu Grabe getragen. Die Enttäuschung sitzt tief.

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© Claudia Hübschmann

Von Bernhard Teichfischer

Nossen. Ein Schweigemarsch sollte es werden. Doch ganz still halten können die etwa 70 Teilnehmer des Demozuges durch Nossen nicht. Hitzige Debatten um Gründe und Schuldige schallen durch die Straßen. Es ist spürbar, wie tief die Enttäuschung über die Stilllegung der Bahnverbindung Meißen-Nossen-Döbeln sitzt. Ganz besonders bei jenen, die sich seit Jahren für das Fortbestehen der RB 110 einsetzten. Die Verantwortlichen hätten sich nicht genügend ins Zeug gelegt, wettern die einen. Die Verantwortlichen, damit sind vor allem „die Herren Totengräber Tillich, Morlok sowie Dulig“ gemeint, wie es auf einem großen Transparent zu lesen ist. Versagt hat für die aufgebrachten Bahnkunden vordergründig die Politik.

Jahrelang habe die Regierung darauf hingearbeitet, diese Bahnverbindung ausbluten zu lassen, sagt Steffen Förster. Seit Beginn der Querelen um die Strecke ist er Feuer und Flamme für deren Erhalt. Aus gegebenem Anlass hat er sich an diesem Samstagmittag in die Kluft des Sargträgers gehüllt. Der Hut, der schwarze, wehende Umhang und die weißen Handschuhe lassen ihn fast festlich wirken. Was soll die Trauer auch bringen? Der letzte Personenzug hat den Bahnhof Nossen schon verlassen, das Ende des RB 110 ist vorerst besiegelt.

„Der Bus war immer schon weg“

Einer, der gleichsam festlich eingekleidet mitmarschiert ist Andreas Riethig. Dem Rentner in der Reichsbahn-Uniform geht die Abbestellung der Verbindung sehr nah, war sie doch fester Bestandteil seines Lebens. Als Fahrdienstleiter oblag ihm der flüssige Verkehr auf der Strecke. In Döbeln betreute er ein Befehlsstellwerk. „Ich kann es nicht verstehen“, so der ehemalige Bahnangestellte. „Für mich steht der Eisenbahnbetrieb für Stabilität, ein System, auf das man sich verlassen kann.“ Aber dieses Bild ist verblichen. Lange schon läuft für den Rentner nicht mehr alles rund bei der Deutschen Bahn. Genauer gesagt, seitdem der Konzern privatisiert ist. Eine Staatsbahn wäre ihm viel lieber. „Damals“, sagt Riethig, „gab es funktionierende Absprachen zwischen Bahn und lokalen Verkehrsbetrieben. In den letzten Jahren war der Bus immer schon weg, wenn ich mit dem letzten Zug in Döbeln einfuhr.“ Auch die Morgenverbindungen hätten mit den Busfahrplänen ganz und gar nicht harmoniert.

Der Steuerzahler hat das Recht

Darin finden viele der Teilnehmer auch den Grund, weshalb so wenig Menschen die Regionalbahn nutzten. Denn wer nach der Zugfahrt noch eine Stunde auf den Anschlussbus warten muss, weil er ihn gerade verpasst hat, der hätte schnell genug vom Warten, so ihre Meinung. Für Steffen Förster ist aber selbst das kein Grund, die Personenbeförderung einzustellen. „Schließlich wird der öffentliche Nahverkehr zu 60 Prozent mit Steuergeldern unterstützt, da hat der Steuerzahler doch wohl das grundlegende Recht auf diesen Zug.“Langsam zieht sich der Schweigemarsch vom Markt hinunter Richtung Bahnhof.

Am Bismarck-Denkmal wird eine kurze Rede abgehalten. Mit einem Megafon bewaffnet baut sich Peter Wunderwald vor dem Denkmal auf. Er ist ebenfalls langjähriger Kämpfer um den Erhalt der Strecke und als Kreisrat der Grünen Organisator des Protests an diesem Tag. Der Reichskanzler Otto von Bismarck hatte schon Ende des 19. Jahrhundert verkündet, dass der Eisenbahnbetrieb nicht auf das Erwirtschaften von Profit ausgerichtet sein sollte. Vielmehr sei es das hohe Ziel, dem Wohle der Bevölkerung zu dienen, anstatt aufs große Geld zu pochen. Peter Wunderwald zitiert den alten Preußen und zieht seine Schlüsse auf die heutigen Zustände. „Die Abbestellung der RB 110 ist ein Rückfall hinter Bismarcks Zeiten“, so der Grünen-Kreisrat.

Nach knapp einer Stunde Laufzeit kommt der Demonstrationszug am Nossener Bahnhof an. Es folgen Redebeiträge. Peter Wunderwald betont noch einmal die Sinnlosigkeit dieser Entscheidung. Erst habe der Staat 45 Millionen Euro in die Sanierung der Strecke nach dem Hochwasser gesteckt, dann ließe er sie fallen. Eine Geldverschwendung, eine Frechheit gegenüber den Bahnkunden sei das.