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Rückbau abgeschlossen

Im Herbst wird in Niesky das ehemalige Hotel „Zur Krone“ verschwinden. Es ist der letzte Abriss auf lange Sicht.

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© André Schulze

Von Alexander Kempf

Niesky. Die bunten Farbkleckse an der Fassade des ansonsten düsteren Mehrfamilienhauses in der Herbert-Balzer-Straße verraten auf den ersten Blick, dass hinter dem Gebäude eine bewegte Geschichte liegt. Eine Zukunft hat das Haus nicht. Schon im Herbst soll es komplett verschwunden sein. Die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft Niesky hat entschieden, das Haus mit den überwiegend verbarrikadierten Fenstern abreißen zu lassen. „Es ist das letzte Projekt“, sagt Geschäftsführer Wilhelm Fischer. Mit dem Abriss des Mehrfamilienhauses will das städtische Tochterunternehmen das Kapitel Rückbau schließen.

Seit der Wende hat die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft Niesky insgesamt 83 Wohnungen dem Abrissbagger geopfert. Das erscheint zunächst viel, relativiert sich aber, wenn man vergleicht, dass allein in Weißwasser zwischen den Jahren 2000 und 2012 mehr als 4 000 Wohnungen verschwunden sind. Dort hat die kommunale Wohnungsbaugesellschaft de facto ein ganzes Stadtviertel dem Erdboden gleich gemacht. Notgedrungen, denn die Stadt hat nach der Wende auch prozentual viel mehr Einwohner verloren als Niesky.

Für Wilhelm Fischer von der Nieskyer Wohnungsbaugesellschaft ist Stadtrückbau nie ein drängendes Thema gewesen. „Abriss war nie unser erstes Problem“, sagt der Geschäftsführer. Aber auch in Niesky ist seit der Wende ein ganzer Neubaublock verschwunden. Die Hauseingänge 37 bis 51 in der Richard-Neumann-Straße sind vor beinahe zehn Jahren abgerissen worden. Mit dem Viergeschosser verschwinden damals auf einen Schlag 64 Wohnungen. Ironischerweise hat die Wohnungsbaugesellschaft ausgerechnet den jüngsten Neubaublock aufgrund von Baumängeln abreißen lassen. Wilhelm Fischer erinnert sich an Risse in den Wänden. „Das Gebäude stand auf sehr instabilem Baugrund“, erzählt er.

Besagten Block hat das kommunale Wohnungsunternehmen vor dem Abriss nach und nach leergezogen. Die Wohnungen sind einfach nicht mehr vermietet worden. Zuletzt hat das Unternehmen den verbliebenen elf Mietern Alternativen andernorts angeboten. Ähnlich ist man nun auch in der Herbert-Balzer-Straße vorgegangen. Der letzte Mieter soll vor vielen Monaten ausgezogen sein. Nun müssen auch die Schlesischen Jungs bis zum Monatsende ihre Kisten packen. Die rechte Kameradschaft, die seit vielen Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet wird, hat Teile des Hauses in der Herbert-Balzer-Straße lange als Clubraum genutzt.

Doch die Zeit, in der das Gebäude deswegen mit bunter Farbe attackiert worden ist, liegt schon eine Weile zurück. Es wird eines der letzten Kapitel in der Historie des Hauses bleiben. Denn eine Sanierung ist für Wilhelm Fischer nie infrage gekommen. „Das Haus ist unsanierbar. Das ist jenseits jeder Wirtschaftlichkeit“, sagt er. Denn das Gebäude sei sehr verwinkelt und für den Saal gebe es keine Verwendung. Vor dem Zweiten Weltkrieg soll sich in dem gegen 1890 gebauten Haus die Gaststätte „Zur Krone“ befunden haben. Nach 1945 wurde es aufgrund der allgegenwärtigen Wohnungsnot zu einem Mehrfamilienhaus umfunktioniert.

Zu seinen Schulzeiten, erinnert sich Wilhelm Fischer, habe in dem Saal der ehemaligen Gaststätte sogar noch Schulsport stattgefunden. Deutlich später befand sich in dem Haus auch mal ein Berufsberatungszentrum. Nach einer sehr abwechslungsreichen Geschichte werden nun Gas, Wasser und Strom ab September abgeschaltet. Im Oktober soll dann der Bagger anrollen. Kommt nichts Unvorhergesehenes dazwischen, ist das Gebäude zwei Wochen später Geschichte. Die Kosten für den Abriss schätzt Wilhelm Fischer auf rund 50 000 Euro. Die Wohnungsbaugesellschaft erhält für die Maßnahme aber rund 20 500 Euro aus einem Landesprogramm. Ohne die Förderung hätte der Abriss wohl noch etwas auf sich warten lassen.

Das Grundstück von rund 1 500 Quadratmetern will die Wohnungsbaugesellschaft perspektivisch verkaufen. Die ehemalige Gaststätte ist neben dem Neubaublock bereits das dritte Mehrfamilienhaus, welches das Unternehmen seit der Wende abgerissen hat. In der Muskauer Straße 53 sind dabei fünf Wohnungen verschwunden, in der Nummer 55 sogar sechs Stück. Für die Wohnungsbaugenossenschaft Niesky, den anderen großen Vermieter in der Stadt, ist Abriss bisher noch nie ein Thema gewesen. „Wir haben gar nicht zurückgebaut, sondern nur den Bestand saniert“, sagt Vorstand André Müller. Auch in der nahen Zukunft sei kein Abriss im Stadtgebiet geplant.

Zwar könne niemand die Zukunft vorhersagen, doch André Müller blickt zuversichtlich voraus. Niesky profitiere schon jetzt von seinem Umland. „Viele, die nicht in die Großstadt wollen, ziehen in die Kleinstadt“, stellt er zufrieden fest.