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Romantisches Stauwerk

Eberhard von der Erde zeigt in Dippoldiswalde seine Böhmenbilder – und wird erneut Werksmaler in Freital.

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© Egbert Kamprath

Von Thomas Morgenroth

Freital/Dippoldiswalde. Eberhard von der Erde sitzt in Dolni Zleb, einem Ortsteil von Decin in Nordböhmen, auf einer Bank zwischen drei Frauen und zeichnet etwas in seinen Skizzenblock. Die Damen, die sich gerade langweilen, weil die nächsten Freier auf sich warten lassen und von der Erde keiner ist, beobachten den Mann mit verstohlenen Blicken, was er da zu Papier bringt. Wahrscheinlich erhoffen sich die leichten Mädchen, dass sie der Künstler als Modelle auserkoren hat. Sie werden enttäuscht, der Dresdner Maler interessiert sich vor allem für die Landschaft, für die Häuser und für das Dorf, das sich vor ihm ausbreitet.

Zurück in seinem Atelier, fand von der Erde diese Szene rückblickend so skurril, dass er der eitlen Weiblichkeit schließlich doch ein malerisches Denkmal setzte. Ob es ihnen gefallen würde, sei dahingestellt. Jedenfalls hockt der Künstler nun wie eine aus Lindenholz geschnitzte und mit blauen und violetten Farben bemalte Statue inmitten der stark geschminkten Nutten. Er drückt es vornehmer aus: „Drei Grazien und ich“ nennt Eberhard von der Erde sein 2015 fertiggestelltes Gemälde. Es ist ein Selbstbildnis mit viel Witz und Ironie, das freilich so ganz anders ist, als seine anderen 42 Gemälde mit Motiven aus dem Nachbarland, die bis Jahresende im Schloss Dippoldiswalde zu besichtigen sind.

Der 72-Jährige, der als Eberhard Busch in Freital geboren wurde und in der Stadt an der Weißeritz aufgewachsen ist, zieht auf Einladung des Lohgerbermuseums eine Zwischenbilanz seiner Studienreisen nach Böhmen. Immer wieder hat sich Eberhard von der Erde elbaufwärts bis zur Moldau auf den Weg gemacht, oft in Begleitung des ebenfalls zeichnenden und malenden Hainsbergers Christian Burkhardt.

„Ich versuche, hinter das Geheimnis der böhmischen Malerei zu kommen“, sagt von der Erde, die er als „weich, wattig und knochenlos“ empfindet, ohne das abwertend zu meinen. „Man verliert sich in den Bildern, wie in Trance taucht man in das Gefühl ein“, erklärt der Künstler. Was er damit meint, malte er in zwei gold-rot glühenden Herbstbildern, die ein böhmisches Dorf mit Kirche und Allee zeigen.

Aber Eberhard von der Erde, dessen Vater Tscheche war, ist alles andere als ein Kopist. Er verfolgt mit Konsequenz und gegen alle Zeitströmungen seinen Stil. Bei ihm bleibt der Gegenstand erkennbar. Er erkundet Natur, Architektur oder auch Personen mit Licht und Schatten, mit leuchtenden Farben, die in gewisser Weise sein Markenzeichen sind, im Kontext ihrer Umgebung, der Umstände, aber auch ihrer Geschichte. Eine große Rolle spielen dabei seine Empfindungen. Einmal gemalt und emotional aufgearbeitet, kann es sein, dass ihn ein Motiv nicht mehr interessiert, wenn er später dahin zurückkehrt.

Oder er findet einen neuen Ansatz, wie beim Schreckenstein an der Elbe, dem Ludwig Richter vor zweihundert Jahren mit seiner „Überfahrt“ zu ewigem Ruhm verhalf. Von der Erde nun rückt das von vielen Künstlern (und nicht nur von diesen) als Verschandelung empfundene Stauwerk in den Vordergrund, das in den Dreißigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts direkt unter dem Felsen gebaut wurde. Es ist wuchtig, ohne Frage, erzeugt andererseits aber eine eigentümliche Sehnsucht nach der vergleichsweise kleinen Burgruine darüber. So holt von der Erde schließlich die Romantik in die Gegenwart.

Eberhard von der Erde, der oft monatelang an einem Bild malt, zeigt in Dippoldiswalde launige Ansichten von den „beiden Zinnwald“, von Leitmeritz, Aussig oder Prag, vom Mückentürmchen, von Moldava oder von Zahoran. Die Elbe kommt häufig vor, Bergzüge, Hügel, Kirchen oder verlassene und verwahrloste Friedhöfe. Grandios ist sein auf die Farben Gelb und Grün reduzierter „Erzgebirgskamm“ aus diesem Jahr, der in seiner minimalistischen Konsequenz eine verblüffende Wirkung entfaltet.

Zu von der Erdes eindrücklichsten Bildern gehört ein Zyklus aus dem ehemaligen Konzentrationslager Theresienstadt. Der Künstler malte mit schrillen Farben und düsterem Duktus die absolute Hoffnungslosigkeit – Festungswälle, Gräben und Hinrichtungsstätten. Von der Erde konnte dort von Plätzen aus zeichnen, die sonst öffentlich nicht zugänglich sind. Gewohnt hat er in einem Hotel, in dem sich bis Kriegsende ein jüdisches Säuglingsheim befand. „Das hat mich ganz schön mitgenommen“, sagt der Künstler.

Nach Böhmen wendet sich von der Erde seiner Heimatstadt zu, wobei es ihm nicht um die Landschaft, sondern um die Arbeitswelt geht. Und er tut etwas, was als vollkommen anachronistisch gilt: Er ist zum zweiten Mal nach 2003 Werksmaler im Edelstahlwerk Freital. Bis Juni nächsten Jahres sollen sieben Gemälde entstehen, wobei der Fokus auf der neuen Schmiedepresse liegt. Vielleicht kommt dabei, wie in Böhmen, auch ein Selbstbildnis heraus. Mit Grazien hat es von der Erde in der Hitze des Betriebes allerdings eher nicht zu tun. „Drei Stahlwerker und ich“ wäre hingegen ein denkbarer Arbeitstitel.

Bis 30. Dezember in der Osterzgebirgsgalerie Schloss Dippoldiswalde, Mi 10-16 Uhr, Do-So und an Feiertagen 13-17 Uhr; am 24. und 31.12. geschlossen.