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„Riesa braucht eine Vision“

Rathaus und Stadträte beschäftigen sich mit Alltagsproblemen – das große Ziel fehlt, kritisiert ein FDP-Politiker.

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© Sebastian Schultz

Riesa. Straßenbaustellen, Schulsanierung, der Internet-Ausbau: Das sind die Themen, mit denen sich Riesaer Stadträte Tag für Tag beschäftigen. Dem Riesaer FDP-Chef Sven Borner, der vergeblich für den Stadtrat kandidierte, genügt das nicht. Ihm fehlt in der Stadt der Blick über den Tag hinaus: Riesa brauche eine Vision, schreibt er dazu in einem Thesenpapier. Die SZ sprach dazu mit dem 45-Jährigen.

Herr Borner, ob Straßenbau oder Schulsanierung: In Riesa gibt es offensichtlich genug zu tun. Warum fordern Sie, dass Riesa „eine Vision“ braucht?

Die Alltagsprobleme, etwa der Zustand von Schulen und Straßen, sind das Tagesgeschäft von Stadtverwaltung und Stadtrat. Aber wohin steuert Riesa in 10, 20 oder 30 Jahren? Welche Entfaltungsmöglichkeiten bietet die Stadt dann ihren Bürgern? Wie besteht man im Städte-Wettbewerb um Arbeitsplätze? Wie hält man die Jugend und die findigsten Köpfe von Abwanderung ab? Auf all diese Fragen habe ich bisher noch keine zufriedenstellenden Antworten gefunden. Viel mehr scheint mir ein kurzfristiges „auf Sicht fahren“ zum Modus Operandi geworden zu sein.

Aber es gibt doch eine Strategiegruppe Stadtmarketing – und eine Debatte über ein Leitbild für Riesa.

Ja, es gab Versuche, langfristige Konzepte zu entwickeln. Doch fehlte bisher entweder der Wille oder das Durchhaltevermögen, die Prozesse nach einem euphorischen Beginn durch Krisen zu führen: Die Riesaer Leitbildfindung samt Arbeitsgruppen ist eingeschlafen. Die Ergebnisse der durch die Strategiegruppe des Stadtmarketings erarbeiteten Empfehlungen sind in Schubladen verschwunden. Da wurde ehrenamtliche Arbeit vergeblich investiert.

Wer „Visionen“ und „Riesa“ hört, denkt unweigerlich an die Ära des einstigen OBs Wolfram Köhler: Damals wollte Riesa in einer Liga mit Dresden und Leipzig mitspielen. Ist das realistisch?

Nein. Auch wenn mancher nostalgisch verklärt noch heute von dieser Ära schwärmt: Unsere Wettbewerber heißen nicht Dresden oder Leipzig, sondern Meißen, Torgau, Großenhain, Döbeln. Diese Mittelzentren gilt es zu analysieren, deren Vor- und Nachteile gegenüber Riesa abzuschätzen und in Marktlücken hineinzustoßen. Größenwahn – wie mit der Olympiabewerbung – hilft nicht weiter. Schon die Leipziger Bewerbung wurde sang- und klanglos abgebügelt, weil die Stadt als viel zu klein angesehen wurde. Dabei resultierte die Leipziger Bewerbung aus Köhlers Idee für Riesa.

Wie könnte denn eine realistische Vision für Riesa aussehen? Wie sich bei der Debatte um Tourismus-Schilder an der Autobahn zeigte, hängen viele Riesaer noch immer an der Sportstadt ...

Das stimmt. Allerdings ist das alte Konzept, Spitzenathleten an die Elbe zu locken, heute einfach nicht mehr finanzierbar. Wer heute in der Weltelite mitmischen will, trainiert unter Profibedingungen und ist von einem ganzen Betreuerstab umgeben. Ohne Großsponsoren oder die Anstellung bei Bundeswehr, Zoll oder Bundespolizei ist das nicht zu schaffen.

Da sieht es eher schlecht aus für Riesa ...

Eine Chance könnte es sein, sich auf Randsportarten zu konzentrieren: Da gibt es Potenzial! Wer hätte zum Beispiel vermutet, dass sich Darts zu einem Publikumsrenner entwickelt? Mit der Arena bietet Riesa seit Jahren auch internationalen Tanzwettbewerben eine Heimstatt. Wäre es nicht denkbar, Riesa zur heimlichen Hauptstadt unterschätzter Sportarten fortzuentwickeln? Wir haben bei der FVG und den Unternehmen rundherum genug erfahrene Spezialisten, die sich mit der Organisation solcher Events auskennen. Da liegen ausbaufähige Potenziale, wenn man den Begriff der Sportstadt aufrechterhalten will.

Und wenn nicht?

Man könnte in Riesa Ideenwettbewerbe für die Etablierung eines Tourismusmagneten ausschreiben. Ein neuartiges Verkehrskonzept oder neue Wege im Bereich der Kultur wären möglich.

Weist nicht die Bewerbung um den Tag der Sachsen 2019 über den Tag hinaus?

Genau das Thema habe ich vor drei Jahren schon in der Strategiegruppe Stadtmarketing angesprochen, seitdem hatte ich davon nichts mehr gehört. Den Tag der Sachsen sollte man als Chance sehen! Schließlich hat Riesa den Vorteil, zentral in Sachsen zu liegen – anders als Zittau oder Görlitz. Und wir sind bestens mit dem Zug zu erreichen. Und Riesa kann solche Großveranstaltungen: Das hat die Stadt 1999 beim letzten Tag der Sachsen bewiesen, aber auch schon 1989 beim 150-jährigen Jubiläum der Fernbahn Dresden-Leipzig.

Was treibt Sie an, sich jetzt so für eine Riesa-Vision einzusetzen: Wollen Sie wieder in den Stadtrat einziehen?

Ja, ich kandidiere in zwei Jahren wieder. Aber darum geht es mir nicht vorrangig: Wenn wir Klassentreffen machen, reisen meine einstigen Mitschüler aus ganz Deutschland an. Ich wollte damals unbedingt hierbleiben. Und ich wünsche mir, dass auch meine vier Kinder gern in Riesa leben. Ich glaube an diese Stadt! Ich glaube daran, dass sie sich zu einem lebens- und liebenswertem Mittelzentrum entwickeln kann und daran, dass sie eine Zukunft hat.

Die Fragen stellte Christoph Scharf.

Kontakt zum Interviewpartner: [email protected]