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Rezepte gegen die Milchkrise

Viele Landwirte verzweifeln. Einige verkaufen bereits Kühe. Für die Nieder Seifersdorfer ist das aber keine Option.

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Von Rita Seyfert

Die Milchkrise ist auf dem Pfaffendorfer Lindenhof weit weg. Landwirtin Tatjana Lamerdin bekommt seit Jahren 43 Cent für einen Liter Milch. Bio-Milch. Frühzeitig hat sie diesen Trend erkannt und darauf gesetzt. Das zahlt sich nun aus. Allerdings ist das bei 30 Kühen eher möglich als bei größeren Höfen. Nun aber will sie den nächsten Schritt gehen und ihre Milch selbst verarbeiten. In einer eigenen, kleinen Molkerei. Neben Rohmilch können Kunden dann auch Joghurt, Käse, Quark und pasteurisierte Milch kaufen. Der gesamte Erlös bleibt dann auf ihrem Hof. Kontakt mit dem Veterinäramt hat sie bereits aufgenommen, interne Abstimmungen laufen. Anfang kommenden Jahres soll es soweit sein.

Für die Nieder Seifersdorfer ist das Melken der Kühe derzeit ein Minusgeschäft. Doch die Landwirte wollen den Preiskampf durchstehen und sparen lieber an anderer Stelle. Foto: André Schulze
Für die Nieder Seifersdorfer ist das Melken der Kühe derzeit ein Minusgeschäft. Doch die Landwirte wollen den Preiskampf durchstehen und sparen lieber an anderer Stelle. Foto: André Schulze

Investitionsstau auf den Höfen

Inmitten der Milchkrise ist der Demeter-Hof aber eine Ausnahme. Die meisten Milchbauern darben derzeit. Einer von ihnen ist Thomas Kühn aus Franken, seit einem Jahr der neue Betreiber und zweite Mann im Boot der Pfaffendorf Agrar GmbH. An der Seite von Geschäftsführer Hans-Günter Zimmermann soll er den „Generationswechsel“ vorbereiten. Das Alter spiele dabei aber nur eine Nebenrolle. Im Sommer 2015 kam der 45-jährige Milchbauer Kühn aus Franken hierher, hatte große Pläne im Gepäck. Doch die Milchkrise durchkreuzte sie. „Eigentlich möchte ich investieren“, sagt er. Er malt das Bild von großen, hellen und luftigen Ställen. Eine Kuh, die jährlich 10 000 Liter Milch gibt, müsse sich schließlich wohlfühlen.

37 Cent müsste er für ein Liter Milch erhalten, um kostendeckend zu produzieren. Der Milchpreis rutscht aber immer weiter in den Keller. Seit 18 Monaten liegt er bei unter 30, aktuell sogar nur noch bei unter 25 Cent. Eine Misere. Zurzeit büße er monatlich 15 000 Euro ein. Gleichzeitig steigen die Betriebskosten. Das Lohn-Niveau in der Landwirtschaft ist ohnehin schon deutlich niedriger als in anderen Branchen. Zudem zögern die Banken, die Betriebe in dieser Situation zu unterstützen – und drücken die Spirale damit nach unten. Eine Krux, denn eigentlich müsse man Geld in die Hand nehmen und das Tierwohl erhöhen, so Landwirt Kühn. Er steuert gegen die Krise an. Indem er verkauft, schweren Herzens und 30 bis 50 Prozent unter Wert. Für eine tragende Färse, die noch drei Kälber bekommen kann, hätte der Milchbauer vor drei Jahren 1400 Euro erzielt. Jetzt sind es nur noch 900 Euro. Noch stehen 220 im Stall. Insgesamt 80 Milchkühe hat die Pfaffendorf Agrar GmbH aber schon im Juli an einen anderen Milchhof verkauft. Die Milchproduktion ist ein arbeitsintensiver Prozess. Wird sie reduziert, bleiben strukturelle Veränderungen nicht aus. Geschäftsführer Zimmermann kennt das schon. „Das ist jedes Mal eine schmerzliche Sache“, sagt er. Auch wenn der Arbeitskräfteabbau nach der Wende weit drastischer gewesen sei. „Da wurden ganze Betriebszweige zugemacht.“

Rechtsanwalt Andreas Felgentreff kennt die Sorgen der Betriebe. Viele Milchproduzenten vertrauen ihm, neben der Pfaffendorf Agrar GmbH auch die Markersdorfer Agrar GmbH sowie die Agrargenossenschaft in See und in Jänkendorf, die jüngst auf Melkroboter umstellte. „Alle sind frustriert“, sagt der Anwalt. Signifikante Hilfe von der Politik sei kaum zu erwarten. Doch die Frage nach der Schuld ist eine komplexe Sache. Die Abschaffung der Milchquote am 1. Mai 2015 ist ein Ausgangspunkt. Da wären aber auch der Boykott von Russland, nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, die Überproduktion und die fehlende Lobby der Landwirte in der Politik. „Die Milchbauern haben keine starke Interessenvertretung“, sagt Anwalt Felgentreff. Zugleich nutzen die Discounter die Situation schamlos aus. 46 Cent kostet der Liter derzeit in deutschen Supermärkten – und ist damit teils billiger wie manche Wasser-Sorten. Dabei wären die meisten durchaus bereit, mehr für Milch hinzulegen. „Ein absolutes Unding“, so Anwalt Felgentreff. Die Lage sei völlig inakzeptabel. In der Tierversorgung sind Streiks undenkbar. Doch es ärgert ihn, dass die Bauern nicht auf den Tisch springen und sich wehren.

Dabei haben sie es versucht. Der Chef der Markersdorfer Agrar GmbH, Thomas Neumann, kann sich an den letzten Milch-Streik noch gut erinnern. Doch Müller-Milch hat gewonnen. Die Milchbauern mussten teuer bezahlen. Die bittere Erkenntnis: „Wir haben keine Handhabe.“ Einfach ist es nicht. Die Kühe müssen täglich gefüttert und gemolken werden. Wie in der Industrie einfach den Hauptschalter umlegen und alle Mitarbeiter nach Hause schicken, das geht nicht. Für Landwirt Neumann eine ausweglose Situation. Weitermachen oder aufhören, nur diese beiden Optionen sieht er. Bis zum Jahresende möchte die Markersdorf Agrar GmbH aber noch abwarten.

Andreas Felgentreff zweifelt daran, dass es sich für die Betriebe künftig noch lohnt, Milch zu produzieren. Neue Konzepte müssten ran, ist er überzeugt. Die Krise aussitzen, das sei wohl eher eine Milchmädchenrechnung. Wenn in Sachsen ein Milchbetrieb schließt, lässt das den Weltmarkt kalt. Zudem landen die verkauften Kühe nicht etwa im Schlachthof, sondern werden an einem anderen Standort weiter gemolken. Eine Patentlösung gibt es kaum.

Biogas hilft Landwirten

Nichtsdestotrotz setzen einige Betriebe darauf, dass die Konkurrenz früher oder später das Handtuch wirft. Einer davon ist die Agrargenossenschaft Nieder Seifersdorf in Waldhufen. „Wir werden die Krise überstehen“, ist Vorstand Hans-Günter Schleuder überzeugt. Und: „Es gibt Aussagen, dass die Milchkrise mindestens ein Jahr dauern wird“, sagt er. Landwirt Schleuder setzt darauf, dass sich ein neues Gleichgewicht bilden wird. Dennoch fahre auch sein Betrieb gerade ein Minusgeschäft. „Zurzeit geht es ums Überleben“, sagt er. Rücklagen seien derzeit ebenso wenig möglich wie Investitionen. Glück im Unglück: Für die neue Melktechnik habe der Betrieb sogar teils einen Kredit aufnehmen können. Doch der Plan für einen neuen Stalls für 330 Kühe landete vorerst in der Schublade. Um wenigstens Geld für Reparaturen ausgeben zu können, investierte der Betrieb in ein zweites Standbein, eine Biogasanlage. Der Erlös daraus ist hoch genug, um die Milchproduktion zu subventionieren. So konnte der alte Stall saniert werden. Nur bei der angeschlossenen Gaststätte „Zum Landwirt“ musste die Agrargenossenschaft Nieder Seifersdorf inzwischen Abstriche machen – und sucht einen neuen Betreiber.

Als Anlass für diese Entscheidung nennt die Genossenschaft die Milchkrise. Auf absehbare Zeit haben die Bauern nicht das nötige Geld, um in die Gaststätte investieren zu können. Das sollen nun andere tun. Ob das auch im Görlitzer Raum beliebte Restaurant verpachtet oder verkauft wird, ist aber noch offen.