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Revolution hinterm „Schamvorhang“

Das Wandbild „Weg der Roten Fahne“ am Kulturpalast hat die Bilderstürmerei der Wende überstanden. Nun wird es sogar restauriert. Dabei gibt es Helfer wie zur Entstehung vor knapp 50 Jahren.

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© dpa

Von Jörg Schurig

Dresden. Bejubelt, verpönt und verhüllt - das Wandbild „Weg der Roten Fahne“ am Dresdner Kulturpalast hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Wer es in den vergangenen zwei Jahrzehnten betrachten wollte, brauchte neben einem guten Auge vor allem Fantasie. Denn die monumentale Darstellung auf 300 Quadratmetern Fläche war mit einem dichten, grünen Netz verhangen - offiziell, um Passanten vor herabfallenden Teilen zu schützen. Tatsächlich hatte sich aber nur eine von mehr als 400 Betonplatten gelockert. Viele interpretierten die Verhüllungsaktion daher eher als Beleg für einen verkrampften Umgang mit dem sozialistischen Erbe der Elbestadt.

Das Wandbild "Weg der roten Fahne"

Studenten arbeiten am Wandbild "Der Weg der roten Fahne", das sich an der Westfassade am Kulturpalast Dresden befindet.
Studenten arbeiten am Wandbild "Der Weg der roten Fahne", das sich an der Westfassade am Kulturpalast Dresden befindet.
Unter ihnen ist auch Kunststudentin Eike Stöcker.
Unter ihnen ist auch Kunststudentin Eike Stöcker.
Studentin Danah Wessling bessert Teile des aus Betonplatten bestehenden Kunstwerkes aus.
Studentin Danah Wessling bessert Teile des aus Betonplatten bestehenden Kunstwerkes aus.
Die Restaurierung soll 150.000 Euro kosten.
Die Restaurierung soll 150.000 Euro kosten.
Während der Sommerschule der Hochschule für Bildende Künste sollen die Arbeiten vollendet werden.
Während der Sommerschule der Hochschule für Bildende Künste sollen die Arbeiten vollendet werden.
30 mal 10 Meter ist das Wandbild an der Westseite des Kulturpalastes groß (Archivbild).
30 mal 10 Meter ist das Wandbild an der Westseite des Kulturpalastes groß (Archivbild).
Im September 1969 bringt der stellvertretende Minister für Kultur Wilfried Maaß (Mitte) die letzte der 465 Betonplatten des Wandbildes "Der Weg der roten Fahne" an der Westseite des Dresdner Kulturpalastes an. Hinter der Platte wurde eine Kassette mit Urkunden vermauert.
Im September 1969 bringt der stellvertretende Minister für Kultur Wilfried Maaß (Mitte) die letzte der 465 Betonplatten des Wandbildes "Der Weg der roten Fahne" an der Westseite des Dresdner Kulturpalastes an. Hinter der Platte wurde eine Kassette mit Urkunden vermauert.
De Schöpfer des monumentalen Wandbildes "Der Weg der roten Fahne" übergeben ihr Werk feierlich an den Auftraggeber, den Rat der Stadt Dresden. Am Rednerpult steht der Leiter des Künstlerkollektivs, Gerhard Bondzin.
De Schöpfer des monumentalen Wandbildes "Der Weg der roten Fahne" übergeben ihr Werk feierlich an den Auftraggeber, den Rat der Stadt Dresden. Am Rednerpult steht der Leiter des Künstlerkollektivs, Gerhard Bondzin.

Das ist nun Geschichte. Der „Schamvorhang“, wie das Gewebe vor dem Wandbild auch genannt wurde, ist gefallen. Momentan behindern nur noch Gerüste und Baucontainer die freie Sicht auf historische Gestalten wie Karl Marx, Friedrich Engels, Ernst Thälmann und Walter Ulbricht. Sie sind genau wie andere Figuren - Arbeiter, Soldaten und Kinder - durch eine wehende rote Fahne miteinander verbunden. Das Bild soll die Entwicklung der Arbeiterbewegung von der bürgerlichen Revolution 1848/1849 bis in die DDR-Zeit thematisieren. Personen oder Personengruppen sind dabei geschichtlichen Ereignissen zugeordnet.

Dabei zieht vor allem eine junge Frau den Blick auf sich. Sie hält in der rechten Hand die Fahnenstange und schwebt mit offenen Armen wie ein revolutionärer Engel auf den Betrachter zu. Auch wenn der „Weg der Roten Fahne“ zumindest in seiner realsozialistischen Variante mit der Wende in der DDR zu Ende ging, soll er in bildlicher Form am Dresdner Kulturpalast weiterleben.

Denn parallel zum Umbau des „Kulti“ - so nennen Einheimische den Palast am Altmarkt - wird das Wandbild nun restauriert. Es steht wie der gesamte Kulturpalast unter Denkmalschutz. Als der frühere Rektor der Dresdner Kunsthochschule, Gerhard Bondzin - 1968 beginnend - das Fassadenbild gemeinsam mit einem Künstlerkollektiv entwarf, waren auch Studenten aus seinem Haus beteiligt. Knapp 50 Jahre später schließt sich nun der Kreis. Der Studiengang Kunsttechnologie, Konservierung und Restaurierung von Kunst- und Kulturgut, bei dem nur junge Frauen eingeschrieben sind, ist an der Sanierung beteiligt.

Dazu gehört die 21 Jahre alte Eike Stöcker aus dem ersten Studienjahr. Sie hat sogar eine Art emotionale Bindung zu dem Wandbild. Da sie nahe Dresden aufwuchs, sind mit der „Roten Fahne“ Kindheitserinnerungen verbunden - wenngleich Stöcker das Wandbild vermutlich nur „vernetzt“ wahrgenommen hat. Den Arbeitsplatz hoch droben auf dem Gerüst mit Blick auf die Schloßstraße empfindet sie als exponiert. „Wann hat ein Restaurator schon mal Gelegenheit, auf einer großen Baustelle zu arbeiten“, sagt die junge Frau, als sie gerade mit einer kleinen Bürste dem Schmutz auf dem Wandbild zu Leibe rückt.

Was Betrachter aus der Ferne nicht wahrnehmen können, wird direkt am Kunstwerk seh- und fühlbar: Die Oberfläche besteht aus Waschbeton, Kiesel und feinem Glassplit. Der sogenannte Glaskrösel wurde mit einem elektrostatischen Verfahren auf die mit Haftkleber versehenen Betonplatten aufgebracht. Das Glas lässt das Bild je nach Lichteinfall unterschiedlich changieren, sagt Restauratorin Kristin Hiemann, die bei dem Vorhaben die Projektleitung innehat. An sich sei das Wandbild in einem guten Zustand. Allerdings habe sich nach all den Jahren ziemlich viel Schmutz abgelagert.

Von ihm werden die Oberflächen in einem ersten Reinigungsgang trocken, mit dem Pinsel, befreit. Danach geht es mit Wasser und Bürste weiter. Bei den Glaskrösel-Oberflächen kommt zusätzlich ein Tensid als Reinigungsmittel dazu. So wird von den Platten in drei verschiedenen Formaten der Staub der Geschichte geputzt. „Die Schwierigkeit besteht darin, ein gleichmäßiges Erscheinungsbild auf 300 Quadratmeter Fläche zu erzeugen“, erläutert Hiemann. Schließlich werden auch die Risse in den Fugen geschlossen, um die Platten vor eindringender Feuchte zu schützen.

Axel Walther, Geschäftsführer der Kommunalen Immobilien Dresden Verwaltungs GmbH, findet es schön, dass sich gerade junge Leute um die Restaurierung kümmern. Es gehe darum, der Nachwelt ein Denkmal zu erhalten und erlebbar zu machen. Ganz nebenbei freut sich Walther darüber, mit Hilfe der Studentinnen das Budget im Griff zu behalten. 150 000 Euro sind für die Restaurierung veranschlagt. Walther ist dafür, dem Wandbild per App oder im Internet eine Erklärung zur Seite zu stellen: Schließlich sollten auch junge Leute einen Zugang finden, die rote Fahnen als Symbol für die Arbeiterbewegung fast nur noch aus dem Fernsehen kennen. (dpa)