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Rettung nach neun Tagen

Mit einer stundenlangen privaten Hilfsaktion wurde eine kraftlose Katze vom Dach eines Hauses geholt. Jetzt benötigt sie ein liebevolles Zuhause.

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© Andreas Weihs

Von Catharina Karlshaus

Großenhain. Er hat die erste Nacht mal wieder richtig geschlafen. Armin Krake ist die Erleichterung anzumerken. Seit Tagen hat sich der Vorsitzende des Großenhainer Tierschutzvereines nahezu rund um die Uhr darüber Gedanken gemacht, wie der Katze auf dem Dach der maroden Villa – im Volksmund Fuchsbau genannt – auf der Radeburger Straße zu helfen ist.

Stefan Taugnitz vom EZG und Alexandra Krause sind mit dem Hubsteiger gen Dach gefahren und versuchten ab 17 Uhr über Stunden, das verängstigte Tier zu locken.
Stefan Taugnitz vom EZG und Alexandra Krause sind mit dem Hubsteiger gen Dach gefahren und versuchten ab 17 Uhr über Stunden, das verängstigte Tier zu locken. © Anne Hübschmann
Um 20.38 Uhr schnappte die auf dem Dach aufgestellte Lebendfalle dann endlich zu: Stefan Taugnitz fuhr sofort wieder hoch und holte das Kerlchen hinunter.
Um 20.38 Uhr schnappte die auf dem Dach aufgestellte Lebendfalle dann endlich zu: Stefan Taugnitz fuhr sofort wieder hoch und holte das Kerlchen hinunter. © Andreas Weihs
So eine spektakuläre Aktion hat er noch nie erlebt: Armin Krake vom Großenhainer Tierschutzverein war froh über die spontane Hilfe der Einwohner.
So eine spektakuläre Aktion hat er noch nie erlebt: Armin Krake vom Großenhainer Tierschutzverein war froh über die spontane Hilfe der Einwohner. © Anne Hübschmann
Banger Blick nach oben: Mike Schneider und seine Tochter Kirsten aus Göhra sind extra gekommen, um zu sehen, ob es sich bei der Katze um ihre vermisste handelt.
Banger Blick nach oben: Mike Schneider und seine Tochter Kirsten aus Göhra sind extra gekommen, um zu sehen, ob es sich bei der Katze um ihre vermisste handelt. © Anne Hübschmann

Immerhin neun Tage war der rotblonde Vierbeiner ohne Wasser und ohne Nahrung. Wahrscheinlich durch das baufällige Gebäude ins Dachgeschoss gelangt, fand er völlig geschwächt nicht mehr den Weg nach unten. Eine schnelle Rettung schien nicht in Sicht – bis Dienstagnachmittag. Mit einem eindringlichen Appell wandte sich Armin Krake um kurz nach 16 Uhr über die Facebook-Seite der Sächsischen Zeitung an die Öffentlichkeit. Bat die Großenhainer eindringlich um Hilfe, um mit einem Hubsteiger oder einem Kran aufs Dach zu gelangen. „Wenn wir die Katze noch lebend vom Dach holen wollen, müssen wir uns beeilen“, mahnte Armin Krake, nachdem zwei Versuche der Freiwilligen Feuerwehr mit ihrer Drehleiter am Sonntag und Dienstag gescheitert waren.

Was innerhalb weniger Minuten danach geschieht, werden Großenhains Tierschützer so schnell nicht vergessen: Ununterbrochen klingelt bei Armin Krake in den nächsten Stunden das Telefon. Es gehen Hilfsangebote von verschiedenen städtischen Unternehmen ein, die ihre Technik sofort kostenlos zur Verfügung stellen wollen. „Das ist eine absolute Selbstverständlichkeit. Dem Tier muss doch schnellstens geholfen werden“, sagt Antje Richter, Geschäftsführerin des gleichnamigen Reinigungsdienstes. Firmen und Privatpersonen aus Dresden, Meißen und den angrenzenden Orten bieten spontan ihre Unterstützung an. „Herr Reitmann vom gleichnamigen Geschäft in Großenhain rief aus dem Urlaub auf Husum an und wollte eventuelle Kosten übernehmen. Und sogar aus Frankfurt/Main und Österreich haben sich Leute gemeldet“, berichtet Armin Krake.

Völlig verstört

Letztlich zur Tat schreitet – weil über einen Hubsteiger verfügbar, dessen Korb auf 18 Meter Höhe ausfahrbar ist – Stefan Taugnitz vom Elektrozentrum Großenhain (EZG). Bereits nach kurzer Zeit trifft der 32-Jährige auf dem Grundstück ein, wo er nicht nur von den Mitarbeitern des Tierschutzvereines und Nachbarn erwartet wird: Vom Sims des 1880 erbauten Hauses lugt bereits jene Fellnase, die seit vergangener Woche Stadtgespräch ist. Miauend, sichtlich erschöpft und abgemagert balanciert die Katze – wie bereits häufig von Anwohnern beobachtet – auf dem löchrigen Dach umher.

Punkt 17.10 Uhr ist es dann so weit: Stefan Taugnitz und die beherzte Großenhainerin Alexandra Krause fahren das erste Mal mit dem Hubsteiger nach oben. Ganz langsam gewinnt das Gefährt an Höhe und nähert sich geradezu minutiös dem in Not geratenen Tier. Allerdings: So gern dieses sicherlich wieder schnell festen Boden unter seinen Pfoten haben will, so ängstlich ist die Katze doch, sich ihren Rettern freiwillig in die Arme zu begeben. „Sie reagiert verständlicherweise völlig verstört. Wir müssen viel Geduld haben“, erkennt Tierschützerin Ruth Störmer.

Während man in luftiger Höhe also abwartet, beobachten die Zuschauer unten aufmerksam, in welche Richtung die Katze tippelt. Ganz besonders zwei Neugierige versuchen, einen Blick zu erhaschen. Mike Schneider und seine Tochter Kirsten sind extra aus dem benachbarten Göhra gekommen. „Wir vermissen seit sechs Wochen unseren vier Monate alten blonden Kater. Da er sich immer gern in Autos gelegt hat und am Abend eines Polterabends verschwunden ist, hatten wir die Hoffnung, dass es unser Speedy ist.“

Von derlei Überlegungen weiß die Katze auf dem Dach jedoch nichts. Sie setzt sich hin und schaut nach unten.

Grund genug für die Tierschützer samt Stefan Taugnitz, die Taktik zu ändern. Sie bauen nun auf dem Dach eine Lebendfalle mit leckeren Häppchen auf. Wieder ist Geduld gefragt. Schließlich werden die Beobachter wegen der Geräusche gebeten, das Grundstück zu verlassen. Eine gute Entscheidung, wie sich schon zehn Minuten später zeigen soll. Vorsichtig wagt sich die Katze plötzlich in das Innere der Käfigfalle, schnuppert und dann geht plötzlich alles ganz schnell. Mit einem lauten Krachen saust die Tür nach unten. Geschafft. Großenhains bekannteste Katze ist gefangen und in Sicherheit.

Den Rest wird ein glücklicher Armin Krake am nächsten Tag sogar mehreren überregionalen Radiosendern erzählen. Nämlich, dass sich der Hubsteiger noch einmal mit Stefan Taugnitz Richtung Dach in Bewegung gesetzt hat. Der mutige junge Mann vorsichtig den Käfig an sich nahm, nach unten fuhr und tosender Beifall ertönte. Nach neun Tagen hat er die Katze endlich aus ihrer luftigen Falle geborgen. Nach neun Tagen hat ihr Martyrium ein Ende.

Die Untersuchung bei Tierärztin Dr. Ute Brauer in Kalkreuth wird ergeben, dass auf dem Dach ein im Frühjahr geborener Katerjunge saß. Offenbar zäh und lebensstark. Denn trotz allem hat er den unfreiwilligen Ausflug auf den Fuchsbau gut verkraftet. Nach einer schlafreichen Nacht, so Armin Krake, hat er gefressen, wurde mit Medikamenten versorgt und kastriert.