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Retter stehen unter Zeitdruck

Zweifel an der Ausbildung des neuen Berufsbildes Notfallsanitäter haben sich gelegt. Aber nicht überall.

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© Pawel Sosnowski

Von Ralph Schermann

Rettungsdienst ist Dienst gegen die Uhr. Die schnelle Erstversorgung kann über Leben und Tod entscheiden. Deshalb gibt es festgelegte Mindestzeiten und Standards für die Ausbildung der Helfer.

In Görlitz ist das brisant. Denn die zulässige Zeit bis zum Eintreffen wird im Süden überschritten, wenn der Notruf vom touristisch immer stärker genutzten Berzdorfer See kommt. Deshalb entsteht zurzeit in Weinhübel für 1,8 Millionen Euro eine Außenstelle der Rettungswache. Für diese, zu finden auf der Reichertstraße, sind weitere 1,16 Millionen Euro zur Sanierung bewilligt. Noch aber ist es dort „ziemlich eng“, fand Sachsens Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU), als sie im Sommer die Wache inspizierte. Sie wollte sich davon überzeugen, was diese Einrichtung so wichtig macht: Der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) nutzt sie als Lehrwache.

Ausbildung ist zurzeit im Rettungsdienst mehr gefragt denn je. Denn ab 2024 müssen alle Rettungswagen und auch das Notarzt-Fahrzeug mit Notfallsanitätern besetzt sein. Das ist ein neuer Beruf, der jetzt ausgebildet wird – auch auf den sieben Ausbildungsplätzen der Görlitzer Wache. Bisher eingesetzte Rettungsassistenten dürfen dann nur noch Krankentransporte fahren, so wie es jetzt Rettungssanitäter und Rettungshelfer tun. Sie können sich aber auch in Lehrgängen zu Notfallsanitätern qualifizieren. Das Problem: Auch während der Weiterbildung muss der Dienst weitergehen. Allein in Görlitz sind ständig drei Rettungs- und ein Notarztwagen im Einsatz.

Gab es deshalb am neuen Ausbildungsablauf im Sommer noch Zweifel, ist von denen jetzt aber keine Rede mehr. „Das Geld dafür steht nach Verhandlungen mit den Krankenkassen bereit“, versichert Celia Feldmann, Referentin im Landratsamt als Träger des Rettungsdienstes im Kreis. Sie rechnet für 2024 mit mindestens 130 bis 150 benötigten Notfallsanitätern. Jens Schiffner ist überzeugt, dass das vor allem über die Weiterbildung erreicht wird. Schiffner ist Ärztlicher Leiter Rettungsdienst im Landkreis, selbst Notarzt, Fachberater und Prüfer in den Qualifizierungen. „Die Fortbildungen laufen gut, und auch viele Rettungsassistenten weit über 50 Jahre nehmen diese Chance für einen umfangreicheren medizinischen Handlungsspielraum an“, sagt er. Solche Fortbildungen dauern 480 Ausbildungsstunden, für Kollegen unter fünf Berufsjahren 960 Stunden, während die Neuausbildung eines Notfallsanitäters eine Zeit von drei Jahren in Anspruch nimmt.

Bis das, auf einen Bundestagsbeschluss zurückgehende neue System greift, könnten freilich auch die Karten der Leistungserbringer neu gemischt werden. Im Landkreis werden dafür fünf Lose vergeben, für die verschiedene Anbieter bereitstehen. In der Stadt Görlitz gewann der ASB zuletzt die Ausschreibung und fährt seit 2009 den Rettungsdienst zu etwa 80 Prozent. Den „Rest“ der Einsätze leistet, wie gesetzlich vorgesehen, die Berufsfeuerwehr. Diese Zuständigkeiten gelten bis 2019. Bis dahin hat der ASB für die Hauptwachen Görlitz und Niesky sowie die Außenstellen Reichenbach, Rothenburg und Mücka den Hut auf. „Wir haben 87 haupt- und zehn ehrenamtliche Mitarbeiter, darunter 27 Frauen und auch polnische Kollegen“, berichtete der Leiter des ASB-Rettungsdienstes, Andreas Wünsche, beim Ministerbesuch. Dazu kommen 125 Mediziner, die im Landkreis als Notärzte eingesetzt werden. Christian Pfeiffer, Fachberater der Arbeitsgemeinschaft Notärztliche Versorgung Sachsen, nennt „diese Notarztsituation im Kreis Görlitz stabil“. Auch Jens Schiffner schätzt das so ein. Beide wissen freilich, dass es nicht überall in Sachsen so positiv aussieht.

Besonders dramatisch ist die Lage zurzeit in Meißen. Innerhalb von vier Wochen blieben dort Rettungs- und Notarztwagen in 26 Fällen sogar unbesetzt. Von dort kommt auch die Forderung, bundesweit die Ausbildungsplätze in Rettungswachen zu erhöhen. Im Görlitzer Landratsamt sieht man das nicht so. Hans Richter, Leiter des Amtes Brandschutz, Katastrophenschutz und Rettungswesen, erinnert daran, dass jährlich ein zweistelliger Millionen-Betrag für den Rettungsdienst im Kreis ausgegeben wird: „Und wenn der Notarzt gerade im Einsatz ist, kommt eben ein anderer per Hubschrauber aus Bautzen, Senftenberg oder Dresden. Bei uns kann der Bürger darauf vertrauen, dass ihm geholfen wird. “