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Retter müssen schneller werden

Innerhalb von zehn Minuten soll der Rettungswagen vor Ort sein. Das klappt immer seltener. Nun soll mehr Personal her.

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© Marko Förster

Von Matthias Weigel

Sächsische Schweiz. Jeder vierte Rettungswagen im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ist zu spät am Einsatzort. Das zeigt eine Statistik des Landratsamtes. Die Werte haben sich dabei kontinuierlich verschlechtert: 2013 war der Rettungsdienst noch zu 90 Prozent pünktlich. 2015 lag die Quote bei 80 Prozent. Im zweiten Halbjahr 2015 sank sie dann auf 75 Prozent ab. Laut geltenden Vorschriften soll die Hilfsfrist in 95 Prozent der Fälle eingehalten werden. Die Kreisverwaltung war dabei schon mit lediglich 92 Prozent in die Planung gegangen. Das Ziel wurde deutlich verfehlt. In Sachsen müssen Rettungswagen in der Regel binnen zehn Minuten vor Ort sein.

In rund einem Viertel der Verspätungsfälle gab die Rettungswagen-Besatzung Verkehrsprobleme an: hohes Verkehrsaufkommen, Stau, Baustellen, Ampeln, Witterungsverhältnisse. Diese Faktoren sind kaum zu beeinflussen und ändern sich ständig. Die allermeisten Verspätungen aber passieren wegen organisatorischer Defizite – beispielsweise, wenn es zu viele gleichzeitige Einsätze in einem Rettungswache-Bereich gibt, die Rettungswagen nicht ausreichen und aus benachbarten Wachen eingesetzt werden müssen.

Insgesamt hat die Zahl der Einsätze zugenommen: 32 137 waren es im vergangenen Jahr, fast 4 000 mehr als 2014. Damit ist auch die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass die Wachen überlastet sind.

Rund 80 Minuten dauert ein Einsatz im Durchschnitt. Das ist vergleichsweise lange, was vor allem an weiten Wegen liegt. Das Landratsamt muss reagieren, um die Verspätungen zu minimieren: mit mehr Rettungswagen und mehr Personal. Deswegen tritt ab August ein erweiterter Bereichsplan in Kraft. Der sieht vor, dass die Rettungswachen in Freital, Stolpen und Pirna einen zusätzlichen Rettungswagen bekommen. Zudem wird die Betriebszeit um 15 Prozent aufgestockt, und es sollen bis zu 45 neue Stellen geschaffen werden.

Das alles kostet aber auch ordentlich Geld. Das Landratsamt rechnet allein dafür mit 1,3 Millionen Euro. Nebenbei machen die Rettungsdienste auch Kostensteigerungen geltend: Betriebskosten stiegen. Personalkosten auch. Ohne gutes Gehalt finde sich kaum noch Personal. Das macht in Summe noch einmal 2,2 Millionen Euro zusätzlich allein für 2016/17. Die Krankenkassen aber wollen die Kosten nicht oder nur teilweise übernehmen.

Schon 2010 war der Bereichsplan erheblich um elf Wagen und Dutzende neue Stellen aufgestockt worden – was mit drei Millionen Euro mehr zu Buche geschlagen hatte. Einen Teil stemmten die finanziell gebeutelten Rettungsdienste selbst, denn die Kassen übernahmen schon damals nicht alles. Auch aktuell hält die Debatte mit den Kassen an. Einen Kompromiss zu finden, ist schwer – nicht auszuschließen, dass der Kreis auf einem Teil der Kosten sitzenbleibt. Der Kreistag signalisierte aber fraktionsübergreifend, dass man eine Erstattung von 100 Prozent erwarte und man notfalls auch juristische Schritte einleiten will.

Probleme in der Leitstelle

Parallel wird untersucht, ob weitere Verbesserungen auch über Optimierungen erreicht werden können. So könnte der bisher praktizierte Einsatz von Rettungswagen als Krankentransportwagen reduziert werden – was aber wiederum beim Krankentransport zu höheren Wartezeiten führen wird. Auch eine effektivere Desinfektionszeit und somit kürzere Ausfallzeiten sind in der Prüfung. Weiterhin wird mit Unterstützung der Fraunhofer-Gesellschaft das Einsatzleitsystem verbessert. Denn auch bei den Disponenten passiert mal eine falsche Zuordnung oder das Datenmaterial ist in Einzelfällen nicht korrekt. Überhaupt hatte die neue zentrale Rettungsleitstelle in Dresden so ihre Schwierigkeiten: Die Auswertung der Einsätze konnte über Jahre nicht exakt laufen, weil es Software-Probleme gab.

Dabei gilt die Hilfsfrist als wichtiger Indikator für die Qualität der Notfallversorgung. Die Einhaltung wird von der Landesdirektion überwacht, dort werden Ursachen für Überschreitungen analysiert. Aber nur mit belastbaren Daten aus der Leitstelle kann es eine gute Kontrolle geben und die Durchsetzung von Maßnahmen laufen.

Wie es künftig mit dem Rettungsdienst im Landkreis weitergeht, bleibt sowieso spannend. Aktuell sind der ASB Neustadt, die Johanniter Dresden und die DRK-Kreisverbände Dippoldiswalde, Freital, Sebnitz und Pirna mit dem Rettungsdienst betraut. Doch der Rettungsdienst muss komplett neu und europaweit ausgeschrieben werden. Eigentlich sollte das schon dieses Jahr erfolgen. Aber die EU-Kommission mischte sich ein und startete ein Musterverfahren, denn sie sah im Vergabe-Prozedere des Landkreises eine Verzerrung des Wettbewerbs durch „mutmaßliche staatliche Beihilfen“. Das ist bereits vom Tisch, das neue Vergabeverfahren wird für die kommenden Wochen vorbereitet. Im Dezember soll die Entscheidung fallen, wer ab 1. August 2017 den Rettungsdienst fährt.

Die Verträge mit den bisherigen Trägern enden aber bereits zum 31. Juli dieses Jahres. Damit der Dienst ab 1. August im Landkreis abgesichert ist und die Träger nicht in der Luft hängen, Mitarbeiter entlassen sowie Gebäude und Autos verkaufen müssen, hat der Landkreis zu Jahresbeginn eine Interimslösung beschlossen. Mit den bisherigen Anbietern wird zunächst ein Vertrag für ein weiteres Jahr geschlossen.